Wie sich der Städtebau um 1200 veränderte
Tagesspiegel vom 03.01.2025 von Ralf Brockschmidt
Berlin wird 1237 erstmals urkundlich erwähnt: Auf diesem Datum basieren alle Stadtjubiläen. Aber ist das überhaupt richtig? Laut Matthias Wemhoff, Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin , ist die Stadt eigentlich älter. Heute könne man die Gründung einer Stadt besser belegen, sagt der Berliner Landesarchäologe. „1237 war alles schon längst gelaufen. Am Petriplatz wurden die ältesten Gräber deutlich vor 1200 angelegt“.
Genauer erläutert Wemhoff das im Buch „Gründerzeit 1200. Wie das Mittelalter unsere Städte erfand“, dass er mit der Historikerin und Fernsehautorin Gisela Graichen kürzlich veröffentlicht hat. In der Zeit entstanden Städte, wie wir sie heute kennen. „Die Mittelalter-Archäologie wiederum beginnt Ende der 70er Jahre, und zwar in Folge des europäischen Denkmalschutzjahres 1975“, sagt er. Das Jahr war ein Wendepunkt, seither gilt in der EU der Erhalt von historischen Bauten als wichtige Kulturaufgabe.
Seither lieferte die Disziplin laut Wemhoff wesentlich mehr und präzisere Daten zur Stadtentwicklung , auch dank „modernster naturwissenschaftlicher Methoden“. Davor hätten vor allem Historiker das Bild vom Mittelalter geprägt, auf der Basis von Textquellen. Rund 200 alte Städte aus römischer und karolingischer Zeit verzeichnete das damalige Deutsche Reich. Zwischen 1150 und 1250 gab es eine Art Boom, erklärt Wemhoff: Plötzlich entstanden etwa 1000 neue Städte.
Überholt sei auch die Idee von der „Stadt aus wilder Wurzel“. „Der Planungsprozess wurde völlig unterschätzt. In Lübeck hat man innerhalb von zwei Jahren erst die Grundstücke erschlossen, sie bebaut und dann verkauft.“ Städte seien nun auf die Bedürfnisse ihrer Bürger zugeschnitten worden, Eigentum sei entstanden. „So blieb die Parzellenstruktur bis heute weitgehend erhalten.“ Als Beispiel verweist Wemhoff auf Gründungen aus Brandenburg, wo der Landesherr um 1200 Spezialisten mit der Planung und Umsetzung beauftragte, um etwa Städte wie Neubrandenburg, Prenzlau und Frankfurt Oder zu gründen.
Neue Strukturen etablieren sich
An Berlin kann man eine Innovation der neuen Städte der Zeit beobachten: Ein großer Markt, der unabhängig von Straßen angelegt wurde. Der Molkenmarkt habe sich noch aus einem Straßenmarkt heraus entwickelt, so Wemhoff. „Aber der wenig später entstandene Neue Markt ist Ergebnis einer bewussten Planung im Zuge der rasanten Stadterweiterung.“
Auch die Doppelstadt, das war damals Cölln und Berlin , mit zwei Rathäusern war nach Wemhoff damals eine Neuheit. So konnten die Stadtgründer – möglicherweise war neben dem Markgrafen noch eine weitere Person beteiligt – mehr Bürger zur Ansiedlung motivieren. Um 1220 waren in Cölln und Berlin bereits so viele Grundstücke vergeben, dass mit der Marienkirche ein neuer Stadtteil gegründet wurde.
Günstig für die Entstehung der Städte um 1200 war auch das damals wärmere Klima, das die Landwirtschaft begünstigte und so die Rahmenbedingungen für eine wachsende Bevölkerung schuf. Dörfer wurden ebenfalls planvoll gegründet. Jedes Dorf musste eine Kirche haben, und so entsteht allmählich ein Netzwerk, das die Märkte der Städte versorgt und sie für Neusiedler attraktiv macht. Mit dem Ausbau der Städte florieren auch Handwerk und Gewerbe.
Wichtige Bestandteile eines erfolgreichen „Stadtmarketings“ waren um 1200 neben der Stadtkirche weitere Klöster für das geistliche Leben, ein großer Markt sowie ein freier und sicherer Rahmen für Handel und Handwerk. „Die Landesherren erkannten, dass Städte, in denen die Bürger und Kaufleute Rechtssicherheit fanden, gut für die Entwicklung ihrer Territorien waren“, sagt Wemhoff.
Der Gründungsboom um 1200, das zeigt das lesenswerte Buch, erklärt einige Prägungen unserer heutigen Städte.