Die älteste und bedeutendste Schule Berlins beging das große Jubiläum mit einer Feier im Dom – und mit Aussichten auf eine Wiedererstehung im Klosterviertel
Berliner Zeitung vom 13.07.2024 von Maritta Adam-Tkalec
Die Touristen durften nicht rein in den Berliner Dom – am Sonnabendvormittag gehörte er Berlinern , vor allem jungen. Jede Wette: So niedrig war das Durchschnittsalter bei einem großen Gottesdienst in dieser Kirche noch nie. Und sie war rappelvoll. Zu Hunderten strömten Schülerinnen und Schülern des Evangelischen Gymnasiums zum Grauen Kloster, heutige und ehemalige, durch das wuchtige Portal in den ebenso wuchtigen Kirchenraum mit seiner erdrückenden Dekoration und der einschüchternd hohen Kuppel.
Tausend geladene Gäste waren gekommen, um in der Ober-, Haupt- und Staatskirche der Hohenzollern eine Schulgründung zu feiern: Am 13. Juli 1574 wurde das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster gegründet. Das ist ganz genau 450 Jahre her – und schon diese Tatsache allein ist äußerst bemerkenswert, wie die Schulsenatorin Katharina Günther-Wünsch in ihrer Grußansprache später sagen sollte: außergewöhnlich in einer eher von Hektik als vom langen Atem bestimmten Stadt, die lieber nach vorne schaut und sich ungern mit Historischem aufhält.
Im Falle dieser Schule kommen zwei weitere Jubiläen hinzu. Erstens: Vor 100 Jahren durften endlich auch Mädchen am bedeutendsten Gymnasium Berlins lernen und Lehrerinnen unterrichten.
Die Wanderung des Namens Graues Kloster
Zweitens: Vor 75 Jahren wurde in Berlin -Schmargendorf die Schule gegründet, die 1963 den altehrwürdigen Namen übernahm, den die DDR-Führung zuvor aus ideologischen Gründen für die Schule in der alten Mitte verworfen hatte. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges waren die Gebäude am ursprünglichen Standort an der Klosterstraße in Trümmer gefallen und wurden schließlich mit Ausnahme der Ruine der Franziskaner- Klosterkirche abgeräumt. Die Institution Schule zog in die Niederwallstraße um, bestand in sozialistischer Umgebung weiter, aber der alte, bürgerlich-humanistische Geist der Klosteraner sollte ausgetrieben werden.
Im Westen fand der Klostergeist eine neue Heimat, wieder mit altsprachlichem Schwerpunkt. Aber etwas war doch anders: Das alte Gymnasium war über die Jahrhunderte eben kein konfessionelles Gymnasium, auch wenn noch so viele Schüler und Lehrer evangelischen Glaubens gewesen waren. Auch eine katholische Minderheit lernte da, und Ende des 18. Jahrhunderts traten die ersten jüdischen Schüler ein, lange bevor sie ihre Bürgerrechte bekamen. Im 19. Jahrhundert waren in manchen Abiturjahrgängen bis zu einem Drittel der Absolventen Juden. Am Ende des 19. Jahrhunderts lehrte ein Rabbiner als Sonderlehrer Hebräisch. Trägerin war immer die Stadt Berlin .
Das heutige Gymnasium steht in Trägerschaft der Evangelischen Schulstiftung in der Evangelischen Kirche Brandenburg-Oberlausitz (EKBO), wenn auch ohne den Anspruch, jemanden zur christlichen Weltanschauung zu drängen. Man beachte die Feinheit im Namen: Die originale Institution hieß Berlinisches (nicht Evangelisches) Gymnasium zum Grauen Kloster.
Die Farbe Grau erinnert übrigens an die Farbe der in betonter Armut lebenden Franziskaner-Mönche, die dort vom 13. Jahrhundert bis zur Reformation zu Hause waren. Da haben wir sie wieder, die verwickelte Historie, die vielen so unnütz erscheint und ohne die es doch nicht geht, weil das Wissen um die Vergangenheit – wieder sei die Schulsenatorin zitiert – eben doch gebraucht wird, um Orientierung zu geben und ein Fundament.
Während des Festgottesdienstes erinnerten junge Leute genau daran: an eine erstaunliche Geschichte, deren Bestandteil sie im Begriff sind zu werden, indem sie an der traditionsreichsten Schule Berlins lernen. Sicherlich werden sie ihren Kindern von diesem Tag berichten, denn sie haben ihn wirklich zu einem besonderen gemacht. Die Ehrengäste und Bischof Christian Stäblein (hohe Ehre!) lieferten Grußworte, recht ordentlich. Die jungen Leute aber boten Kreatives, Fantasievolles, Herzerfrischendes. Ja wirklich, so macht die Betrachtung von 450 Jahren Spaß. Sie vollführten Zeitsprünge.
Im Altarraum, unter den mächtigen Steinskulpturen der Reformatoren Luther und Melanchthon begegneten einander die „Gründungsmenschen“, dargestellt von Schülerinnen und Schülern. Alle im folgenden kursiv gekennzeichneten Figuren traten auf und wurden von Heutigen befragt, so von der der unter einem dunklen Umhang steckenden Schulleiterin Dr. A. Martinez Moreno.
Da erschien Bruder Peter , der letzte der Franziskaner-Mönche, der 1671 verstarb. Der Brandenburgische Kurfürst Joachim II. (1505–1571), alles andere als ein religiöser Eiferer, war 1539 zwar zum Protestantismus übergetreten, 22 Jahre nachdem der Wittenberger Martin Luther mit dem Anschlag systemkritischer Thesen an die Schlosskirche die Reformation in Gang gesetzt hatte. Aber Joachim warf mit der Säkularisierung des Franziskanerklosters die Mönche nicht hinaus. Sein Sohn Johann Georg (1525–1598) nahm den Bildungsauftrag der Reformatoren ernst und gründete in den Klostergebäuden das Gymnasium – am Margaretentag, wie es beim Festgottesdienst mehrfach hieß. Der 13. Juli galt Bauern als Tag des Erntebeginns.
Kurfürst Johann Georg, der Schulgründer, hatte einen besonders kurzen Weg zu seinem Auftritt, denn er war der erste in der Gruft des Doms beerdigte Hohenzoller, sein Sarkophag steht daselbst bis heute. Er wurde begrüßt als einer, dessen „Körper schon lange keinen Sauerstoff mehr erlebt hatte“ und musste sich einiges anhören: Er habe zwar ein humanistisches Gymnasium gegründet, aber zugleich eine Phase grausamer Verfolgung von Juden und deren vollständige Ausweisung aus der Mark Brandenburg zu verantworten. Die Gäste des Festgottesdienstes erfuhren, dass dieser Teil der Geschichte zum ersten Mal bei einem Schuljubiläum überhaupt erwähnt werde.
Wie ein dunkler Geist kam auch Leonard Thurneyßer, Arzt, Apotheker, Drucker, vorbei. Der tüchtige und geschäftstüchtige Mann nutzte einige der Räume des verlassenen Klosters als Labor, Bibliothek und Druckerei mit deutschen, lateinischen, griechischen, arabischen und hebräischen Lettern. Ein kreativer Typ, der nun wegen seiner Quacksalbereien als „etwas durchgeknallt“ tituliert wurde. Erfinden nicht genau solche Leute das Internet, Marsraketen und entschlüsseln Genome?
Ein großer Mäten und Reichskanzler Bismarck
Während eines weiteren Zeitsprungs begegneten Schüler diverser Zeitalter einander. Da erscheint in weißer Lockenperücke Sigismund Streit (1687–1775), der als armer Leute Kind am Gymnasium, eingeschult 1697, zu Bildung kam, und schließlich als reicher, aber kinderloser Mann sein erhebliches Vermögen – Geld und Kunstschätze – seiner Schule vermachte. Die Streitsche Stiftung hütet sein Erbe bis heute. Ihm folgte Otto von Bismarck, der mit einem Abitur der Qualität „na ja“ später Reichskanzler wurde. Die Nachgeborenen gestatteten sich energische Kritik zum Beispiel an seiner Franzosenhetze, doch er durfte sich auch verteidigen („Ich war liberaler als mein Ruf.“) und sich mokieren: „Ich hab ein bisschen mehr Verehrung erwartet.“ Er wird mit den Worten verabschiedet: „Otto, vergiss es.“
Dieses, die Jahrhunderte übergreifende Klassentreffen muss natürlich auch an besondere Lehrer und Schulleiter erinnern, solche wie Johann Joachim Bellermann, der den Musikunterricht für alle einführte, oder Friedrich Schleiermacher, Philologe und Theologe, der dann, wie auch Bellermann, zur Gründergeneration der Berlinischen Universität gehörte, oder Arnold Reimann, der das Graue Kloster für Mädchen öffnete.
In der NS-Zeit wurden alle jüdischen Schüler von der Schule verbannt; Heutige erinnerten nun daran, dass trotzdem in jeder Zeit zum Beispiel heimliche Lesungen von Werken des Juden Heinrich Heine stattfanden. Applaus gab es für die Erwähnung von Absolventen des Gymnasiums, die sich um die deutsche Einheit gemacht haben: Lothar de Maizière, letzter DDR- Ministerpräsident , und Markus Meckel, Außenminister in dessen Regierung. Dieser war zum Festgottesdienst erschienen.
„Einmal Klosteraner, immer Klosteraner“ – ein Spruch, der immer wieder zu hören war und der an die gute Tradition erinnert, sich seiner alten Schule nicht nur voll Dankbarkeit zu erinnern, sondern auch etwas zurückzugeben. „Wir verstehen und als aktiver Teil der Schulgemeinschaft“, sagte Dr. Georg Dybe, Vorsitzender des Vereins der ehemaligen Klosteraner wie auch der Stiftung Berlinisches Gymnasium zum Grauen Kloster, die sich zum Ziel gesetzt hat, am originären Ort in Berlin -Mitte das „ Berlinische “ neu entstehen zu lassen. Der vom Senat beschlossene Bauplan sieht für das Grundstück an der Klosterstraße eine Schule vor. Eine besondere Schule. Einen guten Platz für den Klostergeist.