Nach vielen Irrungen und Wirrungen hat das Land wieder seine Repräsentanz Unter den Linden . Unser Architekturkritiker freut sich.
Berliner Zeitung vom 17.01.2025 von Hans Wolfgang Hoffmann

Polens neuer Botschaftsbau feiert heute seine Eröffnung am Prachtboulevard Unter den Linden . Bislang mussten die Polen ihre behördlichen Angelegenheiten in einer Villa in der Nähe des Grunewalds erledigen. Doch damit ist jetzt Schluss. Die neu errichtete Botschaft steht mitten im Herzen Berlins , wo schon einmal ein polnischer Botschaftsbau stand. Aber dazu gleich mehr. Die Vorgeschichte hat es jedenfalls in sich.

Die neue Adresse der polnischen Botschaft, Unter den Linden 70-72, ist hochkarätig. Deutschlands Regierungszentrale lässt sich fußläufig erreichen. Die Repräsentanten Russlands und Frankreichs sowie jene der EU und der USA residieren kaum einen Steinwurf entfernt. Sie alle sind für Polen existenziell. An das Grundstück kam Polen, als die meisten dieser Mächte in Ostberlin nicht vor Ort waren und die Gegend im Schatten der Berliner Mauer lag, also 1964. Die ersten Botschaftsarchitekten stellte die DDR gleich mit. Emil Leibold und Christina Seyfarth eröffneten einen Montagebau mit Stahl-Glas-Front. Einzig Fritz Kühn Entree-Wand aus kunstvoll geätzten Lindenblättern koppelte das Konstrukt an den Ort. Derartiges Vorgehen war seinerzeit universell, in Ost wie West: Blockübergreifend wurde International Style gewählt, um ja nie wieder via Volkstümelei in Weltkriege zu schlittern.

Mit dem Mauerfall, welcher weiland als Ende der Geschichte gelesen wurde, erschien diese Lektion obsolet. Ihre Zeugnisse fielen fast so schnell wie der Schutzwall selbst, besonders in Berlin. Die Polen, welche anders als ihre westlichen Nachbarn mit der Wende auf sich allein gestellt waren, hielten vorerst an ihrer Linden-Botschaft fest: Um mit dem deutschen Hin-und-Her zwischen Rhein und Spree Schritt zu halten, hatten sie schlicht zu wenig Złoty. Noch 1999 planten sie – inzwischen die Perspektive EU-Beitritt im Rücken – nicht mehr als die Modernisierung des Altbaus.

Die Aufnahme in den europäischen Staatenbund stabilisierte die Wirtschaft beiderseits der Weichsel. Ende der Nullerjahre schwenkte das Land 2009 um auf Abriss und Neubau. Nachdem sich etliche andere Staaten in Berlin und Warschau genuine Schaufenster errichtet hatten, wollte Polen so etwas auch. Ein erster Entwurfsauftrag ging an Altmeister Marek Budzyński, durch den in Polens Hauptstadt der Oberste Gerichtshof und die Uni-Bibliothek zu grünen Ruinen-Landschaften geworden waren.

Gegen ein solches Ökotopia sperrten sich indes die Berliner Behörden, die mit dem Abriss des Ostmoderne-Denkmals kein Problem hatten. Sie schoben das sogenannte „Lindenstatut“ vor („ Satzung zum Schutze der Straße Unter den Linden und ihrer Umgebung “), das am gleichnamigen Boulevard – mit Ausnahme der Akademie der Künste – bei allen Nachwende- Bauten durchgesetzt worden war. Polen, von souveränen Auftreten noch ein gutes Stück entfernt, zog zurück.

Für das jetzt Realisierte brauchte es einen weiteren Anlauf. In der dritten innerpolnischen Ideenkonkurrenz zur Linden-Botschaft siegten JEMS Architekci. Diese 1988 gegründete Entwurfsgemeinschaft steht wie keine zweite für Polens Karriere seit der Wende. Ihre unzähligen Kultur-, Gewerbe- sowie Wohnbauten künden vom Wohlstandszuwachs nach dem EU-Beitritt. Von dem, was überall sonst in Europa entsteht, sind sie optisch kaum zu unterscheiden. Den Durchbruch feierte das Büro mit einem Grundpfeiler der polnischen Demokratie – dem Haus der Gazeta Wyborcza, zu Deutsch: „Wahlzeitung“. Als Solidarność-Blatt hatte es im Frühsommer 1989 den ersten halbwegs freien Urnengang im Ostblock sichergestellt. Knapp eine Dekade später formten JEMS die Warschauer Verlagszentrale zum nach innen wie außen barrierelosen Marktplatz für die neue Zeit. Mit „Agora“ trägt sie den passenden Namen.

Ebenjene vielfach verschränkten Höfe, Atrien und Foyers standen für die Botschaft in Berlin Pate. Allein: Anders als in der Weichsel-Metropole legt sich keine Vollverglasung davor, sondern eine die steinernen Normen von Spree-Athen genau einhaltende Schauseite. Polishness solle sich vor allem in Sensibilität und Angemessenheit manifestieren, erklärte der hauptverantwortliche JEMS-Architekt Marcin Sadowski, einer der jüngeren Partner. Da dermaßen Artiges Berlin inzwischen verstopft, erzeugte der Entwurf in der hiesigen Öffentlichkeit bestenfalls Aufstöhnen.

Der fertige Bau entlarvt diese Reaktion als dünkelhaft. Denn wo die normgerechten Gebäude der Umgegend alle eine mehr oder minder platte Front haben, erhebt sich bei der Polnischen Botschaft ein haushoher Laubengang. Im Erdgeschoss zweigt davon ein Markenzeichen des Vorgängerbaus ab, um das sich andere Hausherren wohl weniger bemüht hätten: Achim Kühn holte das Werk seines Vaters aus dem Depot und restaurierte alle 224 gefalzten Aluscheiben. Die Lindenblattwand ragt nun in den Empfangshof, wo seit 7. Januar die Flaggen Polens und Europas aufgepflanzt sind.

Vor allem nachts – wenn nur dieses Atrium sowie die innere Mitte des Laubengangs erhellt werden, der linden-seitige Rest aber dunkel bleibt – entfaltet das Entree eine Sogwirkung, welche der allseits geschätzten Akademie der Künste kaum nachsteht. Die Interieurs der Botschaft überraschen durch ihre Uferlosigkeit: 12.000 Quadratmeter scheinen üppig, selbst wenn unter den Nachbarn der Deutschen Polen auf Platz zwei steht. Zudem gibt es erstaunlich viele Schiebetüren. So etwas ist erfahrungsgemäß häufiger offen als geschlossen, also normalerweise nichts für diplomatische Kreise.

Diese Details machen die Botschaft natürlich nicht zum großen Wurf. Sie könnte dazu werden, würden ihre Räumlichkeiten entsprechend bespielt. Das Polnische Kulturinstitut, das am Standort Burgstraße aus allen Nähten platzt, wartet darauf. Dasselbe gilt für den Laubengang, der ein nie erlebtes Linden-Gefühl offeriert, bis dato aber nur wenigen zugänglich ist. Zugleich hat die gewählte Architektur ihre Grenzen.

Polens seit dem Überfall auf die Ukraine sprunghaft gestiegene geostrategische Bedeutung vermittelt sich allein aus der Adresse. Von der krisenfesten Dynamik seiner Wirtschaft, die nicht nur Warschau mit Wolkenkratzern zupflastert, mochte das Bauen der Botschaft künden – die fertige Form tut es nicht. Zur innerpolnischen Politik, deren Konflikte hierzulande die Berichterstattung dominieren, herrscht Schweigen. Die Einweihungsparty selbst – so ließ die Mundpropaganda im Vorfeld vermuten – dürfte den Charakter einer Familienfeier annehmen. Nach all dem, was Deutsche Polen angetan haben, ist das eine übermenschliche Leistung!

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