Berlins Senat bräuchte dringend eine Stadtführung
Die Welt vom 18.02.2015 - von Dankwart Guratzsch

Mitten in Berlin herrscht planlose Leere. Auf dem Platz vor dem Roten Rathaus soll etwas Neues entstehen. Geprüft und befragt wird seit Jahren. Doch der Senat steht noch immer ohne Konzept da.
Von Dankwart Guratzsch

"Die Diskussion um die Zukunft der Berliner Mitte muss geerdet und auf eine breite Basis gestellt werden." Mit diesen verheißungsvollen Worten hatte die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung ins Umspannwerk Alexanderplatz eingeladen, um nach jahrelangen fruchtlosen Debatten endlich "die Grabenkämpfe zu beenden und zu gemeinsamen Lösungen zu kommen." Denn für Berlins Mitte aller Mitten, das Feld vor dem Roten Rathaus, gibt es tausend Ideen und kein Konzept.

Die einen wollen ein Planschbecken, die anderen ein Stück urbane Stadt, die Dritten Sträucher und Urinale. Das ist das Spektrum, das endlose Debatten und Bürgerbefragungen zu Tage gefördert haben. Wohlgemerkt: Hier geht es um die Mitte Berlins. Mitte der deutschen Hauptstadt. Mitte der "Berliner Republik" und eine der Mitten des neuen Europa.

Und der Senat? Hat bisher keinerlei Konzept erkennen lassen, dafür aber drei monströse Planungsruinen produziert: die Flughäfen Tempelhof und Schönefeld sowie die (gescheiterten) Pläne für eine Internationale Bauausstellung (IBA), die den Ruhm einer neuen deutschen Planungskultur weit über Deutschlands Grenzen hinaus verbreiten sollte. Für die vierte Bruchlandung sind bereits die Weichen gestellt: Berlins Olympiabewerbung, für die ebenfalls außer heißer Luft nichts Konkretes, Bildhaftes präsentiert werden kann.

Das Publikum verflüchtigt sich wie Schnee in der Frühlingssonne

580 Berliner waren ins Umspannwerk am Alexanderplatz gekommen, um nach dem Fiasko, das der zum Regierenden Bürgermeister aufgestiegene Stadtentwicklungssenator Michael Müller hinterlassen hat, endlich so etwas wie "Aufbruch" zu erleben. Stattdessen erfuhren sie, dass unter Müllers Nachfolger Andreas Geisel alles "auf Anfang" gestellt sei. Eine Agentur ist beauftragt, die Meinungen der Berliner (nochmals und noch gründlicher) zu erforschen, einen "ergebnisoffenen Prozess" zu starten, alle, aber wirklich alle Zielgruppen einzubinden und ein "zielorientiertes Ergebnis" vorzulegen.

Dem Publikum, das sich verflüchtigte wie Schnee in der Frühlingssonne, erschien das so "ergebnisoffen" und "schwammig", dass selbst die 75 zu einer Abstimmung mit Klebemarken bereiten "Bürger" (unter ihnen viele Senatsmitarbeiter) eine "Zielorientierung" des Prozesses am Ende mehrheitlich verneinten. Früher als vorgesehen wurde die Show beendet.

Und nun? Am 18. April lädt der Senat zu einer (weiteren) Großveranstaltung ein – nicht etwa, um nach zehnjähriger Debatte endlich den ersten Grundstein für die neue Mitte zu legen, sondern um den "Auftakt" für die neue Befragungsaktion zu feiern. Bis dahin sollen die Berliner bei "Spaziergängen" mit zwei jungen, in Berlin selbst noch nicht so recht angekommenen Damen die Mitte ihrer Stadt "kennenlernen". Wäre es da nicht "zielorientierter", den Senat selbst zu derartigen Exkursionen einzuladen? Es wird Zeit, dass der neue Behördenchef endlich die Notbremse zieht und den Kindergarten beendet.

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