Gebäude wie der Mäusebunker stoßen auf Interesse
Berliner Zeitung vom 06.09.2024
Nackte Betonwände mit weit herausragenden Lüftungsrohren: Der Berliner Mäusebunker sieht aus wie ein Schlachtschiff voller Kanonen. Das Gebäude vermittelt eine Aura der Abschottung, ja Feindseligkeit – und das passt genau zu seiner Funktion. Es beherbergte die „Zentralen Tierlaboratorien“ der Freien Universität Berlin , war also eine riesige Tierversuchsanstalt.
Lange als „potthässlich“ geschmäht, ungenutzt und dem Abriss geweiht, entstand in den vergangenen Jahren eine neue Wertschätzung für das Gebäude, sodass es 2023 unter Denkmalschutz gestellt wurde.
Ähnlich geht es anderen Bauwerken , die dem Brutalismus zugerechnet werden. Bilder dieser Betonmonster werden in den sozialen Netzwerken massenhaft geteilt. Was steckt hinter dem Sinneswandel?
Mit Brutalität hat der Brutalismus nichts zu tun – eher schon mit Champagner brut, trockenem Champagner. „Béton brut“ bedeutet „roher Beton“. Mitgeprägt hat den Ausdruck der Schweizer Architekt Le Corbusier (1887–1965). Er begann nach dem Zweiten Weltkrieg damit, Betonbauwerke nicht mehr zu verkleiden, sondern den Beton so sichtbar zu machen, wie er sich nach dem Entfernen der Holzschalung präsentiert. Von daher der Name „Sichtbeton“.
Le Corbusier fand das ehrlicher. Brutalistische Architektur ist geradezu provozierend direkt, sie ist monumental, sie trumpft auf. „Bodybuilding-Architektur“ nennt es der Brutalismus-Experte Oliver Elser, Kurator am Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt und Gründer der Initiative „SOS Brutalism“.
Deutschland besitzt viele Rathäuser im brutalistischen Stil, weil die kommunalen Verwaltungen in der Nachkriegszeit expandierten. Die öffentliche Hand hatte damals – ebenso wie die katholische und evangelische Kirche – das nötige Geld für ambitionierte neue Architektur. Anfang der 80er Jahre kam der Brutalismus allmählich aus der Mode. Schon bald galten brutalistische Bauten schlicht als Geschmacksverirrung. Doch nach 2010 wurde der Brutalismus von einer neuen Generation wiederentdeckt. Auslöser war vielfach der Abriss stadtbildprägender Betonbauten, was Widerstand hervorrief.
Das neue Interesse am Brutalismus beschränkt sich dabei keineswegs auf Deutschland. „Viele afrikanische Länder und auch Indien erschließen sich zurzeit ihre brutalistische Architektur als Befreiung von kolonialer Herrschaft. Das ist also ein positives Erbe“, so Elser. „Wohingegen in ehemaligen Ostblockländern wie den baltischen Staaten oder in der Slowakei die brutalistische Architektur auch mit einer Vorherrschaft Moskaus zur Sowjetzeit verbunden wird, da ist es also Regime-Architektur.“ Der Kontext verändert sich von Region zu Region.