Gespannte Stille an der neuen Autobahn in den Osten Berlins. Gegner wollen demonstrieren. Jetzt meldet sich ein Experte zu Wort, der einst für das Projekt war.
Berliner Zeitung vom 26.08.2025 von Peter Neumann
So kann Vorfreude auch aussehen. „Danke an das Grünen-Pack! Wäre sonst viel früher fertig gewesen“, lautet ein Kommentar bei Facebook. „So, und nun den nächsten Abschnitt in Angriff nehmen“, steht darunter. „Mal gucken, ob wieder ein paar Spinner stören“, ist ein weiterer Eintrag. Damit ist ein Teil der Diskussion über das, was an diesem Mittwoch in Berlin passiert, auf den Punkt gebracht. Nach einem Festakt, der völlig unüblich für solche Events unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, soll der 16. Bauabschnitt der Autobahn A100 am Mittwochnachmittag freigegeben werden.
Die Autobahn GmbH des Bundes erwartet lautstarke Proteste. Demos sind angemeldet – etwa für das „Ende der Autostadt“. Kritiker nennen die A100 einen „Highway in die Klimahölle“. Jetzt hat sich der Ex-Chefverkehrsplaner des Senats skeptisch geäußert.
Manche Dinge dauern in Berlin etwas länger. Schon der Große Bebauungsplan aus dem Jahr 1862 – besser bekannt als Hobrecht-Plan – sah in diesem Bereich eine Ringstraße vor. Den Plan zum Ausbau des Straßennetzes legte wiederum der Stadtrat für Tiefbau, Hermann Hahn, im Jahr 1927 vor: Dieser sah eine Verbindung von Neukölln nach Treptow vor. Sie sollte Teil der Umfahrung werden, für die Stadtbaurat Martin Wagner ein Jahr später den heute noch gebrauchten Begriff Stadtring prägte.
Nachdem in Wilmersdorf 1958 der erste Teil der heutigen A100 eröffnet wurde, ist sie im Westen, Norden und Süden auf 21 Kilometer gewachsen. Jetzt geht erstmals ein Abschnitt in den Osten in Betrieb: vom Dreieck Neukölln zur Straße am Treptower Park.
3,2 Kilometer lang. Sechs Fahrstreifen. Ein 385 Meter langer Tunnel. Geländeeinschnitte auf 2,17 Kilometern. Und das alles für rund 720 Millionen Euro – was die neue Bundesfernstraße zur teuersten Autobahn Deutschlands gemacht hat. Anders als auf Facebook behauptet waren es aber nicht die Grünen, die das Projekt in die Länge zogen.
Flüsterasphalt und eine Überflughilfe für Fledermäuse
Dass vom feierlichen ersten Spatenstich im Mai 2013 bis zur Verkehrsfreigabe am 27. August 2025 über zwölf Jahre vergingen, hat mit der Komplexität des Vorhabens zu tun. Es kommt kaum noch vor, dass in Großstädten Autobahnen gebaut werden. Hier hieß das: Flüsterasphalt, Lärmschutzwände, Überflughilfe für Fledermäuse – zum Beispiel. Solartechnik versorgt alle Anlagen entlang der Strecke autark mit Strom und spart 84 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr. Regenwasser wird erfasst, gereinigt und versickert.
Friedemann Kunst hat das Projekt in seinen Anfängen begleitet. Der Stadt- und Verkehrsplaner, der ab 1985 für den Senat tätig war, leitete von 2007 bis 2013 die Abteilung Verkehr in der Verkehrsverwaltung. Seine Prämissen haben sich nicht verändert, schrieb er der Berliner Zeitung. Er sei für die Verkehrswende – mehr Stadtqualität, weniger Autos. Doch klar sei auch: „Automobile (mit anderen Antrieben) werden auch in Zukunft im Verkehrsmix der Städte eine wichtige Rolle spielen.“
In dem Maße, in dem die A100 wächst, sollte das Auto weniger Raum erhalten
Das Projekt „Verlängerung der A100“ habe zunächst in diese Koordinaten gepasst, erinnert sich Kunst, heute Vorsitzender der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung, Landesgruppe Berlin-Brandenburg. So enthielt der erste Stadtentwicklungsplan Verkehr die Strategie, die innere Stadt zu entlasten und den Durchgangsverkehr auf weniger sensible Stadträume zu verlagern. Dem großräumigen Verkehr, der bisher über sehr leistungsfähige radiale Straßen in die Innenstadt geschleust wird, müsste eine Umfahrung gebahnt werden, hieß es. Deshalb unterstützte der Senat das Konzept, die A100 nach Treptow und zur Frankfurter Allee zu verlängern.
Doch das damalige Konzept hatte noch einen zweiten, ebenso wichtigen Teil, betont der Planer. Es war klar formuliert: In dem Maße, in dem der Stadtring wächst und die City entlastet, sollte das Auto im Zentrum weniger Raum bekommen. Die Leistungsfähigkeit der Straßen für Autos sollte verringert, der Platz dem Fuß- und Radverkehr zugeschlagen werden. Die zügige Ausdehnung der Parkraumbewirtschaftung und eine stärkere Regulierung des Neubaus von Stellplätzen gehörten ebenfalls dazu, so Kunst.
Anfangs wurde diese Strategie noch verfolgt – was sich in der Umgestaltung der Karl-Marx-Straße in Neukölln und der Kapazitätsreduzierung am Molkenmarkt in Mitte zeigte.
„Doch dann geriet sie zunehmend in Vergessenheit oder fiel der autofreundlichen Senatspolitik zum Opfer“, stellte der Planer fest. Seit einigen Jahren wird die Verlängerung der A100 „nur noch als isoliertes Straßenbauprojekt betrieben“, kritisierte Friedemann Kunst. „Gegen die Intentionen der Strategie wird der Straßenraum in Berlin per saldo ausgeweitet. Seit etlichen Jahren lässt die Senatspolitik jegliche Zielsetzung zur nachhaltigen Gestaltung des Verkehrs in der Inneren Stadt vermissen.“
Autobahn von Neukölln bis Lichtenberg soll 1,8 Milliarden Euro kosten
Deshalb kann sich Kunst mit dem 16. Bauabschnitt, dessen Bau er einst verfochten hat, heute nicht mehr identifizieren. „Unter diesen Bedingungen fällt es mir sehr schwer, den Bau und die Weiterführung für ein richtiges und sinnvolles Projekt zu halten“, stellte er fest. „Die Weiterführung als 17. Bauabschnitt zur Frankfurter Allee würde mit Blick auf die erwähnte Netzstruktur und den Ableitungsgedanken viel Sinn machen, ist aber als alleiniges Straßenbauprojekt kaum zu rechtfertigen.“ Kunst ist auch deshalb dagegen, den Stadtring weiter in den Osten Berlins zu verlängern, weil das Projekt teuer wird. Die Gesamtkosten für beide Abschnitte wurden zuletzt auf 1,8 Milliarden Euro geschätzt.
Kritiker sagen, dass selbst 1,1 Milliarden Euro für den 17. Bauabschnitt (4,1 Kilometer Autobahn, 1,6 Kilometer Stadtstraße zur Storkower Straße) noch zu niedrig gegriffen sind. Dieses Teilstück muss anders als das 16. in dicht bebauten Wohnvierteln gebaut werden. Die Pläne sehen einen Doppelstocktunnel vor, der das Ostkreuz und die Neue Bahnhofstraße unterquert – Letztere würde jahrelang auf voller Breite zur Baustelle.
Wie berichtet prüft die Autobahn GmbH, ob die A100 den Fluss oberirdisch kreuzt, oder ob der geplante Tunnel südlich des Spreeufers in Treptow beginnen soll. Das würde die Kosten weiter treiben und die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung negativ beeinflussen.
Wegner: Nur mit dem 16. Bauabschnitt ließen sich Wohnviertel nicht entlasten
Am Weiterbau der A100 führe jedoch kein Weg vorbei, sagte Alexander Schirp, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg. „Erst wenn auch der 17. Bauabschnitt fertiggestellt ist, kann die Verlängerung der Autobahn ihr volles Potenzial entfalten. Vorbereitung und Bau müssen jetzt mit hohem Tempo weitergehen. Wer das Projekt als nicht mehr zeitgemäß bezeichnet, koppelt sich von der Realität des Verkehrs in der Großstadt ab.“ Transport und Logistik sind auf Straßen angewiesen. „Der Weiterbau der A100 ist entscheidend, denn Berlin braucht ein funktionierendes Straßennetz“, so Daniela Kluckert, Vize-Landesvorsitzende der FDP.
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner unterstrich die Forderung, den 17. Bauabschnitt zügig in Angriff zu nehmen. „Er macht absolut Sinn. Sonst ist die A100 nicht fertig“, sagte der CDU-Politiker. Ziel der Verlängerung sei es, Wohnviertel von Verkehr zu entlasten. Nur mit dem 16. Bauabschnitt würde das nicht gelingen.
Changing Cities: Berliner Autobahnprojekt ist aus der Zeit gefallen
Damit bestätigte Wegner ungewollt die Befürchtungen von Autobahnkritikern, die eine Zunahme des Schleichverkehrs erwarten. Zugleich habe die Senatsverkehrsverwaltung Gelder für einen beschlossenen Kiezblock gestrichen, der den Kungerkiez am Nordende der neuen A100 vor Belastungen bewahren sollte, bemängelte Milena Rauhaus von Changing Cities. „Weltweit werden Autobahnen zurückgebaut: in Seoul, Paris, Rochester, New Orleans, Utrecht, London, Brüssel, Stockholm, Mailand und in vielen Städten mehr. Während Metropolen weltweit in zukunftsfähige Mobilität investieren, werden in Berlin Projekte für Verkehrssicherheit und Verkehrsberuhigung blockiert.“
„Mit der Inbetriebnahme des 16. Bauabschnitts muss endgültig Schluss sein mit den Verlängerungsfantasien“, so die Grünen-Verkehrspolitikerin Antje Kapek.
„Das ist der letzte Meter!“ Unter diesem Motto wollen Gegner der A100 am Mittwoch um 11 Uhr am Nordende der neuen Autobahn in Treptow demonstrieren. Für 13 Uhr ist am Hotel Estrel, wo unter hohen Sicherheitsvorkehrungen eine Stunde später der Festakt mit Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder und Senatschef Kai Wegner (beide CDU) beginnen soll, eine Protestaktion unter dem Motto „A100 wegbassen“ geplant. So viel steht fest: Schon bevor die ersten Autos auf der neuen Autobahn fahren, wird es laut.