Studierende haben sich Gedanken gemacht, wie das Restaurant und die Umkleidehallen genutzt werden könnten. Die Ergebnisse sind in einer Schau zu sehen
Morgenpost vom 01.09.2024 von Katrin Lange
Wannsee Sie mussten sich erst den Weg frei schlagen, Büsche herausreißen, Schuttberge abtragen. Zwar waren keine 100 Jahre, aber immerhin fast 30 Jahre vergangen, seitdem sich die Tür vom Strandrestaurant „Lido“ geschlossen hatte. Carsten Gerhards, Professor an der Hochschule Darmstadt, hat sie nun mit seinen Studierenden erstmals wieder geöffnet. „Ich kam mir vor wie der erste Mann auf dem Mond“, beschreibt Gerhards sein Gefühl, als er vor dem alten originalen Tresen stand.
Geschlossen wurde das Lokal mit Biergarten im Strandbad Wannsee, das einst 2500 Menschen Platz bot, im Jahr 1996. Gingen die Umsätze zurück nach dem Mauerfall und der Konkurrenz der kostenlosen Badeseen im Umland? Oder gaben die Betreiber altersbedingt auf? So genau kann das heute keiner mehr sagen. Sicher ist aber, dass das „Lido“ seitdem verfällt, genau wie drei von vier Umkleidehallen, die nicht mehr genutzt werden.
Ausstellung „Wanna see Wannsee“ läuft noch bis zum 15. September
Carsten Gerhards ist Berliner , er wohnt in Steglitz und pendelt nach Darmstadt. Es sei ihm ein Anliegen, auf den Zustand des Bades aufmerksam zu machen und auf den dringenden Handlungsbedarf, sagte er zur Eröffnung der Ausstellung „Wanna see Wannsee“, die bis zum 15. September Ideen zur Rettung des Strandbades präsentiert. Etwa 35 Studierende für Nachhaltiges Bauen und Entwerfen der Hochschule Darmstadt haben überlegt, wie die Bestandsbauten aus den 1930er-Jahren, die unter Denkmalschutz stehen, genutzt werden könnten.
Ein „Lernort“ sollte es werden, darauf hatten sie sich geeinigt, nachdem sie sich mit der Geschichte des Strandbades befasst hatten. Die Idee eines „Volksbades“ hatte der Strandbad-Direktor und SPD-Politiker Hermann Clajus vor 100 Jahren geprägt. Er holte die Kinder aus den Arbeiterbezirken an den Wannsee. Die Idee heute: Im Strandbad könnte eine „ Bauhütte “ entstehen, eine Ausbildungsstätte in vielen Gewerken für Jugendliche, die zum Teil aus prekären Verhältnissen kommen. Der positive Nebeneffekt: Die Azubis würden sich im Rahmen ihrer Ausbildung um die Sanierung der Gebäude kümmern.
In diesem Konzept spielt das verfallene Strandrestaurant eine zentrale Rolle. Vieles sei noch bauzeitlich erhalten, sagt der Professor. Ein Gutachten habe ergeben, dass die Stahlkonstruktion noch intakt und das „Lido“ nicht einsturzgefährdet ist. Sonst hätte es auch nicht betreten und für die Ausstellung genutzt werden dürfen. „Es ist nicht tot, man kann es retten“, sagt Gerhards.
Einig sind sich die Studierenden, dass die Gastronomie in dem Gebäude bleiben soll und ganztags betrieben wird. Im Detail gibt es verschiedene Vorstellungen. Die einen sehen eine Kochschule darin, in der eine Ausbildung zum Koch und zur Servicekraft angeboten wird, in der die Azubis auch selbst bedienen. Andere schlagen ein Café vor, eine Kantine oder eine Bar. Mit stapelbaren Stühlen soll Freiraum geschaffen werden für Lernoasen, hinter dem Gebäude könnte ein Kräutergarten entstehen, aus dem die Küche versorgt wird.
Vielfältig sind auch die Ideen für die einstigen Umkleidehallen. Die quaderförmigen Gebäude, ebenfalls eine Stahlskelettkonstruktion mit Ziegelverkleidung, sind insgesamt 48 Meter lang, zwölf Meter breit und acht Meter hoch. Sie bieten insgesamt auf zwei Geschossen eine nutzbare Fläche von 1000 Quadratmetern. „Die Hallen haben eine einfache Struktur, die man leicht verändern kann“, sagt Professor Gerhards. Nach Ansicht der Studenten könnten sie künftig vielfältige Funktionen haben.
So ließen sich dort Werkstätten einbauen, auch abgeschottete Räume für laute Maschinen, in denen die Sanierung und der Umbau des Strandbades vorangetrieben wird. Es gibt aber auch Platz für Seminarräume, eine Bibliothek, ein Fitnessstudio, Saunen, Yoga-Räume, sowie Flächen zum Gärtnern und Kochen. In einer Halle ist immer noch ein kleiner Kinosaal. Die Studierenden schlagen vor, das Kino wiederzubeleben und noch ein kleines Theater anzubieten.
Ergänzt werden könnten diese Funktionen mit gemeinschaftlichem Wohnen. Auch das war in den 1930er-Jahren schon einmal vorgesehen. Stadtbaurat Martin Wagner wollte oberhalb des „Lido“ ein Hotel errichten. Doch in der Weltwirtschaftskrise war dafür kein Geld vorhanden. Studierende schlagen jetzt Tiny Houses vor, Mini-Häuser, die kein Fundament brauchen und beweglich sind. Diese könnten ein Wohnheim für Jugendliche und Erwachsene aus verschiedenen sozialen Milieus sein oder eine Art Lehrlingsdorf.
So wäre das Strandbad im Sommer und Winter gut genutzt. Das ist schon lange ein Thema, doch konnten sich die beteiligten Verwaltungen bis heute nicht darauf einigen. „Dabei gab es hier früher einen Ganzjahresbetrieb“, sagt Gerhards. So seien die Besucher auf einer Spritzeisbahn vor dem „Lido“ Schlittschuh gelaufen und hätten in den Mai getanzt. Die Frage ist, wer dieses Konzept finanziert und betreibt. „Das kann nur jemand sein, der nicht profitorientiert ist“, sagt der Professor. Es müsste ein sozialer Träger, eine Stiftung oder ein Investor, der sich gemeinnützig engagieren will, sein.
Das Projekt der Hochschule Darmstadt wurde unterstützt von der Senatssportverwaltung und den Berliner Bäder-Betrieben (BBB), die das landeseigene Bad betreiben. Das Engagement und die Auseinandersetzung mit dem Baudenkmal Strandbad Wannsee würden begrüßt, hieß es kürzlich bei den Bäder-Betrieben. Aber die finanziellen Mittel stünden nicht für eine Umsetzung zur Verfügung. In den vergangenen 20 Jahren haben sich immer wieder potenzielle Investoren gemeldet, oft scheiterte es nicht am Geld, sondern an der Umsetzbarkeit. Entweder waren die Wasserbetriebe oder der Denkmalschutz dagegen. Badleiter Steve Kleinschmager ist froh, dass das Bad wieder im Blickpunkt ist. „Es ist wichtig, dass überhaupt etwas gemacht wird.“