Eine Gruppe angesehener Planer fordert ein Architekturkonzept für Berlins Mitte

Die Welt vom 15.05.2013 von Dankwart Guratzsch

Was wird aus Berlin? Seit mehr als einem halben Jahrzehnt erlebt die deutsche Öffentlichkeit eine Stagnation der Hauptstadtplanung, die den ungeheuren Herausforderungen an eine Metropole des 21. Jahrhunderts nicht angemessen ist. Nun soll – ohne überhaupt zu wissen, mit welchem Ziel und welchem Inhalt – eine neue Internationale Bauausstellung (IBA) "Berlin 2020" alles rausreißen. Schon allein die Vorstellung des Stadtentwicklungssenators Müller und seiner glück(und farb)losen Senatsbaudirektorin Regula Lüscher, den Schauplatz dafür in die "Draußenstadt" (also an den Stadtrand) zu verlegen, klingt wie ein verspäteter Aprilscherz. Denn noch ist ja nicht einmal die Mitte Berlins wieder aufgebaut. Sie wartet noch immer auf Reparatur, Sanierung und Aufwertung.

Pünktlich zum heutigen nun schon fünften "IBA-Werkstattgespräch" in der Zollgarage am Tempelhofer Flughafen fordert jetzt eine Gruppe angesehener Planer vom Berliner Senat, mit der Endlosdebatte Schluss zu machen und sich auf eine klare, eindeutige und zukunftsweisende Konzeption für die deutsche Hauptstadt festzulegen. Wenn Berlin mit einer neuen Bauausstellung auf den Plan treten wolle, dann nur, so die Professoren Harald Bodenschatz, Petra Kahlfeldt und Hildebrand Machleidt in einem Memorandum, das der "Welt" exklusiv vorliegt, wenn diese Kraftanstrengung mit dem Programm für eine "städtebauliche Wende" verbunden wird. Das Thema dafür könne nur die Stadtmitte sein.

"Die Renaissance der Stadtmitte ist eine verständliche, dringende lokale wie internationale Botschaft", schreiben die Autoren. "Welche Rolle soll die Stadtmitte künftig in einer nachhaltigen, weit ausgreifenden Großstadtregion spielen? Sie repräsentiert deren Einzigartigkeit, deren reiche, widersprüchliche Vergangenheit, sie überwindet die Lasten des autogerechten modernen Städtebaus, sie bietet Räume und Bauten zur Identifikation für alle Berliner und deren Gäste, gleich welcher sozialen und ethnischen Herkunft, gleich welcher religiösen und geschlechtlichen Orientierung. Sie setzt bauliche Zeichen für die symbolische, funktionale und gestalterische Form einer Stadtmitte von morgen."

Was hier vorgetragen wird, das ist eine Stadtvorstellung, für die in Berlin baureife Pläne vorliegen, die an die große Tradition der Berliner Bauausstellungen anknüpfen. Es ist völlig unerfindlich, warum sie nicht unter dem gewaltig angewachsenen Problemdruck endlich realisiert werden. Mit dem Projekt einer "Stadtmitte von morgen" könnte Berlin darüber hinaus nach Meinung der Verfasser des Memorandums Lösungen für "eine Aufgabe von außerordentlichem internationalem Interesse" erarbeiten. "In Berlin wurde in den Sechziger- und Siebzigerjahren die Stadtmitte so radikal modernisiert wie in keiner anderen europäischen Hauptstadt, in Berlin gibt es aber auch Raum für Gestaltungsmöglichkeiten." Dieser Raum könne jedoch nicht angemessen genutzt werden, ohne die Vergangenheit der Stadt neu zu bedenken – "einschließlich der in der Öffentlichkeit nahezu vollständig vergessenen 500 Jahre vor dem Dreißigjährigen Krieg, als Berlin noch klein war, einschließlich aber auch der diktatorischen Vergangenheiten des 20. Jahrhunderts."

Übersetzt heißt das: Die politische Rolle Berlins, erst recht die Vergangenheit und der Anspruch dieser Stadt an die Zukunft müssen in einer IBA-Konzeption zum Leuchten gebracht werden, sonst sollte man die Finger davon lassen. Denn, so das Memorandum: "Das Projekt der historischen Vergewisserung ist kein Vergangenheitsprojekt, sondern ein Zukunftsprojekt, ein Projekt der lokalen, nationalen und internationalen Darstellung Berlins als Stadt der Toleranz und Nachhaltigkeit." Es ist schon verwunderlich, dass sich der Berliner Senat einem solchen Anspruch nicht selbst stellt, sondern sich lieber weltvergessen mit Sandkastenspielen in der "Draußenstadt" amüsiert. Nur verwunderlich? Eher doch peinlich.

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