Streit gab es schon vor Beginn des internationalen Wettbewerbs zur Gestaltung des Schlossumfeldes: Modern oder nach historischen Vorbildern - darüber scheiden sich die Geister. Senatsbaudirektorin Regula Lüscher bezieht Stellung.

Der Tagesspiegel, 14.09.2012 - von Ralf Schönball

Streit hatte es schon gegeben, als der Rahmen für diesen Wettbewerb noch gar nicht abgesteckt war. Jetzt ist er gestartet: Der Aufruf an die besten internationalen Landschaftsarchitekten, ihre Vorschläge zur Gestaltung des Umfeldes von Berlins wohl spektakulärstem Neubauprojekt einzureichen, dem Schloss. Auf 38 000 Quadratmetern Grundstück und öffentlichen Flächen ist Platz für Wege, Kunst, Skulpturen, Grünflächen und Wasserspiele. Zehn Millionen Euro umfasst das Budget. Die Gewinner erhalten neben Preisgeldern von mehr als 80 000 Euro größtmögliche Öffentlichkeit – auf vermintem historischen Terrain.
Explosiv dürfte die Stimmung schon deshalb sein, weil in der Jury Anhänger einer an der Stadtgeschichte vor 1945 inspirierten Fraktion wie Staatssekretär der Senatskanzlei André Schmitz (SPD) ebenso vertreten sind wie Modernisten, zu denen auch Senatsbaudirektorin Regula Lüscher gezählt wird.

Eine Einordnung, die sie selbst so nicht gelten lassen würde. Denn Lüscher beruft sich auf die Position des Landeskonservators, für den die Umgestaltung der Stadtmitte in den Jahren der deutschen Teilung auch ein erhaltenswerter Teil der Stadtgeschichte ist. Doch vorerst ist der Streit, ob historisierende Entwürfe eine Chance hätten, ohnehin beigelegt: „Der ausgeschriebene Freiraumwettbewerb ermöglicht sowohl moderne Wettbewerbsbeiträge als auch solche, die einen weitgehenden Rückgriff auf die historische Gestaltung des Schlossumfelds nehmen", sagt der CDU-Stadtentwicklungspolitiker Stefan Evers. Aber wie sieht die Senatsbaudirektorin selbst diese Auseinandersetzung, in der sie schon mal kräftig attackiert wurde?

„Wir sprechen nicht von einer modernen oder einer historisierenden Gestaltung, sondern von einer Interpretation historischer Spuren", sagt sie. Auch das Schloss werde, einmal erbaut, als „Rekonstruktion der heutigen Zeit, für jeden klar als Bauwerk des 21. Jahrhunderts erkennbar sein". Weil die zum Fernsehturm gerichtete Ostfassade nicht nach Schlüters Vorbild, sondern von Franco Stella gestaltet wird, als strenge Rasterfassade. Weil das, was vom gesprengten Original übrig ist, als Archäologisches Fenster im Keller des Neubaus zu besichtigen sein wird. Und weil das Schloss als Humboldtforum eine zeitgenössische Funktion erfüllt: Erkenntnis und Wissen über die Kulturen der Welt sollen in Sammlungen und Ausstellungen, Festivals und Foren zelebriert werden. Kurzum, mit dem Neubau „entsteht eine weitere historische Schicht, die in ihrer eigenen Zeitlichkeit" erlebbar ist.

Für Lüscher wäre also ein Double des Originals nur eine Farce – und das lehnt die Senatsbaudirektorin ab. Lieber sollen „historische Spuren und städtebauliche Bezüge sichtbar werden und erhalten bleiben". Das heißt: Der Schlossbrunnen kommt nicht wieder vor die Südfassade, weil dadurch seine neue Rolle als „Neptunbrunnen" im Marx-Engels- Forum zerstört würde. Dafür soll der Platz, auf dem der Schlossbrunnen vor dem Krieg stand, im Wettbewerb frei gelassen werden, als Hinweis auf die historische Spur.

Interpretationen sind gefragt
Ähnlich argumentiert Lüscher im Streit um den Verbleib jener Großskulpturen, die einmal nördlich des Schlosses den Lustgarten begrenzten: die Rossebändiger. Diese stehen heute im Schöneberger Kleistpark. Und auch „das ist Teil der Nachkriegsgeschichte, denn dort hatte der alliierte Kontrollrat seinen Sitz", sagt sie. So besehen, sind auch diese von Krieg und Wiederaufbau geprägten Orte historisch aufgeladen. Eine Rückkehr der Werke an ihren ursprünglichen Platz wäre – jedenfalls symbolisch – eine Restauration.

„Das Schloss wird erkennbar als Bauwerk unserer Zeit." - Einen solchen Versuch hatte allerdings nicht einer der Teilnehmer am bereits abgeschlossenen Wettbewerb des Kulturkreises der Wirtschaft zum selben Thema im Sinn. Die teilnehmenden Studenten ließen indes auch historische Bezüge außer acht. Dafür widmeten sich viele besonders der früheren „Rückseite" des Schlosses. Die zum Marx-Engels-Forum ausgerichtete Front ist auch für Lüscher von „herausragender Bedeutung". Weil sich das Humboldtforum dort am stärksten zur Stadt öffne und das Gebäude dort außerdem „in intensive Beziehung zur Spree tritt".

Und die Südfront des Gebäudes, von dessen Balkon aus Karl Liebknecht die Republik ausrief? Und der Schlossplatz, wo sich 1848 die Märzrevolutionäre versammelt hatten? Gefragt sei hier „eine Interpretation, wie sich das Humboldtforum auf die Stadt und die Gesellschaft öffnet". Der Schlossplatz müsse ferner über die Breite Straße mit der südlich gelegenen mittelalterlichen Stadt verbunden werden – bis zum Petriplatz hinunter, wo das Archäologische Zentrum entsteht.

Und weil im Norden, wo einmal die Schlossterrassen waren, nun doch kein Wartungsstreifen für Reinigungskolonnen frei gehalten werden muss, könnten auch dort historische Bezüge zum Lustgarten jedenfalls räumlich aufleben. Dem westlich gelegenen Haupteingang schließlich, mit dem Einheitdenkmal gegenüber, misst Lüscher „repräsentativen Charakter" bei.

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