Bessere Architektur ist auch ohne viel Kapital möglich
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 02.08.2024 von Arnaud Ahlborn

Neubauten stehen an vielen Orten in Deutschland in der Kritik. Sie sähen oft einheitlich und monoton aus. Ihnen fehle die architektonische Qualität. Die Kritik wird in der Regel lauter, wenn viele Neu­bauten oder ganze Viertel entstehen. „Hässlich wie die Nacht" heißt es über ein Neubauviertel in Frankfurt. Woanders gilt die moderne Architektur als „menschenfeindlich, kalt, lieblos".

Für mich - ich bin selbst Architekt - er­gibt sich daraus eine zentrale Frage: Wie kann die architektonische Qualität mit einem möglichst geringen Einsatz an Mit­teln verbessert werden. Letzteres ist in Zeiten gestiegener Baukosten und hoher Neubaupreise ebenfalls sehr wichtig.

Ein großer Ansatzpunkt ist meiner Mei­nung nach eine gewisse Variabilität der Materialien. In der Praxis sind oft ganze Objekte aus ein und demselben Material - häufig Beton. Abwechslung in den Fassa­denmaterialien oder der Außenverklei­dung hat jedoch eine große Wirkung. Wir haben beispielsweise bei mehreren Objek­ten mit Schiebeelementen aus Holz gearbeitet. Auch die Gestaltung von Teilen in Metall- oder Blechoptik bringt Abwechs­lung. Wir haben sehr gute Erfahrungen bei Balkonbrüstungen mit diesen Materialien gemacht. Ein anderes Beispiel aus der klassischen Architektursprache ist ein sogenanntes Bossenwerk - das ist die Gliederung einer Oberfläche in „erhabene" Bereiche sowie Vertiefungen. Die Ziegel­optik, die sich auf das Erdgeschoss be­schränkt, ist ein gängiges Beispiel. Bossen lassen sich heute kostengünstig einsetzen, da es möglich ist, sie nur oberflächlich an­zubringen. Alle genannten Beispiele er­zeugen ein Gefühl der Hochwertigkeit und durchbrechen die Monotonie.

Ein anderer wichtiger Verbesserungs­vorschlag ist ein neuer Einsatz von Dämmstoffen. Da heutzutage ohnehin alle Neubauten gedämmt werden müssen, gibt es hier einen besonders großen Hebel. Dämmmaterial sollte nicht nur funktional gesehen werden, es muss vielmehr als Ge­staltungselement begriffen werden. Hier lassen sich mit verschiedenen Materialien unterschiedliche Reliefs schaffen - bei­spielsweise gegliedert nach Etagen. Eine andere Möglichkeit ist die Verwendung des Dämmstoffs, um Fensteröffnungen zu gestalten oder zu betonen.

Ein nächster Vorschlag betrifft vor al­lem die Gliederung der· Fassade: So sind Schattenfugen und Fensterumfassungen mit überschaubarem Aufwand herzustel­len. Sie leisten aber einen wichtigen Bei­trag, den Eindruck von Monotonie abzu­mildern, indem sie eintönige und großflä­chige Fassaden ergänzend zu den· Fensteröffnungen gliedern.
Zwei weitere unterschätzte Punkte sind die Themen Farbkonzepte· und Beleuch­tung. Vor allem der Aspekt Farbe wird im heutigen Planungs- und Bauprozess zu we­nig bedacht. Es fehlt ein Arbeitsschritt, der sich mit dem Thema Farbe befasst. In der Praxis erfolgt die Farbentscheidung oft re­lativ spät im Planungs- und Bauprozess. In der Regel ist kein Architekt eingebunden. Hinzu kommt, dass die Entscheidung oft zweckmäßig und schnell getroffen wird. 

Das Ergebnis sind dann teilweise zu bunte Häuser oder eine nichtssagende Gebäude­farbe. Stattdessen sollten mehrere Farb­entwürfe und Konzepte ausgearbeitet wer­den. Ein einfaches Mittel zu einer besseren Farbgestaltung ist beispielsweise die farb­liche Absetzung entweder des Erdgeschos­ses oder des Penthouses. Beides lockert auf und schafft Abwechslung.

Fast noch stiefmütterlicher als die Farbe wird das Thema Beleuchtung behandelt. Auch deren Planung erfolgt oft eher zufäl­lig und wird stark von Kostenaspekten ge­leitet. Mit einer Veränderung der Beleuch­tung nachts lassen sich beispielsweise Außenanlagen und Gemeinschaftsflächen erheblich aufwerten. Bei einer Anlage in unserem Bestand haben wir nur die Wärme des Lichtes variiert - von kalt nach warm. Dies hat die Atmosphäre in den Außenanlagen bei Nacht erheblich verbes­sert und die Akzeptanz gesteigert. Manche Immobilien wirken im Dunkeln sehr mas­sig oder bedrohlich. Um dies zu verhin­dern, können Visualisierungen bei Nacht hilfreich sein, um die Wirkung einer Im­mobilie bei Dunkelheit zu eruieren. Leider werden Nachtvisualisierungen in der Pra­xis so gut wie nie erstellt.

Diese Beispiele zeigen, dass sich auch' mit wenig finanziellem Einsatz lebens­wertere Wohnräume und optisch attrakti­vere Stadtviertel schaffen lassen, die die Kritik an monotoner Architektur verstum­men lassen.

Der Autor des Gastbeitrags ist Geschäftsführer von lndustria Immobilien.

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