Nahaufnahme: Die "Rossebändiger", ein russisches Präsent fürs preußische Königshaus, kehren zurück in die Mitte Berlins.

Der Spiegel vom 3.3.2008 von Ariane von Dewitz

Verdutzt blinzelt der bärtige, nicht mehr ganz junge Mann in den grauen Himmel. Da schaukelt, direkt über ihm, ein muskulöser Jüngling aus Bronze und zieht am Zügel eines mächtigen Pferdes. Nur einen Moment bleibt der Mann stehen. Mit offenem Mund, sich am Bart kratzend, verfolgt er die Zeitlupenbewegungen des Schwerlastkrans, der die Skulptur mit roten Schlingen vom Lastwagen hebt. Doch dann verliert er wohl die Geduld und zieht weiter, sein wüst und vollbepackter Einkaufswagen scheppert auf dem regennassen Straßenpflaster.

 

Alltägliche Begleitmusik einer eigentlich feierlichen Prozedur: Außer dem Zufallszeugen interessieren sich an diesem Dienstagmorgen nur einige Fotografen und Journalisten für die Ankunft einer der beiden jeweils über sieben Tonnen schweren Pferdefiguren vor dem Berliner Martin-Gropius-Bau. Das kolossale Paar der unterschiedlich gestikulierenden "Rossebändiger" ist ein Geschenk des Zaren Nikolaus I. Der schickte sie 1843 seinem Schwager, Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV.

 

"Heute weiß fast keiner mehr etwas von der Bedeutung dieser Figuren", sagt Reinhard Alings, 48, Angestellter der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Er selbst steht kaum still vor Aufregung: Bronzepferd und Bronzejüngling schweben näher auf den Eingang des ziegelsteinbewehrten Museums zu. Projektkollege Jürgen Luh, 44, schnappt nach Luft, als die ausgestreckte Faust des "Rossbändigers" beinah am Türrahmen entlangscheuert. Die Arbeiter der Transportfirma sind gereizt. "Fuß vom Seil", raunzt einer die Journalisten an. 75 Meter und 29 Stufen sind noch zu überwinden. Seilwinden, Flaschenzüge, Metallböcke - eine Materialschlacht.

Friedrich Wilhelm IV. hatte bei einem Besuch seiner Schwester, der Zarin Alexandra Fjodorowna, das "Rossebändiger"-Paar auf der St. Petersburger Anitschkow-Brücke entdeckt und sich prompt in sie verguckt. Der Zar hatte daraufhin Abgüsse der Skulpturen bei ihrem Schöpfer Peter Clodt von Jürgensburg (1805 bis 1867) in Auftrag gegeben. Sie gelten als die bekannteste Werkgruppe des baltisch-russischen Bildhauers, über den der Zar einst gesagt haben soll: "Der Mann erschafft edlere Pferde als jeder preisgekrönte Hengst."

Scharen jubelnder Berliner eilten herbei, als die Skulpturen 1844 vor das Berliner Stadtschloss gesetzt wurden. Noch vor der Schloss-Sprengung 1950 schaffte man die Skulpturen fort - in den Heinrich-von-Kleist-Park. Da dort der Alliierte Kontrollrat tagte, konnte die Öffentlichkeit die Figuren nicht sehen. Allmählich gerieten sie in Vergessenheit.

Nach über 60 Jahren im Laubversteck feiern sie nun eine triumphale Rückkehr. Der Anlass: Die Skulpturen sollen vom 13. März an helfen, die deutsch-russischen Beziehungen zu illustrieren - in der Ausstellung "Macht und Freundschaft. Berlin-St. Petersburg 1800-1860". Anfang Juni wandern Teile der Ausstellung in die Eremitage nach St. Petersburg. "Wir wollen dort Diskussionen anregen - so wird der europäische Geist in Russland vielleicht wiederbelebt", hofft Gereon Sievernich, 47, Direktor des Martin-Gropius-Baus.

Für Organisator Alings ist die Ankunft "der Kernstücke dieser Ausstellung ein emotionaler Augenblick". Ein Jahr hatten die Veranstalter der Schau darum gekämpft. Die Figuren mussten akribisch vermessen werden - fast scheiterte alles an ihrer Größe: 3,98 Meter sind sie hoch, 4 Meter misst der Türrahmen des Museumseingangs.

Millimeterarbeit war auch die Verhandlung mit den Behörden: "Beamte des Bezirksamts Schöneberg scheuten sich erst, das Kunstwerk zu verleihen", sagt Ada Raev, 52, Kuratorin der Ausstellung. Erst ein Deal besänftigte die Bedenkenträger: Nach der Ausstellung übernimmt die Stadt Berlin die Restaurierungskosten und das Bezirksamt erhält die "Rossebändiger" zurück - "nach St. Petersburg reisen sie deshalb nicht", so Raev. Müssen sie auch nicht, dort gibt es ja immer noch die Originale.

Die Darstellungen der jungen Männer, die mit den kräftigen Pferden ringen, heißen im Volksmund "Gebremster Fortschritt" und "Beförderter Rückschritt". Sie repräsentierten auch den politischen Ehrgeiz des Zaren: "Nikolaus I. strebte über Russlands Grenzen hinaus nach Macht. Freiheitlich-revolutionäres Gedankengut, das sich vor ihm aufbäumte, war im Weg", kommentiert Jürgen Luh.

Seit der Antike bedienten sich Herrscher der Symbolkraft des Pferdes, um Stärke zu demonstrieren: Die bekannteste Bronzefigur stammt aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus und zeigt den reitenden römischen Kaiser Mark Aurel. Als Vorbild der "Rossebändiger" gilt die monumentale Figurengruppe der Dioskuren vor dem Quirinalspalast in Rom.

Eines der beiden Zarengeschenke, der "Gebremste Fortschritt", landet nach acht Stunden auf hölzernem Sockel im Lichthof des Gropius-Baus. Am Tag darauf wird die zweite Skulptur folgen.

Luh sinniert vor sich hin: "Bald stehen sie auch wieder vor dem Berliner Schloss - vielleicht, irgendwann."

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