Weil die Mieten in besonders beliebten Quartieren rasant steigen, rufen Politiker wieder nach Regulierung. Dabei war es dieser staatliche Zugriff, der nach 1945 die deutschen Städte entstellt hat.
Die Welt vom 06.03.2014 - von Dankwart Guratzsch

Die Sehnsucht nach der historischen Stadt treibt die seltsamsten Blüten – wie hier im Neubauviertel Riedberg in Frankfurt am Main Jahrzehntelang haben deutsche Stadtoberhäupter beklagt, dass die Innenstädte verödeten, dass sie zu Slums verkämen, dass bedrückende Gettos entstünden. Nun plötzlich sind die Innenstädte bei Mietern wieder gefragt. Eigentlich müssten dieselben Bürgermeister jetzt jubeln, denn alle düsteren Prophezeiungen haben sich als Hirngespinste entpuppt.

 

Aber das Gegenteil ist der Fall. Der frische Wind, der die Märkte kräftig aufgemischt hat, soll abgewehrt, die erhöhte Nachfrage nach innerstädtischem Wohnen ausgebremst werden. Und das erreicht man am sichersten, indem man nach einem altbewährten Mittel greift: dem Einfrieren der Mieten, womit sich schon die Nazis und die Kommunisten die Regie über die Städte, Wohnwünsche und Lebensplanung der Menschen angeeignet hatten. Mit Mietpreisbremsen, Mietspiegeln und der Reglementierung des Wohnungsbaus in den Großstädten kehrt der Dirigismus in den Städtebau zurück.

Das Abwürgen der Wohnungsmärkte, das immer partiell Enteignung der Privatinvestoren ist und deshalb abschreckend auf Neubauinvestitionen wirkt, ist der Hebel für die Rückkehr zur Wohnraumlenkung, zum sozialen (also gleichgeschalteten) Wohnungsbau, zur Planwirtschaft im städtischen Bauen.

Noch immer werden dichte Städte verteufelt
Für die städtischen Ämter ist das die bequemste Variante, für den Städtebau die schädlichste. Unter diesem Diktat sind die Städte jahrzehntelang baulich verhunzt und gesellschaftlich aus dem Gleichgewicht gebracht worden.

Das einzig praktikable Mittel zum Umgang mit der heute allenthalben beobachtbaren erhöhten Nachfrage nach Wohnungen in ganz bestimmten Städten, Stadtvierteln und Wohnlagen wäre, diesen Wünschen durch ein intelligent und fantasievoll darauf zugeschnittenes Angebot an Wohnungen entgegenzukommen.

Genau dies haben die Stadtparlamente, Planungsressorts und das Bundesbauministerium unter dem Einfluss antiquierter Planungsideologien aber über Jahrzehnte standhaft verweigert. Nach deren Auffassung sind dicht bebaute Innenstädte ein unhygienisches, lebensfeindliches und nicht mehr zeitgemäßes Siedlungsmuster.

Das kam und kommt in der etappenweisen Abwertung des für Bauen zuständigen Bundesressorts zum Ausdruck. Sah schon der abgelöste Bundesminister Peter Ramsauer sein wichtigstes Tätigkeitsfeld statt im Städtebau nur noch im Straßenbau (mit dem Schwerpunkt in Bayern), ist das Bauen jetzt vollends aus dem angestammten Haus ausgegliedert und wie ein Wurmfortsatz dem Umweltministerium angehängt worden – ein Beleg dafür, welche Nebenrolle dem Städtebau inzwischen zugemessen wird.

Schachtelarchitektur aus Stahl, Beton und Glas
Aber genau hier liegen die politischen Hausaufgaben. Ohne ein Umsteuern im Städtebau von den nicht mehr gefragten Peripherien in die Stadtmitte, von der Fließbandherstellung einförmiger Trabantenstädte und steriler Villenkolonien im Schachbrettmuster hin zur Neukonzeption lebendiger Innenstädte mit Geschäftskultur und gemischter Bevölkerung wird sich an der überhöhten Nachfrage nach Wohnlagen wie Prenzlauer Berg und Hamburg-Ottensen nichts ändern.

Die deutschen Innenstädte sind in den Wiederaufbaujahren durch die programmatische Absage an jahrhundertealte Prinzipien erfolgreichen Städtebaus zu Rennbahnen des Kommerzes und zu unwirtlichen Tundren belangloser Schachtelarchitektur aus Stahl, Beton und Glas verkommen. Wenn irgendwo, dann ist hier eine Flächensanierung auf Quadratkilometern dringend notwendig.

Wenn die plötzlich so beliebten Kieze allerdings eins lehren, so ist es dies: Um dem Wohnen in den Kernbereichen der Städte wieder eine Heimstatt zu schaffen, muss mehr geschehen als ein Neu- und Nachbau in noch kälteren, noch verspiegelteren, noch abweisenderen Gebäudeformen. Die öffentlichen Bauherren haben noch an keiner Stelle vermocht, diese Umsteuerung in die Wege zu leiten.

Modischer Trend zur totalen Begrünung
Als besonders drastisches Beispiel für die Rat- und Inspirationslosigkeit deutscher Planungschefs kann die Entwicklung der für ihre historische Baukultur einst berühmten Stadt Dresden gelten.

In dieser Stadt, die nach einem unvollkommenen Wiederaufbau im Stadtzentrum noch quadratkilometerweite Brachen aufweist, wurde die Bautätigkeit unter dem vormaligen Baubürgermeister Herbert Feßenmayr an die Stadtränder verlegt. Für die Innenstadt fielen dem freundlichen Mann vor allem Aufforstungsprogramme ein. Ein vorgefundenes Wiederbebauungskonzept wurde gekippt.

Der Fall ist exemplarisch, weil er für einen bundesweiten Trend steht. Rat- und Orientierungslosigkeit im Städtebau werden durch eine wirre Begrünungsmanie kaschiert. Neubauten, die früher einmal Städte schmücken sollten, werden – wie der Anbau des Frankfurter Städelmuseums – schamhaft unter der Grasnarbe versteckt, und das nicht nur weil die Ausdrucksschwäche moderner Bauten verlegen macht und Konflikte mit den Bürgern befürchten lässt, sondern auch weil die Planer nach jedem Grashalm greifen, um sich mit dem Mäntelchen eines modischen Klimabewusstseins zu schmücken.

Vom Eigenheim im Grünen zur Stadtwohnung
Parallel nehmen Modetrends wie Urban Gardening, Dach- und Fassadengrün wie ein Schimmel- und Flechtenüberzug von den letzten Natursteinfassaden Besitz, die von Schmierereien und Styroporverpackung verschont geblieben sind.

Aber ist es wirklich das wie Schnittlauch und Petersilie über die Städte gestreute Grün, was die Zuzügler aus den grünen Vorstädten massenhaft zurück ins Herz der Städte zieht? Suchen sie nicht doch vorrangig etwas ganz anderes, nämlich Nähe, Leben, Urbanität? Indem man den Zugang zu diesen Gütern erschwert, verteuert man sie nur. Gefragt sind stattdessen Ideen, wie sich diese knappen Güter städtischer Zivilisation durch Planung und Anreize vermehren lassen.

Jedenfalls nicht, indem man den Boden der Stadt in riesigen Einheiten quartiersweise meistbietend an Wohnungsgesellschaften und Großinvestoren verkauft und ihnen – wie im neuen Frankfurter Vorort Riedberg – auch gleich noch die Gestaltung überlässt. Sondern indem man dem vernachlässigten Eigentumsgedanken wieder Entwicklungsräume verschafft.

Wer sein Eigenheim im Grünen mit einer Stadtwohnung vertauscht, sucht ja auch nach der Möglichkeit, wieder selbst bauen zu können. Finanzierbar ist das nur auf der Parzelle. Von der Faszination der großen Einheiten und der Delegation des Bauens an "Generalübernehmer" muss der Städtebau zum individuellen Besitz zurückfinden.

Die Verstocktheit einer Planerkaste
Gelungen ist das in wenigen Musterbeispielen in Berlin, Freiburg und Tübingen. Da sehen die Häuser nicht mehr eines wie das andere aus, sondern gewinnen jedes für sich seine eigene charakteristische Physiognomie.

Die Favorisierung der Parzelle ist aber nur eine der Grundentscheidungen, die getroffen werden müssen, wenn dem Mangel an Baukultur im Städtebau abgeholfen werden soll. Die andere ist der marktwirtschaftliche Anreiz zu solchem Bauen.

Dazu gehört ganz zentral die Wiederentdeckung der Gewerbemiete für den Parzellenbau und damit die Reaktivierung der Parterrezonen für neue Läden aller Sparten. In vielen Innenstädten herrscht heute schon ein Mangel an Lebensmittelgeschäften. In den meisten haben sich die Wege zum nächsten Haushaltswarengeschäft oder Zeitungskiosk so verlängert, dass der Bewohner Verkehrsmittel braucht, um seinen Bedarf zu decken.

Am Desaster innerstädtischer Baupolitik ist nicht der Kapitalismus schuld, sondern die Verstocktheit einer Planerkaste, die aus den Irrungen des Nachkriegsstädtebaus nichts gelernt hat. Wenn sie jetzt zu den Gestaltungsmitteln eines neuen Dirigismus greift und dafür die Mietenexplosion in einigen besonders beliebten Stadtvierteln zum Vorwand nimmt, geht es ihr um nichts anderes, als den neuen Städtern die kurze Freiheit des Handelns wieder abzunehmen. Zurück zur Käfighaltung.

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