Am Gründungsort Berlins soll ein Quartier mit „eigenständiger Strahlkraft“ entstehen. Die Ausschreibung weckt Zweifel, ob das gelingen kann.
Morgenpost vom 10.02.2025 von Isabell Jürgens

Die Erwartungen an die Teilnehmer des Architekturwettbewerbs für die Bebauung am Gründungsort Berlins sind hoch. Am Molkenmarkt , wo noch bis Ende dieses Jahres Archäologen nach Zeugnissen der 800-jährigen Siedlungsgeschichte suchen, soll ein „zukunftsfähiges und innovatives Quartier mit einer innenstadttypischen Nutzungsmischung für eine dauerhafte Standortattraktivität“ und „Strahlkraft“ entstehen, heißt es in der Ausschreibung des Wettbewerbs, den die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gestartet hat. Noch bis zum 11. März können Architekturbüros Bewerbungsunterlagen einreichen. Die in der EU-weiten Ausschreibung genannten Teilnahmekriterien stoßen allerdings nicht überall auf Gegenliebe.

Das zukünftige Quartier wird aus mehreren Blöcken bestehen. Die Blöcke A und B werden durch die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft WBM realisiert. Gegenstand des Realisierungswettbewerbs ist ein im Nordwesten gelegener Teilbereich des Block B mit der Bezeichnung Block B/1 zwischen der Grunerstraße, dem Molkenmarkt und der Jüdenstraße.

Der Wettbewerb für Block B/1 ist in drei Lose eingeteilt. Gesucht werden laut Ausschreibung Architekturbüros, die sich auf eines von drei Losen bewerben, die zwei, beziehungsweise drei Wohn- und Geschäftshäuser umfassen. Für alle drei Lose, die insgesamt acht Häuser umfassen, sind allerdings bereits jeweils drei Büros gesetzt, die sich der Teilnahme am nachgeschalteten Wettbewerb beteiligen dürfen.

Los 1: 18 Millionen Euro für drei Häuser

Das Los 1 besteht aus drei Häusern an der Gruner- und Jüdenstraße, in denen Gewerbe im Erdgeschoss und in den oberen Geschossen Wohnen stattfinden soll. Zudem befinden sich im Bereich des Loses 1 archäologische Grabungsfunde, „die in die Gebäude zu integrieren sind“, heißt es in der Ausschreibung. Insgesamt sollen 18 Millionen Euro brutto für die Baukosten ausreichen, um insgesamt 8800 Quadratmeter Bruttogrundfläche zuzüglich 200 Quadratmeter unterhalb der Hoffläche im Untergeschoss zu errichten.

„Da stellt sich die Frage, ob die Budgets von 2000 Euro je Quadratmeter für diese Aufgabe ausreichend sind“, sagt Architekt Tobias Nöfer, Vorstandsmitglied des Architekten- und Ingenieurvereins Berlin (AIV). In den acht Häusern, für die nun zunächst eine Gestaltung gesucht wird, sollen insgesamt 100 Wohnungen entstehen, davon 50 als mietpreisgebundene Sozialwohnungen im geförderten Segment. Nach Berechnungen des Kieler Bauforschungsinstituts ARGE lässt sich eine Sozialwohnung bestenfalls für rund 2920 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche bauen .

„Städtebauliche Maßstäbe zu setzen, wenn für die Architektur kein Geld mehr da ist, kann schiefgehen“, befürchtet Nöfer, und hofft, dass sich der Senat um Fördermittel des Bundes bemüht. „Dieser für Berlin so wichtige Ort darf nicht kaputtgespart werden, appelliert er.

Los 2: Drei Häuser für 12,5 Millionen Euro

Das Los 2 besteht aus zwei Häusern mit Gewerbe im Erdgeschoss und Wohnen in den Obergeschossen an der Jüdenstraße sowie einem Wohnriegel im Blockinnenbereich. Insgesamt sollen 6800 Quadratmeter Bruttogrundfläche entstehen, für die Bauwerkskosten von 12,5 Millionen Euro brutto veranschlagt sind – 1838 Euro je Quadratmeter .

Auch Laura Fogasi-Ludloff, Architektin und Vorstand des Bundes Deutscher Architekten (BDA) Berlin , hält das für zu wenig. Dass die Häuser nicht eben zu günstigen Preisen errichtet werden können, hat auch mit den detaillierten, teils kostspieligen Vorgaben zu tun, die in einem Gestaltungshandbuch  festgelegt sind.

Das Handbuch soll garantieren, dass die Gebäude möglichst kleinteilig und mit  Reminiszenzen an die historische Bebauung  errichtet werden. So ist beispielsweise vorgeschrieben, dass der Sockel der Häuser in Naturstein oder Klinker ausgebildet werden muss, der Mittelteil mit einer verputzten Fassade und das Dach mit einer Neigung, wie sie bei einem klassischen Berliner Altbau vorkommt. An der Festlegung hatten vor allem die Interessensvertretungen junger Architekten Kritik geübt, die darin neokonservative Vorfestlegungen sahen.

Auch Laura Fogasi-Ludloff bemängelt, dass zwar ein sozial-ökologisches Modellquartier mit bezahlbaren Mieten geplant sei, dies in der Ausschreibung jedoch keine Erwähnung mehr finde. Dass das „Kriterium Nachhaltigkeit im Wettbewerb gar keine Rolle spielt, schließlich soll hier ein innovatives Quartier entstehen“, sei zumindest verwunderlich.

Stattdessen würde bei den von den Bewerbern geforderten vier Referenzprojekten ein Punktesystem dafür sorgen, dass Büros, die bislang noch keine Wohnhäuser in geschlossener Bauweise , die sich also in einen Häuserblock einfügen, kaum eine Chance haben. „Eine unnötige Festlegung, die viele Büros von vornherein ausschließt, weil ihre bisherigen Auftraggeber bisher vor allem freistehende Wohngebäude errichtet haben“, sagt die Architektin.

Los 3: 7,5 Millionen für zwei Geschäftshäuser

Das Los 3 besteht aus zwei Häusern am Molkenmarkt Ecke Grunerstraße. Die beiden Eckgebäude mit zusammen 4200 Quadratmetern Bruttogrundfläche sind mit 7,5 Millionen Euro brutto beziehungsweise 1785 Euro je Quadratmeter veranschlagt.

Zur Teilnahme am Wettbewerb für Los 3 werden jeweils wieder sieben Bewerbungen zuzüglich drei Nachrückende mit den höchsten Punktzahlen ausgewählt. Drei Bietergemeinschaften sind dabei bereits vorausgewählt. Auch das kritisiert die BDA-Vorständin. „Grundsätzlich ist es zwar in Ordnung, dass der Auftraggeber festlegt hat, dass bestimmte Büros gesetzt sind. Die Zahl der Vorfestlegungen je Los ist jedoch sehr hoch“, so Laura Fogasi-Ludloff.

Wer letztlich im Herzen Berlins die Gestaltung der Gebäude bestimmen darf, wird auf jeden Fall für erneute Debatten in Berlin sorgen, zumal erst im April feststehen wird, wer am Wettbewerb teilnehmen darf. Schließlich wird seit mehr als zwei Jahrzehnten um die Stadtreparatur an Berlins ältestem Platz , dem Molkenmarkt , gestritten.

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