Gewerbemieten entwickeln sich unterschiedlich, sagt der neue Index des Immobilienverbands. Experten über die Entwicklung
Berliner Morgenpost vom 16.11.2024 von Isabell Jürgens

Berlin  Mit Interesse verfolgen die Berlinerinnen und Berliner die teils seit Monaten andauernden Bemühungen der Eigentümer großer Einzelhandelsimmobilien, die Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) als Mieter zu gewinnen. Verständlich, denn das Land Berlin als Vertragspartner bedeutet langfristig gesicherte Mieteinnahmen. Doch steht es um den Einzelhandel als Mieter wirklich so schlecht, dass die öffentliche Hand als Rettungsanker fungieren muss? Einzelhandelsexperten kommen mit Blick auf die Entwicklung der Gewerbemieten zum optimistischeren Ergebnis.

Vor Corona höhere Gewerbemieten an fast allen Standorten

„In den Top-1-A-Lagen von Berlin lassen sich Ladenflächen noch immer sehr gut vermieten. Den Spitzenwert erzielt die Tauentzienstraße in Charlottenburg mit 300 Euro pro Quadratmeter“, sagt Katrin Grupe, Expertin für Gewerbeimmobilien im IVD-Wertermittlungsausschuss. Der IVD ist der Immobilienverband Deutschland. Auf Platz zwei folgt der Kurfürstendamm mit 250 Euro Spitzenmiete.

Damit ist allerdings noch nicht die Höchstmarke aus Vor-Corona-Zeiten wieder erreicht, ergänzt Ronald Steinhagen, Geschäftsführer des auf einzelhandelsgenutzte Immobilien in den Top-Lagen von Innenstädten spezialisierten Maklerhauses Comfort: „An der Tauentzienstraße haben wir vor fünf Jahren sogar 340 Euro gesehen“, so Steinhagen. Insgesamt sei das Mietniveau gegenüber dem Jahr 2019 um knapp sieben Prozent gesunken. Allerdings attestiert auch der Comfort-Chef der City-West insgesamt „Mieten auf nunmehr recht stabilem Niveau“.

Gleiches gilt auch für den Alexanderplatz, der nach IVD-Recherchen mit 190 Euro je Quadratmeter auf Platz drei kommt. Comfort-Experte Ronald Steinhagen beziffert die Spitzenmieten am Alex gar mit 225 bis 275 Euro je Quadratmeter. Das sind zwar auch nach seiner Rechnung knapp elf Prozent weniger als 2019. In der Langzeitbeobachtung sei das aber immer noch ein guter Wert: Gegenüber dem Jahr 2014 sei ein Plus von 4,2 Prozent zu verzeichnen, so Steinhagen. Und angesichts des „konsumigen“ Umfelds und 300.000 Passanten täglich, die dort umsteigen, sei für Kundschaft gesorgt.

Wie sich die unsichere Zukunft des Galeria-Warenhauses am Alex auswirkt, bleibt dagegen abzuwarten. Wie berichtet, soll Galeria mit dem ehemaligen Kaufhof Ende 2025 raus. Der Eigentümer Commerz Real, die Immobilientochter der Commerzbank, will das Kaufhausgebäude innerhalb von zwei Jahren umbauen. Danach könnte Galeria in verkleinerter Form wieder einziehen. „Dass sich Warenhäuser und auch Shoppingcenter zu gemischt genutzten Immobilien entwickeln, ist erst einmal ein guter Trend, denn das belebt die Innenstädte, besonders abends“., betont Steinhagen.

Weiter an Bedeutung verloren hat dagegen die Friedrichstraße . Hier liegen die höchsten Quadratmetermieten aktuell bei 100 Euro. 2019 waren es mit 190 Euro beinahe doppelt so viel. Vor zehn Jahren waren in der Spitze sogar noch 210 Euro gezahlt worden. „Die Friedrichstraße hat in den vergangenen Jahren auch nach Aussage anderer Maklerkollegen erheblich an Bedeutung verloren, was sich auch in sinkenden Mietansätzen widerspiegelt“, sagt Katrin Grupe. An dieser Entwicklung habe die lange Testphase als Fahrrad- und Begegnungsstraße einen großen Anteil, ist sie überzeugt. Die Unsicherheit der Gewerbetreibenden sei deutlich zu spüren. Welche Auswirkungen darüber hinaus der Leerstand im Quartier 207 haben wird, in dem bis zum Sommer dieses Jahres das französische Kaufhaus Galeries Lafayette untergebracht war, müsse sich dagegen erst noch zeigen.

Steinhagen ist, zumindest für den Teil der Friedrichstraße vom Quartier 206 bis zur Leipziger Straße, skeptisch. „Einzelhandel funktioniert gut vom Bahnhof Friedrichstraße bis maximal zur Französischen Straße. Danach ist Schluss“, so seine Einschätzung.

Die Eigentümerin des Gebäudes, die Tishman Speyer Properties Deutschland GmbH, hatte vorsorglich einen Bauantrag beim zuständigen Bezirksamt Mitte eingereicht, der eine „Nutzungsänderung der Verkaufsfläche in Büro“ vorsieht, nachdem sich abgezeichnet hatte, dass die Chancen auf die begehrte Landesbibliothek eher gering sind. Ob die Zukunft als großvolumiges Bürogebäude trägt, wird sich zeigen.

Das Einkaufen, das über die Deckung des persönlichen Bedarfs hinausgeht, benötigt heute höhere Aufenthaltsqualität, ist Steinhagen überzeugt. Und sieht im Niedergang der Friedrichstraße als Handelsstandort in ihrem südlichen Abschnitt durchaus eine Chance: „Die Straße wird zwischen Französischer Straße und Leipziger Straße ein neues Gesicht bekommen“, sagt der Experte. Das werde eben nicht mehr durch Einzelhandel geprägt, sondern durch Kultur, Galerien und Gastronomie.

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