Der Abriss beginnt an diesem Mittwoch. Kritiker halten den Ersatzbau für zu groß
Berliner Zeitung vom 04.12.2024 von Peter Neumann
An diesem Mittwoch ist es so weit: Berlins Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) gibt in Mitte den Startschuss für eines der größten Verkehrsprojekte in der Stadt. Die Mühlendammbrücke, die im östlichen Stadtzentrum zwischen dem Nikolaiviertel und der Fischerinsel in Mitte die Bundesstraße 1 über die Spree führt, wird in zwei Etappen abgetragen und neu errichtet. Am Vormittag wird der Baubeginn gefeiert.
So viel steht fest: Autofahrer, die auf dem Ost-West-Straßenzug heute schon fast täglich im Stau stehen, werden in den kommenden fünf Jahren mehr Zeit einplanen müssen. Auf der Mühlendammbrücke, wo es einst drei Fahrstreifen pro Richtung gab, steht für Kraftfahrzeuge bis auf weiteres nur noch jeweils eine Fahrspur zur Verfügung.
Die Planer sehen keine Alternative zum Ersatzneubau. Das 116 Meter breite und 45,2 Meter lange Bauwerk, das zu DDR-Zeiten 1968 entstand, kann als tickende Zeitbombe angesehen werden. Sensoren, die es rund um die Uhr überwachen, haben bereits mehrmals angeschlagen. „Das bedeutet, dass Spanndrähte gerissen sind“, sagte Arne Huhn, Brückenbau-Chef der Senatsverwaltung, der Berliner Zeitung. Die Stahllitzen sollen der Spannbetonbrücke Stabilität verleihen. Wenn immer mehr Drähte reißen, nimmt die Standfestigkeit immer weiter ab. Bereits 2021 war ein 4,60 Meter langer Riss im Beton entdeckt worden. Heute ist die Lage so ernst, dass Senatsplaner nicht garantieren können, wie lange die Brücke noch durchhält.
Dass die Mühlendammbrücke unter besondere Beobachtung gestellt werden muss, war seit dem 30. August 2018 klar. Damals entdeckten Prüfer bei einer Routineuntersuchung an der Elsenbrücke zwischen Friedrichshain und Treptow einen 28-Meter-Riss im östlichen Überbau des ebenfalls 1968 fertiggestellten Bauwerks. Er war einer der größten Schäden dieser Art. Der Spannstahl stammte aus dem VEB Stahl- und Walzwerk Wilhelm Florin in Hennigsdorf und war offenbar nicht fachgemäß verbaut worden. Der zweite Vertreter dieses speziellen Typs ist die Mühlendammbrücke .
Wie die Spreequerung in Mitte und die teilweise eingestürzte Carolabrücke in Dresden besteht sie aus Stahlhohlkästen. In diesem Fall befinden sich jeweils 448 Spanndrähte aus Hennigsdorfer Spannstahl darin. 2022 ließ der Senat 96 Sensoren installieren, die das Bauwerk akustisch überwachen. Nachdem sie mehrmals im nordwestlichen Überbau anschlugen, auf dem heute der Verkehr konzentriert ist, gab es zuletzt im südöstlichen Brückenteil Alarm. Dieser bereits gesperrte Überbau wird nun als erstes abgetragen.
Anfang Januar 2025 soll der eigentliche Abbruch beginnen, hieß es. Unter der Mühlendammbrücke werden Stützen in der Spree aufgestellt – ihre Zahl wird jetzt mit 48 beziffert. Auf diese Pfeilerreihe wird der südöstliche Überbau als Ganzes abgesenkt. Anschließend beginnt das beauftragte Unternehmen damit, die Spannbetonkonstruktion in große Stücke zu zerteilen. Schuten bringen sie auf dem Wasserweg in Richtung Osten, wo sie abgeladen, am Ufer weiter zerkleinert und schließlich abgefahren werden.
Die Senatsverwaltung hat den bisherigen Zeitplan jetzt noch einmal bestätigt. Danach soll die südöstliche Hälfte der alten Brücke Mitte des kommenden Jahres verschwunden sein. An ihrer Stelle entsteht ein neues Bauwerk , dessen Fertigstellung für 2027 vorgesehen ist. Dann kann der Straßenverkehr auf diesem Überbau konzentriert und die andere Hälfte abgetragen werden. 2029 soll die Brücke wieder komplett ist.
Um die neue Brücke hatte es vor einigen Jahren heftigen Streit gegeben. Der Architekten- und Ingenieurverein, die Planungsgruppe Stadtkern im Bürgerforum Berlin sowie der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland äußerten Bedenken. Kritiker sprachen 2021 von einem „höchst fragwürdigen Verkehrsprojekt “, bei dem die Bürger bisher nicht mitreden durften, und von einem „Betonbrett“, das viel zu breit ausfalle. Die Chance, diesen Bereich des historischen Zentrums stadt- und klimaverträglich umzubauen, werde vertan, so die Kritik am Senat. Gefordert wurde ein Planfeststellungsverfahren mit Bürgerbeteiligung. Schließlich werde die Brücke nicht 1:1 neu errichtet, die Breite der neuen Brücke soll 87 Prozent der alten betragen – was aber immer noch zu viel sei.
Die damalige Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) hielt dagegen. Bislang passierten im Schnitt an Werktagen rund 72.800 Autos sowie über 2500 Lastwagen auf dem Mühlendamm die Spree. Das sei eine große Verkehrsmenge , hieß es. Zwar erwartet der Senat, dass die Belastung nach dem Umbau des benachbarten Molkenmarktes sinkt – aber nur um zehntausend Kraftfahrzeuge pro Tag.
Deshalb sieht der Entwurf der Büros COBE und Arup (Kopenhagen/ Berlin ) eine neue Brücke vor, die „ verkehrswendetauglich “ sein soll. Je nach Wunsch und Bedarf können die Verkehrsflächen umverteilt werden, hieß es. So werde es für den Kraftfahrzeugverkehr zunächst zwei Fahrstreifen pro Richtung geben. Wenn der Verkehr zurückgehe, könne der Raum für Autos auf jeweils eine Fahrspur verengt werden.
Die Brücke wird so ausgelegt, dass in der Mitte zwei Straßenbahngleise verlegt werden können. Allerdings sehen die Sparbeschlüsse der CDU/SPD-Koalition vor, dass die Planungen für die Verlängerung der M4 vom Alexanderplatz zum Potsdamer Platz und weiter zum Kulturforum gestoppt werden. Auf jeden Fall verwirklicht werden die geplanten geschützten Radfahrstreifen an den Fahrbahnrändern sowie die Einfassung der geplanten breiten Gehwege mit Bänken und Pflanzkübeln. Anders als die alte Mühlendammbrücke soll die neue ein Ort werden, an dem man sich gern aufhält, hieß es.