Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 01.08.2024 von Andreas Kilb
Die Galeries Lafayette in der Berliner Friedrichstraße sind ein Symbol des Traums, den die deutsche Hauptstadt in den Jahren nach der Wiedervereinigung von sich geträumt hat. Berlin, so schien es damals, würde ein Zentrum des Luxus und der Moden, des Konsums und der Kultur werden, ein Laufsteg der europäischen Eliten wie London und Paris.
Dieser Traum ist verflogen, und die Galeries Lafayette ziehen darunter einen dicken Strich: Zum 31. Juli schließt das französische Edelkaufhaus seine Pforten. Aber der Bau von Jean Nouvel mit seinen prunkvollen Glasfassaden und protzigen Dachrundungen bleibt stehen. Durch den Erwerb des Gebäudes, das einem amerikanischen Investor gehört, könnte das Land Berlin gleich zwei seiner dringendsten Probleme lösen: Es könnte die von Verödung bedrohte Friedrichstraße neu beleben – und der an ihren beiden bisherigen Standorten ständig von Notschließungen bedrohten Zentral- und Landesbibliothek ein neues Quartier verschaffen.
Die gescheiterte Luxusmeile im Herzen Berlins würde zum Mittelpunkt der öffentlichen Kultur. Der Platz, mehr als 25.000 Quadratmeter Nutzfläche plus Magazinräume in den Tiefgaragen, würde ausreichen, der Ort wäre ideal. Nur das Geld ist, wie immer in Berlin, ein Problem. Knapp 590 Millionen Euro verlangt der Investor, der vorsorglich bereits einen Bauantrag zur Umwandlung der Ladengeschosse in Büroflächen gestellt hat. Berlin aber muss wieder einmal sparen, auch der Etat von Kultursenator Joe Chialo ist davon betroffen. Bis zum Herbst ist der Nouvel- Bau noch zu haben; macht der Senat bis dahin kein Angebot, bekommt ein privater Käufer den Zuschlag. Offenbar hofft die Landesregierung darauf, den Preis herunterzuhandeln. Sie könnte sich irren. Dann hätte Berlin in der Friedrichstraße nicht nur seine Vergangenheit, sondern auch seine Zukunft verspielt.
Dabei weiß jeder, dass die Generalsanierung der denkmalgeschützten Bibliotheksstandorte in der Breiten Straße und in Kreuzberg oder gar ein Neubau auf der grünen Wiese viel teurer würde als der Ankauf des Glaspalasts zwischen Gendarmenmarkt und Brandenburger Tor. Zugleich gäbe es die Möglichkeit, einen Teil der Kosten des Gebäudes durch Untervermietung an die Staatsbibliothek einzuspielen, deren Haus an der Potsdamer Straße ebenfalls aufwendig grundinstand gesetzt werden muss. Aber dazu müssten Landes- und Bundeskulturpolitik, müssten Joe Chialo und Claudia Roth ausnahmsweise an einem Strang ziehen. Und es müsste das seltene Wunder geschehen, dass der Berliner Senat bei seinen Planungen ein einziges Mal über den Tellerrand der nächsten zwei Jahre hinausschaut. Denn die Entscheidung, die in den kommenden Wochen ansteht, ist keine rein finanzielle. Bei ihr geht es darum, ob Berlin noch etwas von dem Schwung des Aufbruchs bewahren kann, der es mehr als drei Jahrzehnte lang beflügelt hat – oder ob es sich nur irgendwie weiter durchmogeln will, ohne zu wissen, wofür und wohin.