Berlins oberster Denkmalschützer Christoph Rauhut sagt, warum es am Humboldt Forum Bäume geben dürfte, am Gendarmenmarkt aber nicht.
Morgenpost vom 31.03.2025 von Joachim Fahrun

Der Denkmalschutz ist ein Dauer-Streitthema in Berlin. Immer wieder wird bei Sanierungsprojekten geklagt, die Auflagen der Denkmalschützer behinderten die Umsetzung. Der oberste Denkmalschützer der Stadt, Landeskonservator Christoph Rauhut hält dagegen. Seine Behörde müsse sich „nicht jeden Schuh anziehen“.

Herr Rauhut, das halbe Land diskutiert über den erneuerten Gendarmenmarkt. Wie finden Sie den Platz?

Insgesamt ist der Gendarmenmarkt gelungen. Die Planer haben eine Lösung gefunden, die den Charakter des Platzes erhält, aber auch auf die Nutzungsvorgaben wie auch aktuelle Anforderungen der Barrierefreiheit oder der Schwammstadt reagiert. Manchmal muss man etwas tiefer in Projekte schauen; über einzelne über die sozialen Netzwerke gestreute Bilder erhält man nicht immer sinnvolle Antworten.

Auf Bildern von 1914 waren noch Gartenelemente auf dem Platz zu sehen. Wer entscheidet, welcher Zustand des Platzes, der ja über die Jahrzehnte sein Gesicht immer wieder verändert hat, demkmalschützerisch richtig und wiederherzustellen ist?

Ausgangslage bei einer Planung ist zunächst der aktuelle Zustand. Und wenn es ein Denkmal ist, der Inhalt und die Begründung für die Eintragung in die Denkmalliste. Im Falle des Gendarmenmarktes steht neben den wiederaufgebauten Gebäuden auch die Platzgestaltung aus den 1980er-Jahren und damit auch die Leistungen der DDR zur 750-Jahr-Feier Berlins als Teil der Gesamtanlage unter Schutz. Diese Fassung sollte im Rahmen der Sanierung erhalten bleiben. Denkmalpflege heißt nicht, aus verschiedenen historischen Zeitschichten beliebig eine auszuwählen. Sondern wir versuchen, auf die letzte überlieferte, denkmalwerte Schicht zurückzugreifen.

In Berlin geht es häufiger darum, zum Beispiel Eingriffe aus der DDR-Zeit auch zu erhalten…

Kein Bauwerk hat nur eine Zeitschicht. Jedes Gebäude und jeder Park erfährt über die Jahre Veränderungen. Manche sind gewollt und gestaltet, andere passieren einfach. Bei einem Denkmal differenzieren wir. Welche gehören zum Denkmal und welche nicht, weil man zum Beispiel unwissend etwas umgebaut hat. Bei Sanierungsprojekten versuchen wir, genau das zu sortieren und zu bewerten, um den Planern eine Leitlinie zu geben, welche Elemente für uns wichtig sind und welche verändert oder ersetzt werden können.

Warum hat man auf dem Gendarmenmarkt nicht mehr Grün auf den Platz gebracht, um den Aufenthalt gerade im Sommer angenehmer zu machen?

Wer behauptet, der Denkmalschutz habe das verhindert, blendet die lange Planungsgeschichte aus. Es gab zum Beispiel ausgiebige Bürgerbeteiligung und eine Diskussion um die Kugel-Ahorne. Es bestand der Wunsch, dass der Platz vor allem ein Ort für Großereignisse wie den beliebten Weihnachtsmarkt oder das Classic Open Air bleiben soll, aber auch die Gastronomie einen höheren Stellenwert erhält. Jetzt entspricht der Gendarmenmarkt genau diesen Anforderungen. Dennoch spielte auch der Klimaschutz eine bedeutende Rolle, indem dafür gesorgt wurde, dass das gesamte Regenwasser dort aufgefangen und dem Grundwasser zugeführt wird. Das wird am Gendarmenmarkt erstmals für eine gesamte Platzfläche geleistet. Er leistet also, obwohl er steinern aussieht, einen Beitrag zu Klimaschutz und Klimaanpassung in Berlin.

Die Frage stellt sich auch für andere Flächen in Mitte: Der Schlossplatz, auch der Bebelplatz sind purer Stein. Muss das aus Ihrer Sicht so bleiben?

Die Anforderungen an städtische Räume verändern sich deutlich. Wir müssen mit größerer Hitze, Trockenheit und gleichzeitig mit Starkregen umgehen. Zugleich intensivieren sich die Nutzungen. Wichtig für uns Denkmalbehörden ist, für denkmalgeschützte Freiräume Lösungen zu finden, die dem Charakter der Orte gerecht werden. Der Gendarmenmarkt ist ein eher städtischer Platz, andere werden eher durch Grün geprägt.

Aber wie sehen Sie das am Schlossplatz? Könnte man dort Bäume pflanzen?

Am südlichen Schlossplatz liegen das Staatsratsgebäude und der Marstall, die stehen unter Denkmalschutz. Das Humboldt Forum selbst ist kein Denkmal, sondern ein historisierender Neubau. Insofern sind wir in dieser Diskussion nicht Taktgeber. Für das aktuelle Aussehen besteht kein Schutzstatus. Wir müssen in der Praxis darauf achten, Denkmalschutz und Stadtgestaltung nicht zu vermischen. Wir schützen nicht das, was rekonstruiert ist. Zugleich ist für den Schlossplatz die Diskussion über städtische Qualitäten sehr nachvollziehbar.

Spricht aus Ihrer denkmalpflegerischen Sicht etwas gegen das Projekt Flussbad, mit dem das Baden in der Spree ermöglicht werden soll?

Die Flussbad-Planungen umfassen Maßnahmen, die sich nicht nur auf den Bereich am Humboldtforum beziehen, sondern bis in das Welterbe Museumsinsel reichen. Und dies sehen wir kritisch, denn Teil der Einschreibung in die Welterbe-Liste ist, dass die Museen von Kanälen umgeben sind. Wir können uns vorstellen, dass es am Humboldtforum eine Freitreppe zum Wasser gibt. Bauliche Eingriffe an der Museumsinsel darf es aber nicht geben.

Generell wird dem Denkmalschutz oft vorgeworfen, energetische Sanierungen oder etwa Photovoltaik-Anlagen zu verhindern. Blockieren Denkmalschützer den Klimaschutz?

Denkmalschutz und Klimaschutz gehen in ihren Prinzipien Hand und Hand. Beiden geht es darum, Ressourcen zu schonen. Wir Denkmalschützer sehen uns deshalb auch als Klimaschützer. Das Wichtigste ist, dass wir gemeinsam nach Lösungen suchen. Wir haben jüngst einen Leitfaden „Denkmal und Energieeffizienz“ veröffentlicht. Darin zeigen wir auf, welche Maßnahmen man einfach umsetzen kann und was denkmalfachlich nur anspruchsvoller oder nicht möglich ist. Auch im Hinblick auf Solaranlagen machen wir inzwischen viele Zugeständnisse. Unser Solarleitfaden erleichtert die Genehmigung von PV-Anlagen auf denkmalgeschützten Gebäuden.

Werden die Denkmalschutzbehörden zu spät einbezogen in Bauplanungen?

Je frühzeitiger die Denkmalschutzbehörden und die Träger der Bauvorhaben ins Gespräch kommen, umso besser. Bei vielen Projekten läuft das auch gut. Da findet Denkmalschutz ganz problemlos statt, etwa bei der Bötzow-Brauerei in Prenzlauer Berg. Natürlich gibt es manchmal auch Projekte, bei denen Differenzen zu überwinden sind. Aber das sind nur wenige, und mit ein bisschen Gemeinsinn kann man die zusammen lösen.

Kürzlich klagte ein Berliner Spezialwerkzeughersteller, er müsse seinen Standort auch deswegen aus Wittenau verlegen, weil der Denkmalschutz viele nötige Umgestaltungen der dortigen Räume nicht zugelassen hätte. Sind Sie eine Wirtschaftsbremse?

Wir waren durch diese Meldungen aus Reinickendorf überrascht. Der Eigentümer der Fabrikanlage hatte zuvor nicht einmal das Gespräch mit den Behörden gesucht. Manchmal wird uns mit Vorurteilen oder falschen Annahmen begegnet und ein Gespräch vermieden. Das ist bedauerlich, gibt es doch auch gute Erfahrungen mit der Transformation von Industrieanlagen. Ich erinnere an das Projekt Siemensstadt Square oder auch die vielfältigen Projekte zur Umnutzung von Industrieanlagen in Oberschöneweide. Hier kommen Denkmalschutz und Konversion von Industrieanlagen erfolgreich zusammen.

Die Berliner Koalition und auch die sich formierende Bundesregierung setzen Bürokratieabbau und schnellere Verfahren als Priorität. Wird damit Denkmalschutz ausgehebelt?

Die Verwaltung muss immer kritisch schauen, was sie besser machen kann. Und wir machen dies auch: In den letzten Jahren haben wir zum Beispiel das elektronische Denkmalschutz-Genehmigungsverfahren eingeführt, welches mittlerweile intensiv genutzt wird. Vergangenes Jahr haben wir im Zuge des Berliner Schneller-Bauen-Gesetzes intensiv und bisweilen auch kontrovers diskutiert, wie wir die Zuständigkeiten im Denkmalschutz so verändern, damit ein Vorhaben nicht in der Entscheidungsschwebe bleibt. Im Gesetz stehen nun auch Fristen für Prüfungen und Genehmigungen. Wir haben also letztes Jahr schon einen umfangreichen Beitrag zu unserer eigenen Verwaltungsmodernisierung gestartet, den wir in diesem Jahr umsetzen. Wir sehen, dass die Akzeptanz von Denkmalschutz wächst, wenn Beratungen und Abstimmungen zügig stattfinden und man nicht nur lange auf Behörden wartet.

Wird die laufende Verwaltungsreform für Sie nochmal etwas ändern?

Wir sind in den Prozess eingebunden und arbeiten derzeit wie alle an einer Aufgabenkritik. Mein Eindruck ist aber, dass wir über das Schneller-Bauen-Gesetz schon wichtige Veränderungen und Klärungen vorweggenommen haben.

Aktuell wird die Verlängerung der U-Bahnlinie 3 von Krumme Lanke zum Mexikoplatz geplant. Nun stellen sich Bürger dagegen, weil sie um das Gartendenkmal Mexikoplatz fürchten. Wie sehen Sie das?

Wir sind in die Planungen einbezogen. Noch ist nicht jeder Strich gezogen. Aber grundsätzlich halten wir die Planungen aus denkmalpflegerischer Sicht für möglich. Aktuell führen wir noch eine Diskussion, wie die Ausgänge zum Mexikoplatz hin gestaltet werden. Da wünschen wir uns eine zurückhaltende Lösung.

Über welche großen Bau- oder Sanierungsvorhaben reden sie sonst noch gerade?

Wir sind in engen Abstimmungen zum Museum für Naturkunde, das aktuell umfangreich saniert wird und sein Ausstellungskonzept neu aufstellt. Wir tauschen uns permanent mit der Tempelhof Projekt GmbH über die Sanierungen der Flughafenanlage aus. Aktuell werden die Decken der Hangars saniert, anschließend sind die Tore dran. Das Schloss Pfaueninsel steht kurz vor dem Abschluss. Und wir sehen auch, dass es noch einige Industriebauten gibt, die weiterentwickelt und umgenutzt werden. Es ist gut, wenn denkmalgeschützte Hallen wieder genutzt werden.

Muss man diese ganzen Industrieanlagen erhalten? Viele stehen lange leer, bis etwas passieren kann.

Jedes Denkmal hat seine Berechtigung, wenn wir es in die Liste eintragen. Nur weil ein Gebäude eine Zeitlang nicht genutzt wird, wäre es übereilt, es aufzugeben und von einer Entwicklung abzusehen. Allerdings sind wir gesetzlich gefordert, den Erhalt auch unter Aspekten der Wirtschaftlichkeit zu betrachten. Manchmal geben wir im Zuge solcher Revitalisierungsmaßnahmen auch Teile von Denkmalen auf. Oder wir gestehen umfangreiche Eingriffe ins Denkmal zu. Ein Beispiel ist das Werk für Fernsehelektronik in Oberschöneweide, wo wir im Zuge der Weiterentwicklung einen Baukörper aufgegeben haben. Und doch: Der Denkmal-Status gehört ja gerade zum Charakter solcher Orte und macht sie besonders attraktiv.  

Werden Sie auch beim ICC Zugeständnisse machen, wenn jemand im laufenden Konzeptverfahren verlangt, die Gebäudehülle zu öffnen oder etwas anzubauen?

Wir wünschen uns, dass das ICC wieder ein lebendiger Ort wird. Wir begleiten aktiv das Konzeptverfahren der Wirtschaftsverwaltung. Ich bin zuversichtlich, dass wir Projekte präsentiert bekommen werden, die sehr affin mit dem Denkmal umgehen. Das ICC ist ein Gesamtkunstwerk. Wer hier zu stark eingreift und Ausstattung rausnimmt, macht sich die Marke ICC selbst kaputt.

Fühlen sie sich manchmal als Sündenbock für viele Themen, die in Deutschland nicht so gut funktionieren?

Nein. Eine kritische Öffentlichkeit gehört natürlich dazu, aber man muss sich auch nicht jeden Schuh anziehen. Denkmalschutz ist eine schöne Aufgabe, weil man tagtäglich mit der vielfältigen Geschichte Berlins und seiner Identität zu tun hat und daran arbeitet, sie in die Zukunft zu überführen.

Die Berliner Morgenpost im Internet: www.morgenpost.de