Urheber des Planwerks Innenstadt, „Geschmacksdiktator“ – Zum Tode des umstrittenen Stadtplaners Hans Stimmann
Morgenpost vom 03.09.2025 von Isabell Jürgens

Berlin Berlins früherer Senatsbaudirektor Hans Stimmann ist tot. Wie der Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin (AIV) mitteilte, verstarb Stimmann am vergangenen Sonnabend in Lübeck im Alter von 84 Jahren. Der von seinen Kritikern als „Geschmacksdiktator“ bezeichnete Stimmann, dessen Gestaltungsvorgaben steinerne Fassaden statt Glasbauten, eine einheitliche Traufhöhe von 22 Metern und die sogenannte Blockrandbebauung vorsahen, hat das gebaute Gesicht Berlins nach dem Fall der Mauer maßgeblich beeinflusst – und polarisiert die Architektenschaft bis heute.

Denn Stimmann hatte ein klares Ziel, das er mitunter „berserkerhaft“ durchzusetzen wusste, wie sich Mitarbeiter erinnern. Auch gegen Weltkonzerne wie die Daimler Benz AG mit dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Edzard Reuter, ABB, Sony oder den Metro-Gründer Otto Beisheim, die sich allesamt am Potsdamer Platz spektakuläre Solitärbauten gewünscht hatten – und von Stimmann ausgebremst wurden.

„Tiefpunkt der Kultur städtebaulichen Planens“

Der gebürtige Lübecker, der in den 1970er-Jahren Stadt- und Regionalplanung an der Technischen Universität Berlin studierte, hatte ein klare Mission für das Zusammenwachsen von Ost- und West-Berlin: Die Rekonstruktion der europäischen Stadt unter besonderer Berücksichtigung der historischen Berliner Mitte. Ergänzt durch die Abkehr von der autogerechten Stadt, die in seinen Augen sowohl im Ost- als auch im Westteil Berlins dem Stadtbild beinahe mehr Schaden zugefügt hatte als der Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs.

Für sein „Bemühen um die Wiedergewinnung des Berliner Stadtgrundrisses als historisches Gedächtnis“ wurde Stimmann schließlich 2009 das Bundesverdienstkreuz verliehen. Auch wenn er selbst mit dem Erreichten bei Weitem nicht zufrieden war. Mit zahlreichen Ausstellungen, Buchprojekten und Vorträgen warb der Urheber des „Planwerks Innenstadt“ – des Masterplans für das wiedervereinte Berlin – unermüdlich für seine Vision einer so weit wie möglich auf dem alten Stadtgrundriss errichteten Stadt.

Noch lange nach seiner Amtszeit, die sich über 15 Jahre in drei Legislaturperioden als Senatsbaudirektor und Planungsstaatssekretär bis 2006 erstreckte, wies der streitbare Architekt und Stadtplaner immer wieder auf städtebauliche Missstände und verpasste Chancen der Stadtreparatur hin. Sei es in der Diskussion um die Autobahnbrücke am Breitenbachplatz in Wilmersdorf, deren Abriss er vehement forderte. Oder in der Debatte um den nur halbherzig vollzogenen Rückbau des autobahnartigen Straßenzugs Leipziger Straße, Mühlendamm und Grunerstraße, der mitten durch den Gründungskern Berlins führt.

Auch am neu errichteten Regierungsviertel hatte Stimmann einiges auszusetzen. So beklagte Stimmann, dass die Bundesregierung und der Berliner Senat sich 2018 „klammheimlich“vom ursprünglich geplanten Bürgerforum zwischen Bundeskanzleramt und Bundestag verabschiedet hatten. Für ihn der „Tiefpunkt der Kultur städtebaulichen Planens“ in Berlin. Das Band des Bundes werde damit „handstreichartig einfach beerdigt“.

Heftige Kritik an seiner Nachfolgerin Regula Lüscher

Harsche Kritik übte Stimmann auch an seiner Amtsnachfolgerin Regula Lüscher, die auf eine weitgehende Rückkehr zum Vorkriegsgrundriss in Berlins abgeräumter historischer Mitte verzichtete. Und stattdessen einen Realisierungswettbewerb „Freiraumgestaltung Rathaus- und Marx-Engels-Forum“ auslobte. In Stimmanns Augen eine „Realsatire“, die den Gründungsort Berlins zu einer Aufgabe für Gartenarchitekten degradiert: „Als ob es sich um irgendeine Grünanlage für Hellersdorf oder Kleinmachnow handelt und nicht um das Zentrum der Hauptstadt“, ätzte Stimmann gegen den Wettbewerb, dessen Siegerentwurf aktuell realisiert wird. Und der angesichts des Klimawandels und des Bemühens um mehr grüne und kühle Aufenthaltsorte in der Stadt mittlerweile viele Befürworter hat.

Doch Stimmann war durchaus auch fähig zur Selbstkritik. Seine Vorgaben hatten zwar dafür gesorgt, dass trotz des Drucks der Investoren die Büro- und Geschäftshäuser an der Friedrichstraße nicht höher als die gründerzeitlich übliche Höhe von 22 Metern sein durften, lediglich ergänzt durch zurückgesetzte Staffelgeschosse auf dem Dach. In der Konsequenz führte dies aber dazu, dass die Investoren die Grundstücke ausquetschten „bis zum Gehtnichtmehr“, wie Stimmann rückblickend einräumte. Die Qualität der Vorkriegsgebäude an der Friedrichstraße blieb jedenfalls unerreicht. Aber immerhin, so war Stimmann sicher, habe er dort noch schlimmere Bausünden verhindert.

Gegen Weiterbau der A100 und Randbebauung Tempelhofer Feld

Der streitbare Sozialdemokrat machte auch keinen Hehl daraus, dass er in einigen zentralen Themen der Stadtentwicklung ganz anderer Meinung war als seine Partei. Etwa beim Weiterbau der A100, den er genauso ablehnte wie die Randbebauung des Tempelhofer Feldes – schließlich gebe es genügend Brachen in der Stadt. Die Stimme des wichtigsten Stadtgestalters der Hauptstadt nach der Wiedervereinigung – sie wird Berlin fehlen.

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