Zwischen Spree, Gertraudenstraße und Schlossplatz, fing Berlins Herz an zu schlagen. Angesichts der Tristesse am Petriplatz ist das heute kaum mehr vorstellbar. Nun wird das Quartier aber wiederbelebt. Ein Streifzug durch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Der Tagesspiegel vom 12.01.2013 von Andreas Conrad und Ralf Schönball 

Unter dem Pflaster liegt die Stadt – fast nirgendwo wird das so deutlich wie auf dem Boden von Cölln, jener zweiten Kammer des alten Herzens von Berlin. Zentrum war die St.-Petri-Kirche. Sie war in der Stadt einst – neben der Nikolaikirche – das Gebäude mit den ältesten historischen Wurzeln. Bis ins 13. Jahrhundert reichen die. Die Wurzeln anderer, längst verschwundener Häuser reichen sogar noch weiter zurück, die älteste bekannte bis ins Jahr 1171, weit über die 775 Jahre hinaus, die Berlin im Oktober feierte.

 

Die Petrikirche hatte selbst nach ihrem Abriss 1960/64 noch lange nicht ausgedient.

 

Vier Meter dick waren die Mauern, deren Ziegel noch auf dem Petriplatz, einer der beiden Keimzellen der damals wieder geteilten Stadt, zerkleinert und nach West-Berlin verkauft wurden. Verwendet wurden sie zum Bau von Straßen und Sportstadien, leisteten so ihren bröseligen Beitrag zur damaligen Aufbruchstimmung, standen für Fortschritt und Neubeginn – und fügten doch dem Neuen nur eine historische, wenngleich verborgene, kaum jemandem bewusste Schicht hinzu.

Ein für Berlin – und gerade für seine uralte, auf der Fischerinsel gegründete Teilstadt Cölln – charakteristischer Vorgang. Denn wenngleich nun eine historische Schicht teilweise abgetragen und verschoben worden war, änderte sich doch nichts an der Grundstruktur der Stadtlandschaft, diesem Zeitalter für Zeitalter aufeinandergestapelten Gemenge, das erst in den gerade zurückliegenden Jahren wieder durch Grabungen greifbar geworden ist, bei denen Grundmauern, Balken, Skelettreste von Schweinen, Münzen, Würfel und Ähnliches entdeckt wurden. Doch schon 1967 waren Mauerreste vom sakralen Wirkungsort des Pfarrers Symeon freigelegt worden. Dessen Erwähnung in einer Urkunde 1237 hatte den Anlass zum Stadtjubiläum gegeben. So wissen wir nun also, da Cölln mit vielen neuen Plänen, die jetzt verwirklicht werden, sein Comeback feiern soll und Archäologen die Baugruben weiter durchleuchten, dass dieses Quartier noch viel älter und reicher an Geschichte ist, als es im kollektiven Bewusstsein präsent war.

Cölln war – und wird wieder sein: ein wichtiger Teil des pulsierenden historischen Zentrums Berlins. Wenn erst das Schloss am nördlichen Ende der Breiten Straße rekonstruiert ist, wenn im Süden der Petriplatz mit neuer Bebauung wieder Gestalt annimmt. Und wenn nördlich ein ganz neuer Block mit Hunderten von Wohnungen, verteilt auf drei Innenhöfe, heranwächst, der auch das alte Kaufhaus Hertzog einschließen wird, das an der Brüderstraße einsam der Sanierung harrt.

So ist am Südrand des Quartiers schon vieles entschieden: Der Petriplatz wird neu gefasst durch das auf der Westseite projektierte Archäologische Zentrum nach Plänen des Münchener Baumeisters Florian Nagler und der Berliner Landschaftsarchitektin Christina Kautz sowie durch das Bethaus St. Petri auf der gegenüberliegenden Platzseite, nach Entwürfen von Kuehn Malvezzi. Wer diesen ehemaligen Standort des Cöllnischen Rathauses bebauen wird, entscheidet eine Jury am 27. Februar. Im alten Kaufhaus Hertzog will der neue Eigentümer ein Hotel und Wohnungen unterbringen. Das sanierte Baudenkmal wird den Eckstein des Ensembles bilden, das im besten Fall eine zeitgenössische Adaptation der Hackeschen Höfe bilden könnte: Mit Zugängen vom Petriplatz, von der Breiten und der Brüderstraße sowie der Neumannsgasse sollen drei um große Innenhöfe gruppierte Teilblöcke aus Stadt- und Reihenhäusern entstehen: eine eigene Welt für die Bewohner des neuen, kulturell geprägten Viertels.

Ein Ort herausragender touristischer Bedeutung soll entstehen

Das aus einem Dämmerzustand in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückte Areal wird beidseitig von der Spree umspült, im Norden vom Schlossplatz und im Süden von der Gertraudenstraße begrenzt. Hier werde ein Ort „herausragender kultureller und touristischer Bedeutung" entstehen, prophezeit Senatsbaudirektorin Regula Lüscher. Bislang ist davon wenig zu erkennen. Doch die Wüstenlandschaft aus Baugruben und Grabungsstätten, die zurzeit noch meist unbeachtet links liegen bleiben, wenn wir Richtung Alexanderplatz rauschen, kündigt diese Zukunft an. Die Planungen laufen auf Hochtouren, und die Wettbewerbe, die über die Gestalt der Neubauten und Plätze entscheiden, sind ausgerufen oder bereits entschieden. Sie werden zeigen, ob das Quartier an seinen alten Glanz wieder anschließen kann.

Den verdankte es gerade seiner Nähe zum Schloss, auch wenn Berliner und Cöllner das zunächst nicht wahrhaben wollten und die erste Schlossbaustelle 1448 wütend unter Wasser setzten. Aber die ältesten erhaltenen Wohnhäuser Berlins, die eben in Cölln stehen, zeugen noch heute vom Wohlstand, der um die erst kurfürstliche, später königliche, zuletzt kaiserliche Residenz gedieh und der Stadt in ihrer geistigen Entwicklung gut bekommen ist. Ein Gebäude wie das Nicolaihaus in der Brüderstraße 13 etwa zählte zu seinen Besitzern den „patriotischen Kaufmann" Johann Ernst Gotzkowsky, dem Berlin die Königliche Porzellan-Manufaktur verdankt, wie den namensstiftenden Verleger und Aufklärer Christoph Friedrich Nicolai.

Das Warenhaus Hertzog war eines der ganz großen in Berlin, während der Kolonialzeit mit Filialgebäude in Swakopmund in Deutsch-Südwestafrika, das noch heute steht. Und flotte Werbesprüche florierender Unternehmen wurden nicht erst im Paech-Brot-Berlin erfunden, sondern schon im 19. Jahrhundert. Daran sollte man angesichts der Kellerreste des Ermelerhauses auch denken, die auf dem Grundstück des abgetragenen DDR-Bauministeriums aufgetaucht sind: „Wo kommt der beste Tabak her? Merk auf, mein Freund, von Ermeler." Überall im Quartier stößt man auf solche Spuren. Der Name der Brüderstraße etwa erinnert an das alte Dominikanerkloster. Sogar die NS-Zeit ist präsent – durch die Lücken, die der von Hitler entfesselte Krieg schlug. Und der Park hinter dem Staatsratsgebäude zeugt von der DDR-Gartenkultur.

Künftig könnte er zu einem Rückzugsort für gestresste Hauptstädter werden. Der Senat will das Gespräch mit den Pächtern des Staatsratsgebäudes suchen, um den „verwunschenen Garten" wieder für die Berliner zu öffnen. Denn Grün wird man im Umfeld des Schlosses, über dessen Gestaltung ein Wettbewerb kommende Woche entscheidet, nur wenig finden. Heftigen Streit hatte es darüber gegeben, ob der Neptunbrunnen an den Schlossplatz zurückkehrt. Auch andere historische Großskulpturen wünscht sich manch einer an den Schlossplatz, Cöllns Nordrand, zurück.

Eine im besten Sinne urbane Zukunft könnte es werden, wenn erst Konzerte und Ausstellungen ins Schloss locken, die Galerie Kewenig ins Galgenhaus bittet, das Märkische Museum im Marstall die Geschichte der Stadt aufblättert und im Archäologischen Zentrum die Funde aus den aktuellen Grabungen ausgestellt werden. Die Breite Straße, an der dann Cafés, Restaurants, Kunst- und Antiquitätenhändler öffnen, wird wieder an ihre Geschichte anknüpfen: als elegante Flaniermeile mit Blick aufs Schloss. Wenn nichts schiefgeht, wie bei manch anderem Berliner Großprojekt.

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