Stadtplanung in Berlin - Die Berliner Senatsbaudirektorin Regula Lüscher hat keine Vision für die Zukunft der Stadt. Lieber will sie die architektonische Hinterlassenschaft der DDR konservieren.

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19.04.2013 von Adnreas Kilb

Vor zehn Tagen durfte die Berliner Senatsbaudirektorin Regula Lüscher auf dem leeren Flugfeld des einstigen Stadtflughafens Tempelhof ein Gingkobäumchen pflanzen. Der Gingko ist der sichtbare Ausdruck des „Leadership Awards der Immobilienwirtschaft", den Lüscher bereits im November vom Urban Land Institute, dem „führenden multidisziplinären Immobilienforum" (so die Selbstauskunft), für „zukunftsorientierte Stadtplanung und -entwicklung" empfangen hat. Und er ist mit seinen gespaltenen Blättern ein passendes Symbol für die Probleme, mit denen die Berliner Baupolitik unter der Ägide Lüschers zu kämpfen hat.

Sie steht im Schatten eines großen Vorgängers
Seit März 2007 bekleidet die Schweizer Architektin und einstige Zürcher Stadtplanerin das mit wenig politischer Macht, aber großem überparteilichem Einfluss ausgestattete Baudirektorenamt, dem ihr Vorgänger Hans Stimmann fünfzehn Jahre lang in zahllosen Debatten Kontur gegeben hat. Bei Stimmann wusste man, wofür er stand: die Wiederherstellung des historischen Stadtgrundrisses, die Förderung des Kulturbürgertums, die Anpassung neuer Projekte an die vorhandene Bebauung.

Als Gralsschützer der Traufhöhen ist Stimmann mit seinem „Planwerk Innenstadt" in die Zeitgeschichte eingegangen. Man kann es auch so ausdrücken: Stimmann hat verhindert, dass aus der Berliner Stadtmitte an beliebigen, vom Zufall des Investorenwillens abhängigen Stellen Hochhäuser in den Himmel ragen.

Unter Lüscher ist die Physiognomie des Amtes weniger deutlich. Einerseits gibt sie sich als Vorkämpferin zeitgenössischer Architektur, die die alten Bauzöpfe abschneiden will, wo immer es geht. Andererseits möchte sie die Hinterlassenschaften jener Nachkriegsmoderne, in der sich die Architekten im Osten wie im Westen an der vom Bombenkrieg zerstörten Stadt austoben durften, am liebsten flächendeckend unter Denkmalschutz stellen.

Baupolitik mit den Taktiken des Hinterzimmers
Diese Gespaltenheit zwischen dem Bewahren und dem Zerstören von Traditionen zeigte sich in jeder großen städtebaulichen Debatte der vergangenen Jahre. Bei der Sanierung der Staatsoper gehörte Lüscher zu den entschiedensten Verfechtern der Tabula-rasa-Lösung, die den historischen Innenraum Richard Paulicks komplett beseitigt hätte. Bei der Debatte um den Schlossplatz dagegen, die sich vor allem um die Frage drehte, ob der Neptunbrunnen von Reinhold Begas wieder an seinen alten Ort vor der Südfassade kommen sollte, klammerte sie sich mit Zähnen und Klauen an den jetzigen Standort des Brunnens im sogenannten Marx-Engels-Forum, das die DDR in den sechziger Jahren auf der Brache gegenüber vom damaligen Palast der Republik begrünte.

Noch bevor der Gestaltungswettbewerb für das Schloss-Umfeld entschieden war, ließ Lüscher ihre Kollegen vom Baudezernat durch die Neuplanierung der Breiten Straße über das einstige Brunnengelände hinweg Fakten schaffen, nur um anschließend zu erklären, eine Aufstellung des Begas-Werks am historischen Ort sei ohnehin nicht möglich und deshalb nicht vorzusehen. Auch so, mit den Waffen und Taktiken des Hinterzimmers, kann man Baupolitik treiben, freilich keine, die der Stadt und ihren Institutionen Ehre macht.

In der jüngsten Diskussion um die weitere Gestaltung des Alexanderplatzes hat sich die Senatsbaudirektorin gleichfalls auf typische Weise positioniert. Die zwanzig Jahre alten Pläne des Architekten Hans Kollhoff, der den Platz in eine Art Großgräberfeld mit zehngeschossigen Kuben verwandeln wollte, aus deren Rückwänden vierzigstöckige Hochhausfronten wachsen sollten, sind längst überholt; das hat auch Frau Lüscher erkannt.

Aber ihre Begründung dafür, dass Berlin vom Alexanderplatz die Finger und dem einzigen vorhandenen Investor, der amerikanischen Firma Hines, beim Bau eines Luxushotels plus Shoppingmall freie Hand lassen soll, klingt nach einem Aprilscherz: Eine Neubebauung würde die vorhandene DDR-Architektur, etwa das kürzlich renovierte „Haus des Lehrers" und das leicht abgestoßene „Haus des Reisens", übertönen und Blickachsen auf die Plattenbauten der Karl-Marx-Allee verstellen.

Das Pathos der Betonkuben und leeren Plätze
Doch Frau Lüscher meint es ernst. Sie möchte die Berliner Mitte in ein Freiluftmuseum der DDR-Stadtplanung verwandeln, so wie sie mit der von ihr erfundenen Europacity nördlich des Hauptbahnhofs den westdeutschen Trabantenstädten der sechziger und siebziger Jahre ein Denkmal setzen will. Während sich dort das Auge des Betrachters in der labyrinthische Monotonie der Betonkuben verlieren soll, wird es, wenn die Senatsbaudirektorin sich durchsetzt, im Stadtinneren vor dem Pathos der leeren Plätze erschauern, auf denen sich höchstens Touristenbusse und Weihnachtsmärkte zu Hause fühlen.

Die Mischung aus technokratischem und musealem Denken, von der Regula Lüschers Amtsführung zeugt, ist für Berlin fatal. Diese Stadt ist schwer verletzt worden, durch Bomben, Bauten und Stadtplaner. Was sie braucht, sind nicht Blickachsen und Wolkenkratzer, sondern eine Vision davon, wie sie in zwanzig, dreißig Jahren aussehen will, ein Vorbild, über das man streiten kann, sei es Paris oder Chicago. Vierzig Jahre lang war Berlin gespalten wie ein Gingkoblatt. Jetzt aber ist es ein Ganzes, und das muss man zeigen - in Glas, Stein und Stahl.

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