Der Platz muss mehr sein als die Summe der Solitäre um ihn herum, fordert Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt. Ein Gastbeitrag
Berliner Zeitung vom 16.09.2024
Kultur – ohne Forum? Kaum ein Ort ist so stark von Widersprüchen geprägt wie das Berliner Kulturforum. Mitten in Berlin , zwischen Großem Tiergarten, Landwehrkanal und Potsdamer Platz treffen bedeutende Architekturikonen, Meisterwerke der Kunst, Weltklasse-Musikensembles und international renommierte Forschungseinrichtungen aufeinander – und werden nicht als ein kulturelles Zentrum wahrgenommen.
Wie geht das? Ein so einzigartiges Kulturangebot an einem Platz, der als Ort lange unentwickelt, schwer zugänglich und kaum lesbar war.
Der Neubau des berlin modern sowie die jüngsten Überlegungen zu Interimsgebäuden für die sanierungsbedürftige Staatsbibliothek und das Ibero-Amerikanische Institut werden das Kulturforum stark verändern. Umso dringlicher ist es, sich unter den heutigen Voraussetzungen dem Areal als Ganzem zu widmen. Es verdient eine kluge gemeinsame Gestaltung durch die Anrainer, um aus der Ansammlung solitärer Anziehungspunkte einen belebten Ort zu machen, einen viel und vielfältig genutzten Kulturort mit hoher Aufenthaltsqualität: ein Forum als Ort der Begegnung und des Austauschs, der kulturellen Bereicherung.
Sichtbares Erbe der Teilung
Historisch wurde der Standort nie als zusammenhängendes Ganzes entwickelt. Gerade als Nichtort erzählt das Kulturforum jedoch Berliner Geschichte: Es bietet einen ikonischen Gang durch die Architektur des 20. Jahrhunderts und ist städtebaulich sichtbares Erbe der Teilung Berlins .
Willy Brandt entschied sich für den Standort an der Berliner Mauer. Mit dem Konzept einer „Stadtlandschaft“, einer solitären Bebauung landschaftsähnlicher Flächen, überwand Hans Scharoun radikal den Speer’schen Plan einer Nord-Süd-Achse. Scharoun errichtete zu Beginn der 1960er-Jahre die Philharmonie. Sie ist nach Westen hin ausgerichtet und wandte sich damit von der geplanten Autobahntangente entlang der Berliner Mauer ab. Die Tangente wurde nie gebaut und mittlerweile hat sich das Zentrum der wiedervereinigten Stadt verlagert. Ludwig Mies van der Rohe setzte wenige Jahre später mit seiner Ikone der klassischen Moderne aus Stahl und Glas einen Kontrapunkt zu Scharouns organischer Architektur. Rolf Gutbrods Museumsbauten der 1980er-Jahre muten unentschlossen brutalistisch an, während die im Jahr 1998 eröffnete schlichte Gemäldegalerie von Hilmer & Sattler architektonischer Ausdruck der Moderne des späten 20. Jahrhunderts ist. Eine zeitgenössische Antwort findet das Architekturbüro Herzog & de Meuron, das den Neubau des berlin modern neben dem ältesten Gebäude des Standortes, der St.-Matthäus-Kirche, plant.
Der Museumsneubau in unmittelbarer Nähe zum Mies-van-der-Rohe- Bau bietet dringend benötigte zusätzliche Ausstellungsflächen für die Kunst des 20. Jahrhunderts. Künftig wird die Nationalgalerie ihre bedeutende Sammlung sowie Werke der Sammlungen Ulla und Heiner Pietzsch, Marx und Marzona dauerhaft am Kulturforum zeigen. Die Weiterentwicklung des Kulturstandortes ermöglicht größere Teilhabe: durch die Zugänglichkeit einzigartigen Kulturguts, das aus Platzmangel bislang nur in Ausschnitten präsentiert werden konnte, aber eben auch durch eine einladende Gestaltung des öffentlichen Raums.
Das Bauprojekt berlin modern wurde nachjustiert und klar auf ökologische und soziale Nachhaltigkeit ausgerichtet. Herzog & de Meuron haben ihren Satteldachbau um die 150 Jahre alte Platane herum entworfen und verstehen das Museum der Moderne als Eingang in einen das gesamte Kulturforum umfassenden Museumsgarten. Anstatt einen weiteren Solitär zu errichten, schließt die Neubauplanung aktiv den öffentlichen Freiraum mit ein. Dazu gehören sowohl im Norden der Karajanplatz, im Westen der Museumsgarten als auch öffentliche, unabhängig vom Museumseintritt zugängliche Flächen und Gastronomie. Das Gebäudeinnere wird mit dem Kulturforum verzahnt. Die Qualifizierung der Freiräume am Kulturforum ist dringend notwendig, um den architektonischen Bestand besser zu vernetzen.
Die Aufwertung der öffentlichen Räume am Kulturforum ist – neben der sukzessiven Sanierung der Gebäude – die zentrale Aufgabe. Der Raum muss sich im Gestern, in Bezug auf seine Geschichte, wie auch im Übermorgen beweisen.
So klar das Ziel, so groß die Herausforderung: Die öffentlichen Räume zwischen den Architekturikonen sind ebenso heterogen wie die Bauten selbst. Im Rahmen des Masterplans 2005/06 und des Freiflächenkonzepts 2010 des Büros Valentien + Valentien wurden partiell Freiflächen und Zugänge umgestaltet. So etwa wird der neu gebaute Scharounplatz, an dem sich auch der Haupteingang des berlin modern befinden wird, ein gemeinsames Foyer der angrenzenden Einrichtungen bilden.
Ausgehend von den bisherigen nicht konsistenten Teilplanungen und Teilumsetzungen braucht es jetzt ein integriertes aktuelles Gesamtkonzept, das nicht nur sämtliche Räume des Kulturforums einbezieht, sondern den Ort auch städtebaulich einbindet. Überlegungen hierzu betreffen die überfällige Umgestaltung der Potsdamer Straße als Verbindung, die Anbindung durch die Staatsbibliothek hindurch zur Alten Potsdamer Straße sowie eine wünschenswerte Verbindung von der Piazzetta zum Tiergarten. Die Piazzetta selbst ist ein Sanierungsfall und gehört auf den Prüfstand gestellt.
Das Baukollegium widmete im Januar 2024 seine 100. Sitzung dem Kulturforum, diesem ebenso herausragenden wie herausfordernden Ort, der eine besondere Zuwendung verdient. Das Gremium zur Sicherung der Baukultur in Berlin befasst sich seit 2008 mit herausragenden Bauvorhaben und deren Einfluss auf die Stadt.
In Anerkennung eines der architekturgeschichtlich bedeutendsten Orte Berlins , der seit zwei Generationen laufend fortentwickelt wird, haben wir uns der Beziehung der einzelnen Gebäude zum öffentlichen Raum zugewandt, ihren jeweiligen Anforderungen an den umgebenden Stadtraum und ihren Entwicklungsperspektiven. Das Kollegium betrachtete insbesondere die Erdgeschosszonen der Gebäude und die Übergänge zwischen Innen- und Außenraum sowie die Bezüge zur umliegenden Stadtlandschaft. Ziel des Jubiläumstermins war es, neue Impulse zu setzen: Was können die Häuser zum Kulturforum beitragen?
Um das Fragmentarische des Standortes zu überwinden, müssen wir in einem gemeinsamen Prozess die Räume zwischen den Gebäuden konzeptuell entwickeln. Scharouns Konzept aufgreifend, stellt sich die Frage, wie sich die Idee der Stadtlandschaft heute umsetzen ließe. Wie lassen sich die heterogenen Räume zusammenbinden und als Campus denken? Das Motiv des Landschaftlichen könnte zum verbindenden Element werden und der Besonderheit des Ortes Rechnung tragen. Konkret müssen wir verbindende Grünräume gestalten, Sockelzonen neu betrachten und eine gute Lösung für die unwirtliche Piazzetta finden.
Im Rahmen unserer Jubiläumssitzung kamen die Direktorinnen und Direktoren der ansässigen Einrichtungen, der Stadtverwaltung und Politik zu einem ergiebigen Austausch zusammen. Die intensive Zusammenarbeit und der leidenschaftlich vorgetragene Wunsch der Beteiligten, den gemeinsamen und verbindenden Raum endlich zu schaffen, sind die notwendigen Voraussetzungen dafür, die architektonischen und städtebaulichen Herausforderungen zu bewältigen und mit einem Gesamtkonzept aus dem Kulturforum einen seiner historischen und kulturellen Bedeutung angemessenen, gelebten, genutzten, verbindenden, gestalterisch aufgeladenen Ort zu machen.
Deutlich mehr Grün
Zuletzt ist das Kulturforum als temporäre Baumschule mit vielen schattenspendenden Bäumen – unter der künstlerischen Leitung von Klaus Biesenbach – begrünt worden. Es sind diese Initiativen, die zukünftig weiter gestärkt werden müssen.
Erst wenn sich Gebäude und öffentliche Räume in ihrer ganzen Heterogenität einander zuwenden, ist das Kulturforum mehr als die Summe seiner hochkarätigen Teile. Hier in der Mitte Berlins brauchen wir einen einladenden Ort der Kultur und Wissenschaft, an dem einzigartiges Kulturgut zugänglich und die Aufenthaltsqualität ebenso groß ist wie der Kunstgenuss. Ein Ort, der die Erinnerung wachhält an seine Bedeutung für die Berliner Moderne: Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die späte Weimarer Republik wuchs um Stülers St.-Matthäus-Kirche herum explosionsartig das Tiergartenviertel, in dem Kunstschaffende, Galeristen und Verleger lebten. Sammler und Mäzene prägten ein außergewöhnliches Kulturviertel, das von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Auch dieser geschichtlichen Verantwortung muss ein neues Gesamtkonzept Rechnung tragen.
Mit einem klugen gemeinsamen Gesamtkonzept, mit deutlich mehr Bäumen können wir hier einen besonderen Ort entstehen lassen, der ein grünes Band vom Tiergarten zum Landwehrkanal bildet.
Petra Kahlfeldt ist Architektin und seit Dezember 2021 Senatsbaudirektorin in Berlin.