Berlins Finanzsenator Stefan Evers ruft nicht nach mehr Geld vom Bund. Auch nicht nach noch größeren Schuldenspielräumen. Er dringt auf strukturelle Entlastung der Städte: weniger Ausgaben, Aufgaben und Auflagen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16.06.2025 - Das Gespräch führte Manfred Schäfers

Arm, aber sexy – so das Bonmot von Klaus Wowereit aus seiner Zeit als Regierender Bürgermeister in Berlin: Wie befriedigend ist es, Finanzsenator der Hauptstadt zu sein?

Berlin ist nach wie vor sexy. Aber arm ist es nicht mehr. Gerade erst ist die Hauptstadt im internationalen Vergleich des Beratungsunternehmens Oxford Economics nach München als einer der attraktivsten und wirtschaftsstärksten Standorte herausgestellt worden. Das spiegelt sich auch in wachsenden Steuereinnahmen wider. Wir haben also kein Einnahmeproblem. Vielmehr sind viel zu hohe Ausgaben das Problem. Und das macht den Job eines Finanzsenators in diesen Zeiten besonders herausfordernd.

Sie sagen, Berlin sei nicht mehr arm. Aber der Stadtstaat ist immer noch mit Abstand das größte Empfängerland im Finanzkraftausgleich. Was muss sich ändern, damit sich das ändert?

Unsere Stadt ist auf einem guten Weg. Wir verringern Stück für Stück unsere Abhängigkeit vom Länderfinanzausgleich. Berlin ist im wirtschaftlichen Vergleich der Bundesländer längst nicht mehr Schlusslicht, es liegt inzwischen im oberen Mittelfeld. Unsere Wachstumsraten liegen regelmäßig über dem Bundesdurchschnitt. Darauf ausruhen werden wir uns aber nicht. Im Gegenteil: Wir müssen die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft weiter verbessern, da gibt es noch viel Potential.

Dann wird das Land dem ersten Steuergesetz von Schwarz-Rot zustimmen, das die Wirtschaft stimulieren soll?

Angesichts der anhaltenden Strukturschwäche der deutschen Wirtschaft müssen wir alles tun, damit sich eine neue Dynamik entfalten kann. Dafür ist die neue Bundesregierung angetreten, sie hat dabei ausdrücklich den Rückhalt Berlins. Worüber wir sprechen müssen, ist die Lastenverteilung. Denn natürlich sind mit den geplanten Steuerentlastungen erhebliche Mindereinnahmen verbunden, die insbesondere von den heute schon klammen Ländern und Kommunen zu tragen wären.

Also andersherum gefragt: Kann es sich Berlin leisten, ohne Ausgleich dem schwarz-roten Steuergesetz zuzustimmen?

Wir stehen wie die meisten Städte und Gemeinden finanziell mit dem Rücken zur Wand. Der dramatische Anstieg der Sozialausgaben erdrückt uns. Der Bund braucht für sein Gesetz die Zustimmung des Bundesrats. Er ist also gut beraten, auf die Not der Kommunen Rücksicht zu nehmen. Ich erwarte vom Bund sehr schnell konkrete Vorschläge, wie insbesondere die Kommunen finanziell oder auf andere Weise entlastet werden können. Anderenfalls steht zunehmend die Erfüllung staatlicher Kernaufgaben infrage.

Von Vertretern des Bundes hört man: Wir haben den Ländern mit der vorgeschalteten Grundgesetzänderung einen eigenen Verschuldungsspielraum gegeben. Außerdem bekommen Länder und Kommunen 100 Milliarden aus unserem Sondervermögen. Warum reicht Ihnen das nicht?

Unser Ausgabenproblem ist doch vor allem ein Aufgaben- und Auflagenproblem. Das lässt sich mit Geld allein nicht lösen, schon gar nicht mit immer mehr Schulden. Länder und Kommunen brauchen vor allem strukturelle Entlastungen. Das zeigt die Entwicklung der kommunalen Defizite in brutaler Härte. Diese sind im vergangenen Jahr um 18 Milliarden Euro in die Höhe geschossen. Das ist einzigartig – im negativen Sinne. Das Defizit der Städte und Gemeinden beträgt nunmehr 24 Milliarden Euro, Tendenz weiterhin stark steigend. Die Ausgabeverpflichtungen der Kommunen sind in den vergangenen Jahren zu stark gewachsen – und sie sind in der Regel auf Bundesgesetze zurückzuführen.

Berlin bekommt aus dem Sondervermögen insgesamt mehr als fünf Milliarden Euro über zwölf Jahre. Was werden Sie mit dem Geld machen?

Schwer zu sagen, wenn man die Spielregeln noch nicht kennt. Ich bin mir sicher, dass es zu den Bedingungen und Verfahren des Sondervermögens noch intensive Verhandlungen geben wird. Was bisher aus dem Bundesfinanzministerium zu hören ist, klingt erst mal nach noch mehr Vorgaben und Bürokratie. Das können wir ganz sicher nicht brauchen, wenn wir die Mittel rasch in die Zukunftsfähigkeit unserer Infrastruktur investieren wollen. Aber ich weiß, dass die Ministerpräsidenten auf diese Frage in den laufenden Gesprächen mit der Bundesregierung ein sehr genaues Auge haben.

Die beiden Themen hängen also zusammen?

Der Bund scheint das jedenfalls so zu sehen.

Für den Herbst ist ein zweites Steuergesetz geplant. Stichworte sind: niedrigere Gastrosteuer, alter Agrardiesel, Entfernungspauschale, aber auch Vergünstigungen für arbeitende Rentner und Arbeitnehmer, die Überstunden schieben. Wie sieht es damit aus?

Ich stelle keinen Koalitionsvertrag infrage, den die eigene Partei geschlossen hat. Aber als Finanzsenator eines Stadtstaates vertrete ich natürlich die Interessen von Ländern und Kommunen, wenn der Bund Maßnahmen beschließt, die unsere Haushalte belasten. Aber genau dazu wurde ja im Koalitionsvertrag eine kluge Regelung getroffen, die ich immer wieder gern in Erinnerung rufe.

Was meinen Sie?

Das sogenannte Konnexitätsprinzip, kurz gesagt: „Wer bestellt, der bezahlt“.

Und dann ist alles gut?

Nein, natürlich nicht. Ich habe ja eben schon gesagt, dass unsere Probleme nicht allein mit Geld zu lösen sind, das wir nicht haben. Wir haben uns in Deutschland mit strengsten Standards, mit immer mehr Vorgaben und Regulierung selbst gefesselt, uns immer langsamer und teurer gemacht. Das müssen wir dringend korrigieren. Wenn ich mir als Gemeinde beispielsweise einen Schulbau aufgrund komplizierter Verfahren und allzu teurer Baustandards oder eine Sanierung aufgrund von Denkmalschutz nicht mehr leisten kann – was haben dann unsere Schüler davon? Ich selbst habe seinerzeit in einer extrem schlichten, einfach gebauten Flurschule gelernt. Quadratisch, praktisch, gut. Ja, es hätte schöner und pädagogisch wertvoller sein können – aber geschadet hat es mir auch nicht.

Die Sanierung der Berliner Staatsoper wurde viel teurer als geplant. Das ist nicht ungewöhnlich in Deutschland.

In vielen Bereichen sind wir schlicht beispielgebend für das, was überall in Städten und Gemeinden in Deutschland passiert.

Manchmal auch im negativen Sinn.

Ja, auch das. Aber genau daran arbeiten wir.

Warum ist öffentliches Bauen so teuer geworden?

Bauvorschriften, Verkehrsrecht, Umwelt-und Klimaschutz, Denkmalschutz, Lärmschutz, Vergaberecht – suchen Sie es sich aus.

Sollten wir alles abschneiden, was über die europarechtlichen Vorgaben hinausgeht?

Angesichts der deutschen Wachstumsschwäche, schwindender fiskalischer Spielräume und des demographischen Wandels werden wir uns manche lieb und teuer gewordene Goldstandards jedenfalls nicht mehr leisten können. Tatsächlich liegen unsere Vorgaben in den meisten Politikbereichen weit über dem europäischen Durchschnitt oder den Mindestanforderungen der EU. Wir sehen, wohin das die Volkswirtschaft gebracht hat. Wir müssen also den Mut aufbringen, unseren regulatorischen Übereifer gründlich zu hinterfragen. Und wir brauchen dabei auch Mut zur Disruption. Denn es wird in jedem Einzelfall gute oder gut gemeinte Gründe für deutsche Regelungswut geben. Ohne einen tiefgreifenden Mentalitätswandel in der politischen Führung wie in allen Ebenen der staatlichen Verwaltung werden echte Strukturreformen nicht gelingen. Andererseits: Der Druck war noch nie so groß. Optimistisch ausgedrückt, leben wir in einer Zeit und einem Land neuer Möglichkeiten. Eine konsequente Anti-Gold-Plating-Initiative wäre doch ein guter Anfang.

Wir müssen sparen, hört man oft. Aber wenn es konkret werden soll, ducken sich die meisten weg. Wo sollte man ansetzen? Nennen Sie uns bitte Ross und Reiter.

Ich habe es zu Anfang gesagt: Insbesondere die Sozialausgaben wachsen uns in den Kommunen buchstäblich über den Kopf. Der Bund muss also die Sozialgesetze reformieren, denn diese binden bei den Ländern und Kommunen inzwischen einen deutlich zu hohen Teil unserer Ausgaben. Insbesondere die dramatische Entwicklung der sogenannten Transferausgaben hat viele Städte und Gemeinden in die Haushaltsnot geführt. Das sind beispielsweise Hilfen zur Erziehung, Eingliederungshilfen oder Hilfen zur Pflege. Aus unterschiedlichen Gründen steigen die Kosten hierfür seit wenigen Jahren exponentiell an. Die Kommunen sind nicht mehr in der Lage, das zu schultern. Hier ist der Bundesgesetzgeber gefragt. Und ich rufe ausdrücklich nicht nach mehr Geld vom Bund. Ich rufe auch nicht nach noch größeren Spielräumen bei der Verschuldung. Ich rufe vor allem nach einer strukturellen Entlastung der Kommunen. Was wir brauchen, sind weniger Ausgaben, Aufgaben und Auflagen. Und gerade im Sozialrecht werden echte Reformen auch schmerzhaft sein.

Wenn man da ansetzt, handelt man sich sofort den Ruf ein, unsozial zu sein.

Ich hielte es für unsozial, die Systeme sehenden Auges in den Kollaps hineinzuführen. Der Kollaps der Kommunalfinanzen lässt sich nur vermeiden, wenn die Kosten für die Leistungserbringung gesenkt, die Steuerungsmöglichkeiten auf Landes- und der kommunalen Ebene gestärkt werden. Im Fokus der nötigen Reform stehen vor allem die Wirksamkeit und die Effizienz sozialstaatlicher Leistungen. Das müssen wir den Menschen klar und deutlich vor Augen führen.

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