Der Beginn des Neubaus der Mühlendammbrücke in Mitte rückt näher. Bei einer Veranstaltung sprachen Anwohner über ihre Sorgen
Berliner Zeitung vom 11.07.2024 von Elizabeth Rushton
Sie sehen schon idyllisch aus, die Visualisierungen, die die neu gebaute Mühlendammbrücke zwischen dem Molkenmarkt und der Fischerinsel in Mitte zeigen. Man sieht den Sonnenaufgang über Berlin , Vögel fliegen über das Nikolaiviertel mit dem Fernsehturm und dem Berliner Dom am Horizont. Dass die Realität in dieser Gegend durch die Dauerbaustelle zum Umbau des Molkenmarkts und die Belastungen für den öffentlichen Nahverkehr aber eine andere ist, ist vor allem den Anwohnern klar. Sie wurden am Dienstagabend zu einer Informationsveranstaltung zum nächsten großen Bauprojekt in die Alte Münze eingeladen: Es geht um den Ersatzneubau der Mühlendammbrücke .
Die 1968 erbaute Spannbetonbrücke habe irreparable Schäden und müsse dringend ersetzt werden, sagte Arne Huhn, Referatsleiter für den Brückenbau in der Berliner Verkehrsverwaltung . Es gehe darum, weiterhin die Sicherheit dieser wichtigen Verkehrsverbindung – die jeden Tag 74.000 Autos überqueren – zu gewährleisten.
Die bestehende Brücke soll nicht komplett abgerissen werden, sondern in zwei Bauphasen rück- und neu gebaut und mit einem modernen Durchlaufträger mit insgesamt vier Stahlhohlkästen ausgestattet werden. Die „ verkehrswendetaugliche “ Brücke sieht zwei Fahrspuren pro Richtung für Autos vor sowie zwei Straßenbahngleise, Radwege und abgesenkte Gehwege, das ist einer Präsentation zu entnehmen. Die Brücke soll auch eine „Aufenthaltsqualität“ schaffen, so Robert Meyer vom Ingenieurbüro Arup, das zusammen mit der Kopenhagener Architektenfirma COBE A/S das neue Viadukt entworfen hat. Die Visualisierungen vermitteln mit ihren von gepflegtem Grün und Bänken gesäumten Gehwegen ein skandinavisches Flair – und stehen in starkem Kontrast zur aktuellen Situation.
Kosten: 80 Millionen Euro
Beginnen sollen die Baumaßnahmen im November. Bis Anfang 2029 soll die neue Brücke fertig werden. Die Kosten werden auf 80 Millionen Euro geschätzt. Das Ziel der Behörden ist es, den Ersatzneubau ohne eine Vollsperrung der Brücke zu gewährleisten. In einer ersten Bauphase soll die nördliche Fahrbahn Richtung Alexanderplatz gesperrt werden; dort werden die Bauarbeiten beginnen. Dafür wird auf der südlichen Fahrspur in Richtung Potsdamer Platz jeweils ein Fahrstreifen für den Autoverkehr in beide Richtungen zur Verfügung stehen. Sobald das erste Teilstück fertiggestellt worden ist, wird die nördliche Fahrbahn für den Verkehr mit je einer Spur pro Richtung frei sein. Läuft alles planmäßig, dann muss es keine Umleitungsstrecke über die Rathausstraße geben. Hört man den vier Referentinnen und Referenten zu, klingt es, als würde alles ziemlich reibungslos vonstattengehen. Am Ende der Präsentation muss Arne Huhn allerdings sein Publikum noch von den Baumaßnahmen überzeugen. 90 Minuten stellt er sich den Fragen der Anwohner – und ihre Anliegen sind vielfältig.
Schon bei der ersten Frage gibt es Beschwerden über die Auswirkungen der vielen Bauarbeiten im Kiez – vor zehn Jahren betraf es die Verlängerung der U5, heute den Molkenmarkt . „Die Belastungsgrenze der Menschen ist eigentlich erreicht worden“, sagt ein Anwohner der Spandauer Straße. Er berichtet, dass ein von ihm und seinen Nachbarn beim Vermieter gestellter Antrag auf den Einbau von Schallschutzfenstern abgelehnt wurde.
Eine Anwohnerin der Fischerinsel beklagt, dass während der fünf Jahre langen Bauzeit ein 20 Meter hoher Kran direkt gegenüber einem Spielplatz aufgestellt werden soll, der erst im September eingeweiht wurde. „Das ist für uns eine Vollkatastrophe“, sagt sie. Sie habe schon fast darüber nachgedacht, umzuziehen. Arne Huhn drückt sich nicht um die Antworten. Entlastungsmöglichkeiten für die Anwohner, etwa gegen Lärm, werde es nicht geben, sagt er. Einen gesetzlichen Rahmen dafür gebe es nicht. Dafür aber eine gewisse Duldung, die jeder bei Baumaßnahmen im öffentlichen Straßenraum hinnehmen müsse, sagt er. Huhn nimmt jedoch den Vorschlag einer Anwohnerin auf, Warnungen vor einer besonders lärmintensiven Phase der Bauarbeiten an die Anwohner zu senden – damit sie von der Störung zumindest nicht überrumpelt werden.
Lärm, Abgas, viel Verkehr
Sorgen bereitet den Anwohnern vor allem die Verkehrslösung während der Bauarbeiten . „Wir ersticken schon jetzt in Lärm, Abgasen und Verkehrsbelästigung “, sagt eine Anwohnerin der Fischerinsel. „Wenn ich mir jetzt 74.000 Autos und dann nur noch eine Spur vorstelle, dann habe ich die Horrorvorstellung, dass dann bei uns überhaupt gar nichts mehr geht.“ Huhns Antwort darauf ist nicht gerade beruhigend. Man werde die Belästigung leider steigern müssen, denn bisher habe es noch nicht diese Einspurigkeit über die Brücke gegeben, sagt er. „Wir können nur mit dem arbeiten, was wir haben, und wir müssen alle irgendwie da durch.“
Neben den Sorgen der Anwohner gibt es aber auch Momente zum Schmunzeln. Ein Anwohner der Fischerinsel fragt sich, warum diese marode Brücke überhaupt ersetzt wird. Die Entdeckung der Schäden hätte eine Chance geboten, die Brücke abzureißen und das Viertel in eine autofreie Altstadt umzuwandeln – so wie es in vielen anderen europäischen Städten auch gehandhabt werde. „Wir haben aber leider diese Chance gepasst“, sagt er. „Mit mir als Bürgermeister hätten wir eine historische Altstadt bekommen.“ Im Saal wird es laut, es gibt auch Spott und Gelächter.
Weitere Fragen gibt es zu allen möglichen Themen: Etwa, wie sich Behinderte während der Bauarbeiten in der Umgebung der Brücke zurechtfinden sollten, und ob es im Sitzbereich ausreichend Mülltonnen geben wird. Arne Huhn verspricht, dass Infoveranstaltungen wie diese einmal im Jahr stattfinden werden. Für die Zeit dazwischen gibt es zwei Ansprechpersonen für die Anwohner, die im Kiez unterwegs sein werden, um Fragen zu beantworten, Hinweise und Kritik entgegenzunehmen. „Das sind unsere Brückenläufer“, so Huhn. Am Ende der Veranstaltung strömen die Anwohner zu den zwei Brückenläufern: Weitere Gespräche werden begonnen und Visitenkarten getauscht.