Mit dem bisherigen Konzept zur Internationalen Bauausstellung 2020 blamiert sich Berlin. Auch deshalb spricht viel für die Idee von SPD-Landeschef Jan Stöß.

Der Tagesspiegel vom 02.05.2013 von Harald Bodenschatz

Mit der IBA 2020 hat Berlin bislang trotz mehrjähriger Suche und kostspieliger Vorbereitungen keine Lorbeeren ernten können: Das IBA-Konzept ist diffus, es gibt keine griffigen Botschaften, keine verständlichen Orte, keine überzeugenden Leitprojekte. Kaum jemand außerhalb der Fachwelt versteht, was für eine IBA der Senat überhaupt will. In dieser verfahrenen Situation hat Jan Stöß einen neuen Vorschlag in den Ring geworfen: eine IBA Stadtmitte. Die Reaktionen waren, wie erwartet, widersprüchlich: Für eine solche IBA bestehe kein Handlungsbedarf, das haben wir alles im Griff, das ist doch alles nur eine nostalgische Idee von grauköpfigen Herren, dafür ist die Zeit noch nicht reif.

Für den Vorschlag sind diejenigen, die sich schon immer eine Rekonstruktion der Mitte wünschen. Stimmen, die diesen ,Vorstöß' zum Anlass nehmen, unbefangen die Möglichkeit einer IBA zu prüfen, bleiben (noch?) aus.

Was spricht für eine IBA-Stadtmitte? Noch ist der Umbau des Berliner Zentrums nicht abgeschlossen. Wenn bisher die Rekonstruktion der historischen City, also des Gebietes um die Allee Unter den Linden und die Friedrichstraße, im Vordergrund stand, rückt nun die ehemalige mittelalterliche Altstadt in den Vordergrund. Inzwischen wird, nach einer längeren Pause, wieder heftig um die Gestaltung eines Teils der ehemaligen Altstadt gestritten: des sogenannten Rathausforums. Soll dieser große Freiraum auf Grundlage des historischen Stadtgrundrisses wieder bebaut werden? Oder nur ein wenig, oder gar nicht? Hinter diesem Streit verblasst die weit größere Herausforderung: die Vernetzung der durch überbreite Straßen isolierten Fragmente der ehemaligen Altstadt untereinander und deren Anbindung an die umliegenden Stadtteile.

Aber gibt es denn nicht schon genug Vorschläge für die Stadtmitte? Ja, etwa das Projekt Klosterviertel, dessen Umsetzung seit Jahren vor sich hindümpelt. Dann das Projekt einer neuen Kirche samt Umfeld am ,Petriplatz', weiter die Neugestaltung an der Breiten Straße, die Weiterentwicklung des Gebiets um die Rochstraße, die unterschiedlichen Bauprojekte am Alexanderplatz sowie vor allem das Humboldtforum, das Sinn, Funktion und Gestalt der historischen Mitte grundlegend verändern wird. Dazu kommt die Verlängerung der U 5, die die Erreichbarkeit der historischen Mitte nochmals verbessern wird. Und es gibt weitere Ideen, die von zivilgesellschaftlichen Initiativen formuliert wurden – etwa die Idee, die Zentral- und Landesbibliothek in Berlins Mitte zu verorten oder das faszinierende Nathan-Projekt der Akademie der Wissenschaften (,Die Begegnung von Lessing und Mendelssohn als Urszene moderner Urbanität').

All diese offiziellen wie zivilgesellschaftlichen Projekte bleiben isoliert, es gibt – trotz aller gegenteiliger Beteuerungen – keine stadtentwicklungspolitische Vision, kein Konzept für die historische Mitte insgesamt. Doch genau eine solche Situation ist der ideale Nährboden für eine IBA: Das Interesse für den Ort, dessen Vergangenheit und Zukunft ist groß, es gibt viele Ideen, aber es fehlt eine Plattform, ein Verfahren, um aus dem Streit ein großes Projekt zu entwickeln. Das Thema ist zweifellos von höchstem internationalen Interesse: Wie soll eine Stadtmitte des 21. Jahrhunderts aussehen, die sich sowohl von der alten Stadtmitte aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg als auch von der modernen Stadtmitte nach dem Zweiten Weltkrieg unterscheiden muss? Eine Stadtmitte, die ihrer gesamten Geschichte gerecht wird, nicht nur der kurzen Geschichte der DDR-Moderne, aber eben auch dieser. Eine Stadtmitte, die Abschied von der autogerechten Stadt nimmt, die Identifikation für die gesamte Stadtregion bietet, die für alle Bevölkerungsgruppen offen ist, die einen neuen Sinn erhält, eine Stadtmitte der Zukunft!

Und das Thema Wohnen, das Berlin immer mehr beherrscht? Das ist natürlich auch und besonders wichtig. Jan Stöß hat einen Ausweg aus der dominanten Tonnenlogik (wer bietet mehr: Müller – 1500 Wohnungen, Stöß – 4000 Wohnungen) gewiesen: Es geht nicht nur darum, möglichst viele Wohnungen zu bauen, sondern es geht auch darum, ein attraktives Wohnambiente zu schaffen. Denn die Bürger zieht es ja nicht nur deswegen in die Innenstadt, weil die Wohnungen dort so eine angenehme Raumhöhe haben, sondern vor allem wegen des urbanen Umfeldes. Wie und in welchem Umfang das in einer zu rekonstruierenden Stadtmitte gesichert werden kann, darüber muss weiter gestritten werden.

Es gibt aber einen gewichtigen Einwand: Eine IBA Stadtmitte wird die Stadt außerhalb des S-Bahnrings, die Außenstadt, wenn nicht vernachlässigen, so doch mindestens ignorieren. Aber auch hierfür gäbe es einen Ausweg: Die IBA könnte, wie von Jan Stöß schon angedeutet, erweitert werden, die Stadtmitte könnte ein Schwestergebiet erhalten, eine Doppelkonstruktion, die, wie schon die doppelte IBA 1987 (Altbau- und Neubau-IBA), einen fruchtbaren Wettbewerb unterschiedlicher Milieus entfachen kann. Der unumstrittene Höhepunkt der Stadtmitte ist der Fernsehturm. In ihm bündelt sich die gesamte Stadtregion, auf ihn als Blickpunkt führen zahlreiche Radialstraßen. Es wäre denkbar, die eine oder andere Radialstraße als weiteres IBA-Gebiet auszuwählen, als Verbindung der Stadtmitte in die Stadtregion hinein, als Kraftader der Stadtregion, an der sich die Stadtteilmitten bündeln. Stadtmitte komplex und regional! Das könnte etwa die Karl-Marx-Allee sein, die schon jetzt einer der vielen Orte des IBA-Konzepts der Senatsverwaltung ist, oder die Karl-Marx-Straße bis hin zur Gropiusstadt, die irgendwann einmal zu dem stadtregionalen Schwerpunkt des Flughafens Berlin Brandenburg vermitteln wird, oder der Tempelhofer Damm, der ebenfalls auf der Liste der Senatsverwaltung steht.

Der Vorschlag für eine IBA Stadtmitte ist begrüßenswert. Er sollte nicht als Provokation, sondern als Herausforderung verstanden werden. Es bleibt zu hoffen, dass sich die politischen und fachlichen Akteure über die in jahrelangen Grabenkämpfen eingeübten Abwehr- oder Zustimmungsreflexe hinaus ein wenig öffnen können, um gemeinsam einen Ausweg aus dem Dilemma einer profillosen IBA zu finden, mit der sich Berlin nur weiter blamieren kann."

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