Zwischen „Überempfindlichkeit“ und guter Zusammenarbeit
Tagesspiegel vom 09.04.2025 von Daniel Böldt
Der Denkmalschutz muss oft als Sündenbock herhalten, wenn etwas mal wieder länger dauert. Der oberste Denkmalschützer Berlins und der Chef des größten Baudenkmals der Stadt zeichnen ein differenzierteres Bild.
Eine Geschichte erzählt Fabian Schmitz-Grethlein besonders gerne, wenn es um die Macht des Denkmalschutzes in Berlin geht. Der Geschäftsführer der Tempelhof Projekt GmbH, die das ehemalige Flughafengebäude im Herzen der Stadt verwaltet, sitzt Ende März in seinem Büro in eben jenem Gebäude und zeigt aus dem Fenster Richtung Tempelhofer Feld.
Ein etwas unscheinbarer weißer Zaun trennt das Feld vom Gebäudekomplex. Etwa alle 50 Meter hängt daran ein Plakat, das Besucher auf Veranstaltungen im Ex-Flughafen-Gebäude hinweist. „Die zuständige Denkmalschutzbehörde war zunächst skeptisch bei Werbeplakaten am Zaun“, sagt Schmitz-Grethlein. „Die Begründung: Sie würden den Blick auf das Denkmal beeinträchtigen.“
Die Plakate, auf die Schmitz-Grethlein zeigt, haben das Format A2. Aus seinem Büro sind sie kaum zu erkennen. Es ist auch mit viel Fantasie nur schwer vorstellbar, dass sich irgendjemand durch die Aushänge bei der Betrachtung eines der größten Gebäude der Welt gestört fühlen könnte.
Schmitz-Grethlein erzählt diese Geschichte auch deswegen so gerne, weil sie die Ambivalenz des Denkmalschutzes sehr gut einfange. Auf der einen Seite die gelegentliche „Überempfindlichkeit“, wie er es nennt. Auf der anderen Seite die dann doch meist lösungsorientierte Zusammenarbeit mit den Denkmalschützern. Nach einigem Hin und Her hat Schmitz-Grethlein seine Genehmigung für die Plakate schließlich bekommen.
Über den Denkmalschutz und seine angebliche Macht wird in Berlin schon lange gestritten – zuletzt angesichts der betont geschichtstreuen Umgestaltung des Gendarmenmarkts wieder besonders heftig. Denkmalschutzbehörden seien Verhinderungsbehörden, kritisieren die einen. Andere regen sich auf, wenn mal wieder ein ikonisches Gebäude wie das SEZ abgerissen werden soll.
Welche Macht hat der Denkmalschutz in Berlin also? Fabian Schmitz-Grethlein ist einer derjenigen Menschen in Berlin, der – abgesehen von den Denkmalschützern selbst – am häufigsten mit dieser Thematik zu tun haben dürfte. Der ehemalige Tempelhofer Flughafen ist das größte Baudenkmal Berlins.
Für jede Probebohrung, für jede Wand, die wir streichen wollen, brauchen wir eine Zustimmung.
Fabian Schmitz-Grethlein, Chef der Tempelhof Projekt GmbH
„Für jede Probebohrung, für jede Wand, die wir streichen wollen, brauchen wir eine Zustimmung“, sagt Schmitz-Grethlein, durchaus etwas resigniert. Bei einem Monumentalbau wie diesem fällt dabei einiges an. Allein im Jahr 2023 wurden rund 1600 Instandsetzungsmaßnahmen begonnen.
Nicht immer verzweifelt Schmitz-Grethlein dabei so sehr wie bei den Plakaten. Als die Band „Die Ärzte“ im vergangenen Sommer auf dem Vorfeld des Ex-Flughafens mehrere Konzerte spielte, durfte der weit sichtbare Schriftzug „BERLIN-TEMPELHOF“ auf dem Gebäude kurzzeitig in „BERLIN-DÄMPELHOF“ geändert werden. „Mit dieser Genehmigung habe ich ehrlich gesagt nicht gerechnet, sie aber sehr begrüßt“, sagt Schmitz-Grethlein.
Seine Lehre nach gut eineinhalb Jahren als Tempelhof-Chef: „Es geht vor allem um gegenseitiges Vertrauen.“ Alle zwei Wochen hat die Tempelhof Projekt GmbH einen festen Termin mit den zuständigen Denkmalschutzbehörden, um all die Absprachen und notwendigen Genehmigungen, die in den Tagen zuvor aufgelaufen sind, abzuarbeiten. „Denkmalroutine“ heißen diese Treffen intern. Die Tempelhof Projekt GmbH beschäftigt dafür einen eigenen Denkmalkoordinator.
„Dabei ergeben sich natürlich Zielkonflikte“, sagt Schmitz-Grethlein. Die Tempelhof Projekt GmbH schiebt einen Sanierungsstau von mindestens einer Milliarde Euro vor sich her. Der Geschäftsführer will diesen möglichst schnell abbauen und das Gebäude für noch mehr Menschen, Vereine und Unternehmen nutzbar machen. Sein größtes Problem dabei sei das fehlende Geld, manchmal aber eben auch der Denkmalschutz.
Rund 8000 Objekte stehen in Berlin unter Denkmalschutz
Die Denkmalschützer wiederum wollen, dass das Erscheinungsbild des Gebäudes möglichst wenig beziehungsweise nicht allzu wahrnehmbar verändert wird, damit es seiner Denkmalfunktion gerecht bleibt. Beides sind legitime öffentliche Interessen. „Es ist ein ständiger Abwägungsprozess“, sagt Schmitz-Grethlein.
Auf dem Papier scheint eindeutig, wer bei diesem Abwägungsprozess am längeren Hebel sitzt. In Berlin weist die sogenannte Denkmalliste rund 8000 Objekte oder Areale als Denkmäler aus. Das können einzelne Häuser oder ganze Kieze wie die Spandauer Vorstadt sein. Was auf die Denkmalliste kommt, entscheidet das Landesdenkmalamt. Sie ist die sogenannte Fachbehörde, zuständig für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Denkmälern Berlins.
Eigentümer sind verpflichtet, Denkmäler zu erhalten und instand zu setzen, und müssen das, soweit zumutbar, selbst finanzieren. Will ein Bauherr Veränderungen an einem Denkmal vornehmen, braucht er dafür eine Genehmigung der zuständigen Behörde. In der Regel ist das das jeweilige Bezirksamt als Untere Denkmalschutzbehörde. Bei großen oder kritischen Vorhaben wie dem ehemaligen Flughafen Tempelhof berät das Landesdenkmal die Bezirksämter – in bestimmten Fällen entscheidet es auch selbst über die Genehmigung. Gibt es Meinungsunterschiede zwischen Denkmalamt und Unterer Denkmalschutzbehörde, entscheidet die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.
Grundlage für die Arbeit der Behörden ist das Berliner Denkmalschutzgesetz. In Paragraf 11 heißt es etwa: Die Genehmigung für Baumaßnahmen „ist zu erteilen, wenn Gründe des Denkmalschutzes nicht entgegenstehen oder ein überwiegendes öffentliches Interesse die Maßnahme verlangt.“
Das sieht auf den ersten Blick nach ziemlich viel Macht für die Denkmalschützer aus. Immerhin entscheiden sie, was im Sinne des Denkmalschutzes überhaupt schützenswert ist und was nicht. Es lohne aber ein zweiter Blick, sagt Christoph Rauhut.
Der Architekt ist seit 2018 Landeskonservator von Berlin und damit Chef des Landesdenkmalamts. Sein Büro liegt im Alten Stadthaus – ein Denkmal, natürlich. Besuchern erklärt der 41-Jährige beim Weg von der Eingangshalle zu seinem Büro gerne die Besonderheiten des nach Plänen des Architekten Ludwig Hoffmann entworfenen Gebäudes. Eine seiner Hauptaufgabe sei die Vermittlung von Denkmalwissen, sagt er.
Auch Rauhut spricht von einem Abwägungsprozess, allerdings sei dieser formalisierter, als es von außen vielleicht scheine. „Die meisten Dinge sind eingeübt und durchgeurteilt“, sagt Rauhut. Wie etwa ein Fenster in einem denkmalgeschützten Haus zu sanieren sei, führe nur selten zu Konflikten. Zwar gebe es an jedes Denkmal spezifische Ansprüche, was einen gewissen Entscheidungsspielraum der Behörden bedingt, der auch mal zu Meinungsverschiedenheiten führen kann. „In der Regel versuchen Behörden und Antragsteller aber im Vorfeld eine für beide Seiten annehmbare Lösung zu finden“, sagt Rauhut.
Sollten die Denkmalschützer eine Genehmigung versagen, müssen sie dies schriftlich begründen. Dagegen gibt es Einspruchs- und Klagemöglichkeiten. Kürzlich entschied etwa das Verwaltungsgericht in einem Streit im Sinne des Denkmalschutzes. Die Eigentümergemeinschaft der Zuckerbauten am Strausberger Platz darf herabfallende Fliesen nicht einfach kostengünstig anschrauben, statt sie anzukleben, weil dies „den Eindruck der architektonisch-städtebaulichen Gestaltungskonzepte aus den 1950er Jahren“ verfälsche.
Entscheidend für das Urteil war auch, dass die Klägerin nicht darlegen konnten, „dass eine denkmalgerechte Wiederherstellung der Gebäudefassade wirtschaftlich unzumutbar sei“. Auch hier also: eine Abwägung. Dass überhaupt Richter bemüht werden müssen, kommt jedoch selten vor. Im Schnitt werden vor dem Verwaltungsgericht pro Jahr nur eine niedrige zweistellige Anzahl an Verfahren verhandelt, in denen es um denkmalschutzrechtliche Belange geht.
Denkmalschutz-Leitfäden sollen für Transparenz sorgen
Ein oft geäußerter Kritikpunkt: Bezirke würden vergleichbare Sachverhalte häufig unterschiedlich bewerten. Der Vorwurf der Willkür schwingt dabei immer mit.
Um dem zu begegnen, versucht das Landesdenkmalamt in möglichst vielen wiederkehrenden Fällen, eine „Objektivierung zu dokumentieren“, sagt Rauhut. Mittlerweile hat sein Haus mehrere Leitfäden herausgebracht, sie heißen „Denkmale & Solaranlage“ oder „Denkmale & Energieeffizienz“. An weiteren wird aktuell gearbeitet. Die Richtlinien richteten sich an Eigentümer und Vorhabenträger, aber eben auch an die Genehmigungsbehörden, sagt Rauhut.
Was diese Leitfäden laut Rauhut auch zeigen: Denkmalschutz wirkt nicht im luftleeren Raum. „Wir genehmigen heute Solaranlagen, die wir vor 20 Jahren wahrscheinlich so nicht genehmigt hätten.“ Soll heißen: Der Klimaschutz habe im Abwägungsprozess über die Jahre an Bedeutung gewonnen.
Ein Punkt ist Rauhut schließlich noch wichtig, wenn es über die angebliche Macht des Denkmalschutzes geht. Sowohl das Denkmalamt als auch die Genehmigungsbehörden sind Teil der Berliner Verwaltung, unterliegen also im Zweifel politischen Weisungen. Wie Fabian Schmitz-Grethlein hat auch Rauhut entsprechende Beispiele zur Hand, die in seinem Fall aber von der Ohnmacht des Denkmalschutzes handeln.
So entscheidet offiziell zwar Christoph Rauhut, welche Objekte in die Denkmalliste aufgenommen werden und dadurch entsprechenden Schutz genießen. Im Zweifel kann der zuständige Senator dies aber verhindern. Beim ICC, das Rauhut 2019 schließlich unter Denkmalschutz stellte, sei dies seinem Vorgänger mehrfach passiert, sagt Rauhut.
Ein anderes Beispiel handelt vom Bau des Bürogebäudes im Gerüst des ehemaligen Gasometers in Schöneberg. Das Landesdenkmalamt hat bei den Beratungen über den Bebauungsplan eindrücklich dafür geworben, die Höhe auf 13 Stockwerke zu begrenzen, damit der Charakter des ehemaligen Gasometer-Gerüstes kenntlich bleibt. „Ich habe noch nie so viele Anrufe aus der Senatskanzlei bekommen“, sagt Rauhut über diese Zeit. Am Ende setzte sich die Bezirksverordnetenversammlung über die Haltung des obersten Denkmalschützers hinweg. Anfang 2024 wurde das Gasometer-Bürogebäude eröffnet. Es hat 15 Stockwerke.