Berlin. Die Gesellschaft Historisches Berlin mahnt: Das Land setzt falsche Prioritäten im Umgang mit denkmalgeschützten Immobilien.
Morgenpost vom 20.12.2024 von Isabell Jürgens
Das Kinderkrankenhaus Weißensee, die Ausflugsgaststätte Riviera in Grünau oder das legendäre Strandbad Wannsee: Der desolate Zustand dieser drei Bauwerke verdeutlicht nach Auffassung der Gesellschaft Historisches Berlin (GHB), dass das Land Berlin als Eigentümer vieler denkmalgeschützter Immobilien versagt. „Die Senatsverwaltungen, insbesondere das Landesdenkmalamt und die landeseigene BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH, setzen im Umgang mit denkmalgeschützten Immobilien falsche Prioritäten“, sagt Gerhard Hoya, Vorstandsvorsitzender der GHB.
Das Land Berlin ist Eigentümer vieler Immobilien, die entweder zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung in die Denkmalliste eingetragen waren oder in den Folgejahren eingetragen wurden. „Jahrelang wurden nicht genutzte und Immobilien im ruinösen Zustand an undurchsichtige, ausländische Investoren verkauft“, wirft Hoya dem Berliner Senat vor. Die Kaufverträge seien für das Land Berlin oft nicht vorteilhaft und geben dem Senat wenige Rechte für eine Rückabwicklung, wenn der Käufer seinen Pflichten nicht nachkomme und die Bauten verfallen. Folgend Beispiele zeigen den laut GHB unwürdigen Umgang mit denkmalgeschützten Gebäuden.
Kinderkrankenhaus Weißensee in Pankow
Das zwischen 1909 und 1911 errichtete Kinderkrankenhaus Weißensee wurde 1995 unter Denkmalschutz gestellt und zwei Jahre später geschlossen. Danach fiel das Gelände in einen Dornröschenschlaf und wartet bis heute auf eine sinnvolle Nachnutzung. 2006 legte die MWZ Bio Resonanz GmbH ein Nutzungskonzept zum Betrieb eines Krebsforschungszentrums vor. Umgesetzt wurde dieses Sanierungsprojekt nicht, der Investor ließ das Gelände verfallen. Per Gerichtsurteil ging das Gebäude 2015 wieder in die Eigentümerschaft des Landes Berlin zurück.
Leerstand, Einbrüche und Brände ließen die Bauten zu Ruinen verkommen. Nur mit einem Notdach konnte das Berliner Immobilienmanagement noch Schlimmeres verhindern. Der Verfall der Gebäude ist bis heute nicht gestoppt. „Es handelt sich bei dem ehemaligen Kinderkrankenhaus Weißensee um das traurigste Denkmal Berlins. Es ist heute eine Brandruine und ein Zeugnis von beispiellosem Behördenversagen“, sagt Hoya.
Gesellschaftshaus und Kavaliershaus Riviera in Grünau
Die legendären Ausflugslokale am Ufer der Dahme entstanden am Ende des 19. Jahrhunderts und waren weit über die Grenzen Berlin-Grünaus bekannt. 1977 wurde das städtebauliche Ensemble unter Denkmalschutz gestellt. Mit Schließung des Lokalbetriebes 1991 ging das Gelände in den Besitz der Treuhand Liegenschaftsgesellschaft über. Das Kavaliershaus wurde 1999 abgerissen. 2006 übernahm eine türkische Unternehmerin das Ensemble. Auf die Festlegung denkmalpflegerischer Auflagen wurde im Kaufvertrag verzichtet. Mangelnde Pflege führte zum Verfall. Der Kaufvertrag mit der Eigentümerin wurde 2017 in beiderseitigem Einvernehmen aufgehoben.
Die Terragon Projekt GmbH erwarb Grundstück und Gesellschaftshaus mit dem Ziel, es in eine Seniorenwohnanlage zu integrieren. Die Genehmigung für den ersten Bauabschnitt wurde im Januar 2019 erteilt, der Riviera-Saal nach den originalen Bauunterlagen als Einzelgebäude wieder hergerichtet. Der größte Teil der denkmalgeschützten Bausubstanz ist infolge von illegalen Abrissen und einem Brandschaden im Gesellschaftshaus nicht mehr vorhanden.
Strandbad Wannsee in Zehlendorf
Der denkmalgeschützte Gebäudekomplex mit einer Länge von 540 Metern wurde von 1929 bis 1930 nach Entwürfen des Architekten Richard Ermisch und des Oberbaurates Haenisch errichtet. „Für viele Gäste sieht es so aus, als wäre es schmutzig, aber es ist seit Jahren von Verfall bedroht“, sagt Hoya. 1996 wurde das Lokal „Lido“ geschlossen, das seitdem verfällt, genau wie drei von vier Umkleidehallen, die nicht mehr genutzt werden.
Als das Strandbad in den Jahren 2005 bis 2007 teilweise saniert wurde, blieb das „Lido“ außen vor: Weil die Behörden nur der gastronomischen Nutzung für das Sommerhalbjahr und nicht das ganze Jahr über zugestimmt hatten, hätte sich die teure Sanierung nicht gelohnt, nennt Hoya als Grund. Wenn man noch weitere Jahre mit der Sanierung der denkmalgeschützten, ikonischen Strandbadgebäude warte, sei das Gebäude unrettbar verloren.
Kritik an Mäusebunker und Wilhelmstraße
„Verlassene Bürogebäude, ehemalige Krankenhäuser, Sportstätten, Badeanstalten, Funkhäuser, Botschaftsgebäude, Herrenhäuser, Gasthäuser oder aufgegebene Militäreinrichtungen verfallen, und der Senat und die nachgeordneten Behörden schauen dem Verfall zu“, sagt Hoya. Das so genannte Urban Exploring, das Erkunden von verlassenen Orten, übe eine unwiderstehliche Faszination auf Menschen aus und entwickele sich zu einem beliebten Hobby.
Ihren Charme verdanken die Lost Places dem Zahn der Zeit, der an ihnen nagt, wodurch die Gebäude oft baufällig sind, weswegen das Betreten der Gelände oft verboten ist. Doch die Kehrseite: „Die verlassenen Orte, um die sich schon seit Jahren niemand mehr kümmert, sind eine Wunde im Stadtbild und ein kultureller und materieller Vermögensverlust.“
Stattdessen, so der Vorwurf, würden immer mehr aus Sicht der GHB nicht schutzwürdige Immobilien unter Schutz gestellt, wie beispielsweise die Plattenbauten an der Wilhelmstraße in Mitte oder der so genannte Mäusebunker in Lichterfelde, die ehemalige Forschungseinrichtung für Experimentelle Medizin der Charité (FEM). Anstatt die seit langem auf der Denkmalliste stehenden Gebäude zu retten, führe die Verlängerung der Liste aktuell nur dazu, dass für weitere Gebäude eine Veränderungssperre Umnutzungsmöglichkeiten beschneide und notwendige Sanierungen erheblich verteure.