Der neue Plan für die Berliner Innenstadt ist in Sicht. Noch 2025 will der Senat das Verkehrskonzept vorstellen. Doch was bisher bekannt wurde, passt kaum zu seiner Politik. Was nun?
Berliner Zeitung vom 27.101.205
Ein Plan für die Berliner Mitte – ein Masterplan. Der Senat bereitet ein umfassendes Programm für die östliche Innenstadt vor. Dazu gehört ein Verkehrskonzept, das der Senat noch in diesem Jahr öffentlich vorstellen möchte. Es könnte spannend werden.
Denn sowohl viele Ergebnisse der Bürgerbeteiligung als auch Hinweise von Experten passen nicht zu dem Kurs, den Senatorin Ute Bonde (CDU) verfolgt. So wünschen sich Bürger, dass in der Friedrichstraße wieder eine Fußgängerzone entsteht. Andere fordern eine autofreie Spandauer Straße. Das und vieles anderes steht „krass im Widerspruch zur CDU-Politik“, stellt die Grünen-Abgeordnete Oda Hassepaß fest. Was nun?
Als die CDU 2023 die Senatsverkehrsverwaltung von den Grünen übernimmt, ist klar: Das Experiment, einen 500 Meter langen Abschnitt der Friedrichstraße in Mitte von Autos zu befreien, wird beendet. Bald darauf schreitet die Verwaltung zur Tat. Manja Schreiner, die Bettina Jarasch als Senatorin abgelöst hat, lässt Cafétische, Sitzbänke und drei Tonnen schwere Pflanzkübel von der Fahrbahn räumen. Seit dem 1. Juli 2023 ist der Mittelteil der Friedrichstraße, die erstmals Ende August 2020 für Fußgänger (und damals auch für Radfahrer) geöffnet wurde, wieder durchgängig für Autos befahrbar.
Doch der Senat entscheidet auch: Ein Zukunftsplan für Mitte muss her. Ein Masterplan.
Schreiners Nachfolgerin Ute Bonde hat das Masterplan-Verfahren geerbt. Auch sie hält sich mit Vorschlägen zurück, wie es mit dem Gebiet zwischen dem Brandenburger Tor, der Torstraße, dem Alexander- und dem Mehringplatz weitergehen soll. Doch es wird nicht mehr lange dauern, dann könnten Entscheidungen erforderlich werden. Denn was bisher aus dem Verfahren bekannt wurde, entspricht nur zum Teil der Senatspolitik.
Beispiel Online-Beteiligung: 544 Berlinerinnen und Berliner nahmen die Einladung an, Ideen für diesen Teil der östlichen Innenstadt zu äußern. 1482 Kommentare trafen ein. Wie fast immer bei solchen Verfahren nahmen Verfechter des Autoverkehrs offenbar kaum teil. Das zeigt die Liste der beliebtesten Ideen, in der Vorschläge aus dem Grünen-Spektrum dominieren. Sie wird von zwei Wunschprojekten angeführt, die dazu führen würden, dass dem motorisierten Individualverkehr dauerhaft Platz weggenommen wird.
Laut Senatsbericht votierten 105 Teilnehmer dafür, am Hackeschen Markt einen Fußgängerbereich einzurichten. Das Bezirksamt Mitte, aber auch die Deutsche Umwelthilfe würden dies begrüßen. Der Senat schien zuletzt nicht abgeneigt zu sein.
Anders sieht es mit dem nächsten Vorschlag aus: Auf Platz zwei folgt mit 90 Voten eine Fußgängerzone in der Friedrichstraße – derselben Straße, in der die CDU/SPD-Koalition die unter Grünen-Ägide eingerichtete Flaniermeile drei Jahre nach der ersten Sperrung wieder abräumen ließ. Es war ein Projekt, das zuletzt fast nur noch schlechte Noten erhielt. Dabei hatte der Allgemeine Deutsche Automobilclub 2016 angeregt, die kränkelnde Einkaufstraße auf diesem Weg aufzuwerten. 2019 war auch die SPD dafür.
Kiezblock am Gendarmenmarkt, mehr Radwege, mehr Tempo 30
Auf Platz drei folgt der Wunsch, am Gendarmenmarkt einen „Superblock“ einzurichten. Superblocks: So heißen verkehrsberuhigte Bereiche in Barcelona. In Berlin sind sie als Kiezblocks bekannt – und immer wieder Objekte der Kritik. Senatorin Bonde, aber auch viele Autofahrer lehnen Verkehrsberuhigung mit Pollern vehement ab. Die Christdemokratin hat dem Bezirk Mitte den Geldhahn für weitere Vorhaben zugedreht.
Spandauer Straße autofrei: Das steht auf dem Wunschzettel an vierter Stelle. Der fünfte Rang gehört mit 56 Einträgen der Forderung, die Leipziger Straße umzugestalten und zu begrünen – ebenfalls kein Projekt, das zur offiziellen Senatspolitik gehört. Das gilt auch für weitere Forderungen, die während der Bürgerbeteiligung zum Masterplan geäußert wurden: mehr Tempo 30, breitere Gehwege, mehr Radwege, Entsiegelung von Straßen. Da wirkt der Wunsch, Hochstraßen für Autos zu bauen, fast schon exotisch.
Aber nicht nur die Resultate der Online-Beteiligung laufen teilweise konträr zur CDU-Politik. Der 107-seitige Status-quo-Bericht, den das Beratungsunternehmen Buro Happold im Senatsauftrag erstellt und im vergangenen Dezember vorgelegt hat, scheint ebenfalls kaum zu ihren Schwerpunkten zu passen. Er zeigt, zu welchen Ergebnissen die Bestandsaufnahme bei den Themen Städtebau, Verkehrsnetze und Parken gekommen ist. Anschließend arbeitet die Studie Konflikte und Defizite in Form einer Stärken-Schwächen-Analyse auf. Zuletzt definieren sie Leitlinien für die weitere Entwicklung.
Parkplätze sollen von den Straßen in Parkhäuser verlagert werden
Die Analyse zeigt, dass in puncto Gesundheits- und Klimaschutz noch viel zu tun ist. So ist von hohen Lärmbelastungen die Rede – nicht nur entlang der Ost-West-Achsen und am Alexanderplatz, auch entlang der Stadtbahn. Der hohe Versiegelungsgrad von mehr als 90 Prozent führe dazu, dass sich Hitzeinseln bilden, heißt es. Auf Seite 24 steht: „Die täglichen Bodentemperaturen erreichen im Sommer Werte von bis zu 44 Grad Celsius.“
Obwohl in diesem Bereich lediglich 12,8 Prozent der Wege mit Autos zurückgelegt werden, hat der Kraftfahrzeugverkehr „im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern den größten Flächenverbrauch durch Verkehrs- und Parkflächen“. An vielen Unfällen seien Kfz beteiligt. Das Gebiet werde stark von Durchgangsverkehr frequentiert, heißt es.
Der Mittelteil der Friedrichstraße, wo die Flaniermeile erprobt wurde, hat aber wenig Bedeutung für den Autoverkehr: Mit 5001 bis 10.000 Kraftfahrzeugen pro Tag ist der Abschnitt kaum belastet. Dagegen sei die Friedrichstraße eine „wichtige Achse im Fußverkehr in Nord-Süd-Richtung“, stellen die Experten fest. Wie auch Unter den Linden/ Karl-Liebknecht-Straße, das Spreeufer sowie die Leipziger Straße.
Was den Fahrradverkehr anbelangt, mahnen die Fachleute von Buro Happold: „Noch sind viele Routen nicht durchgängig mit Radverkehrsinfrastruktur ausgestattet.“ Damit nicht genug: Die Abmessungen vorhandener Anlagen entsprächen oft nicht den Mindestmaßen. Es bestehe ein „großes Delta zwischen Planung und Ausbauzustand“, lautet die Feststellung. Das Mobilitätsgesetz räume dem Radverkehr Vorrang vor Autos ein. „Eine detaillierte Analyse zur Einhaltung dieser Vorgaben wird empfohlen.“
Die Ausführungen zum Parken lassen ebenfalls Untertöne erkennen, wie man sie eher von der Opposition kennt. Schon die Feststellung, dass in der dicht bebauten Innenstadt ein „intensiver Wettbewerb um den begrenzten öffentlichen Raum“ herrscht, hört man so aus dem Senat fast nicht. „Parkende Fahrzeuge beanspruchen viel davon für sich.“ Eine restriktive Parkraumpolitik könne dazu dienen, nachhaltige Mobilitätsformen zu fördern. Von einer sinnvollen Einschränkung der Parkplatzflächen ist die Rede.
Mit 10,20 Euro pro Jahr seien die Gebühren für Anwohnervignetten „außerordentlich gering im deutschen und internationalen Vergleich“, rufen die Experten in Erinnerung. „Ansätze für eine Weiterentwicklung der Parkraumbewirtschaftung können eine weitere Erhöhung der Parkgebühren sein, die Ausweitung der Zonen auf Friedrichshain-Kreuzberg und die Erhöhung der Gebühren für Anwohnerparkausweise.“
Auch sollte geprüft werden, das Straßenparken in Parkhäuser zu verlagern. Dafür seien noch freie Kapazitäten vorhanden. Auch seien die Gebühren in aller Regel niedriger.
Die Grünen kritisieren „Auspuff-Politik ohne Sinn und Verstand“
„Es zeigt sich klar, was die Menschen wollen und brauchen: Fußgängerzonen und Kiezblocks zum Schutz vor Durchgangsverkehr und eine massive Begrünung der Kieze“, kommentiert die Grünen-Verkehrspolitikerin Oda Hassepaß. „Doch was bekommen die Berliner:innen mit der CDU? Eine Auspuff-Politik ohne Sinn und Verstand.“ Zudem habe der Senat Projekte für gesunde und günstige Mobilität und Aufenthaltsqualität gestoppt, ruft die Abgeordnete in Erinnerung.
Wie geht es nun weiter? Petra Nelken, Sprecherin der Verkehrssenatorin, gibt sich gelassen. „Der Status-quo-Bericht dient der fachlichen Bestandsaufnahme und bildet die Grundlage für die weitere Entwicklung des verkehrlichen Innenstadtkonzeptes“, teilt Nelken mit. Derzeit sei das Planungsbüro dabei, die Defizite und den Handlungsbedarf in Maßnahmenempfehlungen zu überführen. Dazu gehört auch ein Abgleich der Anregungen und Wünsche aus den Öffentlichkeitsbeteiligungen und den Workshops.
Senat will „Straßenräume multifunktional gestalten“
Das verkehrliche Innenstadtkonzept soll dazu beitragen, „die Resilienz des Verkehrssystems zu erhöhen, indem Nutzungen flexibler organisiert, Straßenräume multifunktional gestaltet und Infrastrukturen an Klimaanpassung und veränderte Mobilitätsbedürfnisse angepasst werden“, erläutert die Behördensprecherin.
Das ist der Terminplan für das Verkehrskonzept: Vom 15. Dezember 2025 bis 31. Januar 2026 sollen die Ergebnisse während einer Ausstellung öffentlich gezeigt werden, so Nelken. Wie geht es mit dem Masterplan weiter? „Der Abschlussbericht soll bis Ende 2025 vorliegen. Er wird Festlegungen und Priorisierungen von Maßnahmen enthalten.“
Es dürfte eine spannende Lektüre werden.
