Eine Strafanzeige gegen Berlins Finanzsenator und Thilo Sarrazin, ein zerstörtes Kloster und ein japanisches Kurzschwert: Rund um die Wiederbebauung von Berlins Stadtzentrum haben sich die Fronten verhärtet. In wenigen Tagen werden erste Entscheidungen getroffen. Ein Überblick.
Neue Osnabrücker Zeitung vom 07.11.2025 von Dr. Philipp Ebert

Dort, wo Berlins historischer Ursprung liegt, fahren heute Autos. Viele Autos. Mehr als 50.000 Fahrzeuge befuhren 2023 täglich den Mühlendamm. Dieser Abschnitt der Bundesstraße 1 in der Nachbarschaft von Rotem Rathaus und Stadtschloss gehört zu den meistbefahrenen Straßen der Hauptstadt.

In der Umgebung findet man die wenigen sichtbaren Zeugen von Berlins historischem Zentrum: eine Klosterruine, eine alte Münzprägeanstalt und ein paar Meter übriggebliebene Stadtmauer.

Früher lief die Bundesstraße 1 mitten über die Baufläche in der Bildmitte. Weil sie nun direkt neben dem Roten Rathaus herführt, ist der Molkenmarkt für eine Wiederbebauung frei geworden.

Südlich vom Roten Rathaus heißt die B1 Grunerstraße. Vor einigen Jahren wurde sie verlegt, sie ist jetzt schmaler. Das freigewordene Areal heißt Molkenmarkt. Derzeit graben hier Archäologen nach Überresten. Eines der überraschendsten unter den vielen Fundstücken: ein japanisches Kurzschwert aus dem 17. Jahrhundert.

Archäologen haben bei Grabungen am Molkenmarkt ein japanisches Kurzschwert aus dem 17. Jahrhundert entdeckt. Das Landesdenkmalamt sprach in einer Mitteilung von einem „Sensationsfund“. Das Schwert – ein sogenanntes Wakizashi – war demnach in einem mit Kriegsschutt verfüllten ehemaligen Keller eines Wohngebäudes entdeckt worden.

Bald aber soll hier gebaut werden.

Was Berlin am Molkenmarkt plant
Hier, an Berlins historischem Ursprung, will die Verwaltung des Stadtstaats ein „lebendiges Quartier mit einer vielfältigen Mischung aus Wohnen, Gewerbe und Kultur“ schaffen, „in dem man sich gern aufhält“, wie es auf der Projektseite der Senatsverwaltung heißt. Man hofft auf „attraktive Kultur- und Einzelhandelsangebote“, damit Berlins Gründungsort „wieder erlebbar“ werde. Die Planungen laufen bereits seit den 1990er-Jahren, heißt es auf der Internetseite.

Damit nun aus der Planungs-Prosa auch Realität wird, wurde im Sommer ein Architekturwettbewerb für die erste von fünf Flächen ausgeschrieben. Ab dem 10. November tagt das Preisgericht.

Doch schon bevor entschieden wird, welcher architektonische Entwurf den Zuschlag für die erste Baufläche erhält, gibt es Kritik. Und zwar von allen Seiten.

Vereine wollen in Berlins Mitte historische Gebäude wieder aufbauen
Da sind einerseits Vereine und Stiftungen, die für eine stark an historischen Gebäuden orientierte Bebauung des Molkenmarkts kämpfen. Sie nennen sich „Allianz der baukulturell engagierten Berliner Bürgervereine“. Auf der anderen Seite stehen Kritiker wie der in Kassel lehrende, aber in Berlin lebende Professor für Architekturtheorie Philipp Oswalt. In der Mitte, gewissermaßen im Kreuzfeuer der Kritik: das Gesicht der Senatspläne, Petra Kahlfehldt. Die Architektin ist Senatsbaudirektorin in der SPD-geführten Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen.

Die jüngste Kritik kommt von der „Allianz der baukulturell engagierten Berliner Bürgervereine“, einem Zusammenschluss von sechs Vereinen und Stiftungen. Sie meint: Die Planung der Berliner Stadtverwaltung würde am Molkenmarkt ein „belangloses, flächenoptimiertes Quartier“ entstehen lassen. Ein Bezug zur historischen Bebauung an dieser Stelle sei „kaum erkennbar“.

Was sie stattdessen fordert: Der „bauliche Charakter” des Molkenmarktes müsse „in Architektur und Stadtbild” klar erkennbar sein. Die Allianz bezieht sich dabei auf den Anblick des Marktes im 18. und 19. Jahrhundert.

Um das zu erreichen, sollten 25 Gebäude als „Leitbauten” in ihrer historischen Gestalt wiederaufgebaut werden. Laut Allianz geht es dabei um „Putzfassaden” und „einfache, klassisch proportionierte Stuckornamente” an drei- bis viergeschossigen Häusern. Der Rest der Bebauung solle weitgehend dem historischen Straßenplan folgen und sich an den Leitbauten orientieren.

Als Vorbilder für dieses Vorgehen verweist die Allianz auf Frankfurt am Main, Dresden und Potsdam, wo nach dem gleichen Vorgehen Altstädte wieder aufgebaut wurden. Die Allianz wähnt die Berliner hinter sich und verweist auf eine repräsentative Forsa-Umfrage von 2023, nach der 60 Prozent der Befragten die Wiedererrichtung von Leitbauten am Molkenmarkt befürworten würden.

Die Bebauung, wie sie der Allianz vorschwebt, wäre damit niedriger als in den Planungen des Senats – dieser geht von siebengeschossigen Häusern aus.

Philipp Oswalts Kritik an wiederaufgebauten Altstädten

Ganz anders blickt der Architekturprofessor Philipp Oswalt auf Rekonstruktionen. Eines seiner Bücher heißt „Bauen am nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik“. Den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses, nur 500 Meter vom Molkenmarkt entfernt, hat Oswalt scharf kritisiert, ebenso jenen der Frankfurter Altstadt oder der Potsdamer Garnisonkirche. Der Zeitung „taz“ sagte er vor einiger Zeit, eine vollständige Rekonstruktion von Gebäuden gehe „in Richtung einer rechten Identitätspolitik“. 

Die Senatsbaudirektorin Kahlfeldt rückte er in die Nähe des umstrittenen Berliner IT-Millionärs und Zeitung-Verlegers Holger Friedrich, zugleich beklagte Oswalt Verbindungen zwischen SPD-Politikern, Investoren und „Ideologie“. Der Stiftung Berlin Mitte, einem Mitglied der um Rekonstruktion bemühten Allianz, warf Oswalt im Sommer 2025 vor, dass das Vermögen der 2024 verstorbenen Stifterin Marie-Luise Schwarz-Schilling auf „Rüstungsproduktion für das NS-Regime, Ausbeutung von Zwangsarbeitern und Umweltverbrechen“ zurückgehe. Oswalt weiter: „Konstellationen dieser Art sind unterirdisch.“

Und dann ist da noch der Streit um das im Krieg zerstörte Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster, von dem nur noch die Ruine der Klosterkirche steht. Der Schulbetrieb wurde unter ähnlichem Namen in zwei Schulen in Ost- und West-Berlin fortgesetzt.

Warum Anzeige gegen Thilo Sarrazin und Stefan Evers (CDU) erstattet wurde
Rekonstruktions-Fans werben dafür, dass die Schule am Grauen Kloster wieder an ihrer alten Stätte aufgebaut wird. Eine Simulation, wie das aussehen könnte, hat die Stiftung Berlin Mitte schonmal anfertigen lassen. Der Senatsplan sieht den Wiederaufbau der Schule zwar nicht vor, steht ihm aber auch nicht im Weg. Dort heißt es lapidar: „Sollte langfristig ein Schulstandort entwickelt werden, wird eine stärkere Rücksichtnahme auf das Baudenkmal Klosterkirchenruine und die zugehörigen Grünflächen zu beachten sein.”

Ein jahrelanger Rechtsstreit rund um das Grundstück konnte erst kürzlich mit einem juristischen Vergleich beigelegt werden. Demnach bekommt eine Stiftung, die sich als Rechtsnachfolgerin der Klosterschule sieht und deshalb die Rückgabe des Grundstücks oder eine Entschädigung gefordert hatte, zwei kleine Grundstücke und eine Million Euro vom Land Berlin.

Wegen des Vergleichs haben Oswalt und die Linken-Bundestagsabgeordnete Katalin Gennburg Anzeige erstattet unter anderen gegen den amtierenden Berlin Finanzsenator, Stefan Evers (CDU), sowie gegen einen seiner Vorgänger – den früheren SPD-Politiker Thilo Sarrazin. Oswalt findet, der Vergleich sei eine Veruntreuung öffentlicher Gelder. Evers wollte sich auf Nachfrage nicht zu der Angelegenheit äußern; Sarrazin teilte mit, er wisse nichts von der Anzeige. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat den Eingang der Anzeige auf Anfrage bestätigt, prüft aber noch, ob Ermittlungen überhaupt eingeleitet werden.

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