Am Petriplatz erhält das wurzellose Berlin einen neuen Ort zur Selbstfindung: das Archäologische Haus. Sein Highlight liegt im Untergrund
Berliner Zeitung vom 13.01.2025 von Maritta Tkalec
Innen hui – außen pfui, so lässt sich das neue Archäologische Haus am Petriplatz beschreiben. Innen 800 Jahre alte Zeugen aus der Gründungszeit der Stadt – das grandioseste Archäologische Fenster weit und breit sowie zweckdienliche, schöne Werkstätten für Restauratoren, alles vorbereitet auch auf neugierige Besucher. Außen öde Kubenstapel bedeckt mit Mausgrau-Putz.
Eigentlich war es eine tolle Idee für das geschichtsvergessene Berlin , am Petriplatz – wo um 1230 die erste Kirche entstand, um sie herum ein Friedhof, wo um 1160 die ersten Berliner beerdigt wurden, wo in der ersten bekannten Schule der Stadt Lateinunterricht stattfand – einen Ort für die Erkundung der Berliner Vergangenheit zu bauen . In dem neuen Haus, genannt Petri, sollen all die wunderbaren archäologischen Funde der jüngeren Zeit eingehen, erfasst, katalogisiert und erforscht werden. „Das ist Arbeit für Jahrzehnte“, sagt Professor Matthias Wemhoff, als Landesarchäologe und Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte auf der Museumsinsel und Hausherr des neuen Zentrums.
Mehr noch: Das Petri wird die Türen weit offenhalten für Besucher; sie werden den Restauratoren in deren Werkstätten buchstäblich auf die Finger schauen, deren Arbeit vom Eingang der Objekte bis ins Depot verfolgen können und deren Mühen um Geschichtserkenntnis und -bewahrung verstehen.
Im Sommer 2025 wird das Archäologische Haus öffnen, derzeit legen Handwerker Leitungen, bauen Möbel auf, erste Objekte ruhen in Regalen, ein Teil der Altbestände des Museums, darunter wertvollste Gegenstände aus der Vor- und Frühgeschichte des Berliner Raums, liegen bereits in den neuen Regalen.
Die künftigen Arbeitsplätze der Restauratoren werden eingerichtet. Holz, Glas, Metall, Keramik, große wie ganz kleine Objekte kommen auf die Tische oder auch in die Röntgengeräte, eine detektivische Arbeit. Wemhoff freut sich: „Das ist doch irre, Werkstätten am authentischen Ort, dazu direkt in der Stadt, mitten im Leben – und fußläufig zu den laufenden Ausgrabungen am Molkenmarkt .“ Die ungewöhnliche Kombination von Arbeit und stetem Besucherstrom werde dem Restauratorenteam zwar einiges abverlangen, denn sie würden dann ja immer unter den Augen der Öffentlichkeit arbeiten. Aber man freut sich drauf. Und für den Fall, dass es wirklich mal stört, gibt es Vorhänge.
An den Anfängen der Stadt
Doch die wahren Stars des Hauses liegen mit grandioser Präsenz im Untergeschoss: die alten Fundamente der Cöllnischen Lateinschule. Sie umfangen den Besucher, denn der Rundgang beginnt mit dem Abstieg in die Stadtgeschichte. Hier steht man auf der Ebene der Stadtentstehung vor 800 Jahren, blickt auf mächtige Feldsteine, aus denen die Erbauer die Grundmauern der ersten festen Häuser legten.
Matthias Wemhoff führt zum Allerältesten rechts hinten in der Ecke des riesigen Raumes, zeigt auf das freigelegte Pflaster der Scharrenstraße, eine der ersten Straßen der Stadt, benannt nach den Marktständen, an denen überwiegend Fleisch angeboten wurde. Schichten dunkler Ablagerungen sind zu erkennen: Schmutz vom Straßenpflaster, Abfall, Holzkohlenreste. „Hier sind wir wirklich an den Anfängen der Stadt“, sagt der Landesarchäologe durchaus andächtig.
Hinter einer der dicken Mauern ist auch das mächtige Fundament des Petrikirchturms zu bestaunen und ein Rest des spätgotischen Vorgängerbaus, vermutlich stand an dieser Stelle schon im späten 12. Jahrhundert eine erste Kirche. Leider sei zu wenig erhalten, um dessen Baugeschichte aufzuklären, sagt Wemhoff.
Ohne störende Träger spannt sich über der alten Welt die Decke; der riesige, schön ausgeleuchtete Raum mit Bodenpflaster nach historischem Vorbild bleibt auch im Winter unbeheizt und frische Luft zieht ständig hindurch. „Erhaltungsklima“, sagt Wemhoff, die wertvollen Relikte sollen keinesfalls von Zerstörern wie Schimmel befallen werden.
In einem etwas abgelegenen Teil befindet sich das Ossarium, das die Gebeine von einst auf dem Friedhof rund um die Petrikirche beerdigten 500 Stadtbewohnern aufgenommen hat, darunter die ersten hier zur Ruhe gelegten – sie sind 2024 in feierlicher Prozession an den Ort zurückgekehrt, wo sie bis zu den archäologischen Ausgrabungen bestattet waren. Claudia Melisch, die Ausgrabungsleiterin, hat keine Anstrengung gescheut, um diesen Menschen wieder eine würdevolle Ruhestätte zurückzugeben.
„An diesem Ort kommen wir miteinander ins Gespräch: Die alten Berliner und die heutigen – und dazwischen wirkt die Forschung“, so erläutert Wemhoff die Grundidee des Hauses. Es erfülle sich auch ein Wunsch vieler Berliner , die die Ausgrabungen am Petriplatz mit großem Interesse verfolgt hatten. Wemhoff sagte schon 2016 in einem Interview mit der Berliner Zeitung: „Die Menschen fingen an, sich in großen Scharen für die Entstehung der Stadt zu interessieren. Alle waren überrascht: Auf diesem öden Verkehrsraum , da soll einmal ein Zentrum von Berlin gelegen haben? Da standen Kirche und Rathaus? Eine Doppelstadt? Als die Funde vorlagen, wurde alles real.“
Tatsächlich hatten sich Berlin östlich der Spree und Cölln westlich davon als eigenständige Städte parallel entwickelt. Die Urkunde von 1237, die älteste urkundliche Nennung der Stadt, erwähnt Symeon, Probst zu Cölln. Die Existenz Cöllns als Schwesterstadt Berlins ist spätestens seit der Abtragung der kriegsbeschädigten Petrikirche 1960 bis 1964 aus dem Gedächtnis der Stadt fast verschwunden. „Jetzt können wir unter anderem die Siedlungsgeschichte der Ausbauphase um 1220 rekonstruieren“, sagt Wemhoff.
Über dem sensationellen Kellergeschoss geht es sieben Etagen nach oben – auf jeder Ebene liegen Werkstätten, Magazine und Besucherareale, wo Museumspädagogen vom Team Petri das zu Sehende erklären. Wände und Decken dieser Bereiche präsentieren sich als Ort der Arbeit, nicht museal. Rohre und Leitungen liegen offen, die Wände zeigen raue Oberflächen.
Die Besucher werden den gesamten Arbeitsprozess verfolgen, alle Schritte archäologischen Arbeitens sehen können. In den Magazinetagen („Dort liegt unser Allerheiligstes“) geben Schaudepots einen Einblick in die Aufbewahrung der Schätze. Dort wird auch ein Teil der berühmten Troja-Sammlung zu sehen sein, die Heinrich Schliemann, Ausgräber der antiken Stadt Troja, Berlin vermacht hat.
Das wirkt alles überzeugend und verspricht, ein wichtiger Ort für Berliner zu werden, vor allem für Schulklassen. Entstanden ist er in Kooperation von Landesdenkmalamt und Museum für Vor- und Frühgeschichte. Der Landeskonservator Christoph Rauhaut hat dieses Projekt vehement unterstützt, und er leitet es gemeinsam mit dem Landesarchäologen. Die Finanzierung des Besucherzentrums durch das Land ist durch einen Vertrag mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz gesichert, das Besucherzentrum wird als Abteilung des Museums für Vor- und Frühgeschichte geführt.
Aber was haben sich die Architekten und vor allem der Bauherr, die Stadt Berlin, nur bei der Formgebung und Fassadengestaltung gedacht? Abweisende Wände mit größeren und kleineren Löchern – von innen empfindet man sie als großzügige Fenster, von außen als bloße Maueröffnung. Kläglich wirkt der Versuch, an der Eingangsseite an der Grunerstraße mit einer Arkadenfront ein schüchternes architektonisches Element anzubringen.
Es heißt, man habe Anklänge bei der Nachbarschaft aufgenommen – nebenan ruht derzeit die Baugrube des Drei-Religionen-Projektes House of One, das, wenn es fertig werden sollte, der Berliner Bunkerarchitektur einen weiteren Auftritt verschaffen wird: grobe Kuben, abweisende, verschlossene Wände. Fatalisten erkennen in beiden Bauwerken die Fortsetzung der Architektursünden zwischen Molkenmarkt und Spittelmarkt mit dem Tiefpunkt an der Fischerinsel, dem inzwischen berühmten blau-weißen „Banalitätsmonster“.
Bitte Fassade zuwuchern lassen
Auch Matthias Wemhoff sieht nicht besonders glücklich aus, als er auf das Thema angesprochen wird. Ja, es herrsche in Berlin wenig Feingefühl für den Ort, wo etwas gebaut werde – nicht nur am Petriplatz, sagt er. „Man schaut zu einseitig auf die jeweilige Funktion und vergisst darüber, dass Stadt vor allem auch gestalteter öffentlicher Raum ist“, findet der Landesarchäologe. Der Siegerentwurf des Architekturwettbewerbs von 2013 habe ja noch eine verklinkerte Fassade vorgesehen, erinnert er sich.
Backsteinziegel – das wäre ein für Berlin charakteristischer, regionaler Baustoff , den die Altvorderen vielfältig zu gestalten wussten. Eine Klinkerfassade zusammen mit den Arkaden am Eingang hätte der Berliner Landesarchäologe noch in Ordnung gefunden. Nun spart er sich weitere Worte, immerhin habe man nun den lange erträumten Arbeitsplatz inmitten des lebendigen Berlin . Als Stadtbewohnerin wünscht man sich, dass an allen denkbaren Stellen umgehend schnell wachsender Wilder Wein gepflanzt wird, damit der Blick an den tristen Wänden nicht regelmäßig ertrübt.
Aber der Wein könnte womöglich vor lauter Lichtmangel gar nicht wachsen, denn das Archäologische Haus werden rechts und links die Wände von Nachbarhäusern in knappem Abstand bedrängen – rechter Hand das House of One, links, wo heute noch eine kleine Grünfläche liegt, ist irgendwann auch ein Bau vorgesehen. Besser wäre es sicherlich, findet Wemhoff, wenn einige große einladende Transparente auf der Brandwand eine Einladung an die vielen hier im Stau stehenden Autofahrer zur Entdeckung der Archäologie aussprechen könnten.
Einen letzten kleinen charmanten Winkel findet der von den Langweilerfassaden der Nachbarschaft erschlagene Mensch heute noch mit dem 1898 neugotisch errichteten Juwel-Palais, heute Hochzeitausstatter, und wenigen anderen zwischen dem Reich der Autos auf der Grunerstraße und den sehr schlichten Ost-Plattenbauten entlang der Scharrenstraße ausharrenden historischen Häuser. In einem residiert das Café am Petriplatz. Das kleine Ensemble wirkt wie erdrückt.
Betritt man die als Loggia angelegte Terrasse auf dem Petri-Dach, breitet sich das Panorama des Schreckens aus. Die maßlose Straßenfläche liegt zwischen Molkenmarkt und Spittelmarkt , zwei der ältesten Plätze – einer auf der Berliner , einer aus der Cöllner Seite. Als Verbindung entstand schon um 1200 der Mühlendamm . Er gilt als die Keimzelle der mittelalterlichen Schwesterstädte. Dort arbeiteten wassergetriebene Mahl- und Walkmühlen, Sägen et cetera. Hier lag das frühe Energie- und Kraftzentrum des Gemeinwesens.
Hier hat sich in den vergangenen 20 Jahren Architektur der traurigsten Art breit gemacht.
Da bleibt nur, in den Himmel über Berlin blicken und um Erlösung zu bitten.
Wieder am Boden, aus dem Inneren heraustretend, steht man linker Hand vor einem Bodenmosaik: Da kichert ein Skelett! Und es fährt einem die Erinnerung an das würdevolle Ossarium, das Andenken an die Stadtgründer, buchstäblich in die Knochen. Das lustige Gerippe soll „Kunst am Bau “ sein, war zu hören. Was für ein missglücktes Scherzchen.
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