Das lange Elend: Der schleichende Niedergang einer der zentralsten Straßen Berlins ist offenbar. Aber was tut die Stadt dagegen? Ein Kommentar.
Berliner-Zeitung.de vom 20.02.2025 von Marcus Weingärtner
Vor rund zwei Jahren schrieb ich schon mal über die Friedrichstraße. Damals darüber, dass die verkehrsberuhigte Meile zwischen Leipziger und Französischer Straße ein alltägliches Ärgernis für mich sei. Und zwar nicht wegen der Verkehrsberuhigung, sondern wegen der Mutlosigkeit, quasi Feigheit des Berliner Senats beziehungsweise der Berliner Verkehrspolitik.
Warum? Weil die Berliner Politik es hier versäumt hat, etwas Einmaliges zu schaffen. Hätte man die Friedrichstraße vom Kreuzberger Mehringplatz über den Checkpoint Charlie bis Unter den Linden für den Autoverkehr (nicht für Lieferungen) dichtgemacht, dann wäre das ein Statement gewesen. Ein echtes Zugeständnis an eine Stadt, die sich noch immer in einer brutalen Verkehrswende befindet.
In der Mitte der Radverkehr und an den Seiten die Flaneure. Ich habe damals ein Interview mit einem Verkehrsforscher geführt, der erklärte, dass es eine Zeit bräuchte, bis sich das anfängliche Chaos nach einer solchen Sperrung gelegt hätte. Dann würde sich der Verkehr quasi organisch neu organisieren. Das tut er auch bei jeder Baustelle, von denen ja viele mehrere Monate bis Jahre bestehen.
Hätte, hätte. Bekanntlich sind das nur schöne Träume, man sperrte 200 Meter, stellte alberne Sitzmöglichkeiten und ein paar armselige Blumenkübel auf und wunderte sich, dass die Massen nicht in Strömen kamen, um in den letzten relevanten Geschäften, die sich zumeist unweit des Boulevards Unter den Linden ballen, zu shoppen. Selten hat man wohl im Zentrum einer europäischen Metropole etwas Liebloseres, Einfallsloseres und auch Peinlicheres an innerstädtischer Gestaltung gesehen. Nur die komplett verkorkste Bergmannstraße in Kreuzberg ist schlimmer.
Ein Fall für die Stadtplanung
Besonders schmerzt im Falle der Friedrichstraße die komplette Wurschtigkeit des Teils rund um den U-Bahnhof Stadtmitte, denn hier liegt mit dem Gendarmenmarkt einer der schönsten Plätze Europas, der nun im Frühjahr nach rund zwei Jahren umfangreicher Sanierung wieder für die Öffentlichkeit freigegeben werden soll.
Wie auch schon in dieser Zeitung zu lesen war, soll die Sanierung „mustergültig“ sein, was in Berlin bekanntlich alles andere als selbstverständlich ist. In einer Stadt, in der die architektonische Mittelmäßigkeit an vielen Ecken der Dauerzustand ist, muss man das Ergebnis jeder Sanierung mit Schrecken erwarten. Doch die Friedrichstraße ist ja genau genommen auch kein Sanierungsfall, sondern ein Fall für eine konsequente und weitblickende Stadtplanung.
Und wer an einem beliebigen Nachmittag zwischen Checkpoint Charlie und Französischer Straße spaziert, dem bietet sich mittlerweile ein Bild wie in einem bankrotten Mittelzentrum in NRW: Leerstand, Leerstand, dazwischen dort, wo einmal das Feinkostgeschäft Lindner war – ein Berliner Unternehmen mit langer Tradition – ein Spätkauf, noch mehr Leerstand und jetzt schon die erste Dönerbude. Nichts gegen Dönerbuden, aber ein Signal für den unternehmerischen Aufschwung einer Straße sind sie nicht.
Weiter oben dann, Sie ahnen es, noch mehr Leerstand: Quartier 206, Galeries Lafayette, alles Geschichte und Zeugnis besserer Tage, an die sich auf der Friedrichstraße wirklich niemand mehr erinnern kann. Dabei ist es nicht so, dass diese Stadt nicht dringend auf neue Einnahmen angewiesen wäre, aber welcher Tourist, der bei klarem Verstand ist, würde nach einem Pflichtbesuch am Gendarmenmarkt noch einen Abstecher machen, um ein paar vergnügliche Stunden über die Berliner Friedrichstraße zu bummeln? Richtig, keiner.