Seit 2008 prüft eine Ästhetikkommission Bauvorhaben an herausgehobenen Plätzen Berlins. Doch Kritiker werfen ihr nun vor, monotone Einheitsarchitektur zu fördern - und völlig intransparent zu agieren.
Berliner Morgenpost vom 16.03.1015 - von Isabell Jürgens

Als das erste Hotel am Hauptbahnhof gebaut wurde, war das Entsetzen groß. Die trostlos graue Putzfassade am Low-Cost-Hotel "Meininger" brachte nicht nur Meinhard von Gerkan, den Schöpfer des 2006 eröffneten Hauptbahnhofs in Rage, sondern führte auch dazu, dass die Berliner Senatsbaudirektorin Regula Lüscher ein "Baukollegium" einsetzte, damit solch dürftige Architektur wenigstens an städtebaulich herausgehobenen Plätzen nicht mehr möglich ist.

Seit 2008 beraten im Baukollegium gemeinsam mit der Senatsbaudirektorin von ihr berufene Experten und über Bauprojekte und städtebauliche Planungen von besonderer Bedeutung. Nun müssen sich die Geschmackskontrolleure jedoch selbst der Kritik stellen. Das Gremium befördere "monotone Einheitsarchitektur" und agiere zudem "völlig intransparent".

Wer sich anschauen will, wie die Gestaltungskommission die Hauptstadtarchitektur der vergangenen Jahre beeinflusst hat, der schaut sich am besten dort um, wo alles begann: am Hauptbahnhof auf dem Moabiter Werder in Mitte. Besonders am Washingtonplatz, auf der dem Kanzleramt und der Spree zugewandten Seite des Bahnhofs, sind alle Gebäude unter Einbeziehung der Baukommission entstanden. Und tatsächlich: Billige Putzfassaden sind dort nicht zu finden. Stattdessen dominieren helle Natursteine die streng gerasterten Fassaden.

"Dekorierte Schuhkartons im Stil der Schweizer Moderne"
"Die Einflussnahme des Baukollegiums hat die Qualität der Gebäude deutlich verbessert", sagt Henrik Thomsen. Thomsen, inzwischen bei der Berliner Groth Gruppe, war bis vor einem Jahr Chef der Entwicklungsabteilung des österreichischen Immobilienkonzerns CA Immo, das nach wie vor die meisten Gebäude rund um den Hauptbahnhof errichtet. Zwar bedeute es für den Investor einen gewissen Zeit- und Planungsaufwand, sich der Kritik der Experten zu stellen. Auch sei es nicht jedermanns Sache, nach der Vorstellung des eigenen Bauprojektes "wie ein Schulkind" vor die Tür geschickt zu werden, während die "Lehrer" hinter verschlossenen Türen über die Qualität beraten. Abgesehen davon aber sei es richtig und wichtig, dass die Senatsbaudirektorin Einfluss nehme. "Das ist schließlich ihre Aufgabe", findet Thomsen.
Wesentlich kritischer bewertet dagegen der Berliner Architekt Tobias Nöfer die Einflussnahme des Baukollegiums. "Entstanden sind doch vor allem dekorierte Schuhkartons im Stil der Schweizer Moderne", sagt der Architekt mit Hinweis auf die Herkunft der Senatsbaudirektorin. Ihn störe vor allem die Gesichtslosigkeit der entstandenen Gebäude, ihren mangelnden Bezug auf die "tolle Lage in der ersten Reihe am Bahnhofsplatz". Die Gleichförmigkeit der Gebäude wirke auf ihn kalt, maschinell und abweisend.

Bauherren wollen es sich nicht verscherzen
Nöfer war auch selbst schon mit einem Projekt in der Baukollegium. Die von ihm entworfenen, im Bau befindlichen Wohntürme "Max und Moritz" zwischen Ostbahnhof und O2-World in Friedrichshain stießen in dem Gremium auf Ablehnung. Dem Investor Stephan Allner von der Wohnkompanie wurden zunächst Nachbesserungen und schließlich sogar ein gänzlich neuer Wettbewerb empfohlen. Allner setzte sich über die Empfehlung hinweg _ auch, weil das eine enorme Zeit- und Kostensteigerung für das Projekt bedeutet hätte. "Eine Ausnahme", wie Nöfer weiß, denn in der Regel möchte es sich der Bauherr nicht mit der Behörde verscherzen, die ihn zwar nicht direkt zu Änderungen zwingen, ihm aber durchaus Steine in den Weg zum Baurecht legen kann. "Zudem ist nicht transparent, wie das Abstimmungsergebnis zustande gekommen ist", kritisiert Nöfer weiter.

Auf der Homepage des Baukollegiums klingt das jedoch ganz anders: "Das gemeinsame Gespräch aller Projektbeteiligten im Baukollegium optimiert den Planungs- und Bauprozess. Der Austausch schafft eine höhere Transparenz und ermöglicht verbindliche Vereinbarungen über die nächsten Schritte im Verfahren", ist dort zu lesen.

"Gänzlich intransparentes Hinterzimmer-Gremium"
"Der Einfluss des Baukollegium ist wenig nachvollziehbar, da es sich hierbei um ein gänzlich intransparentes Hinterzimmer-Gremium handelt", sieht auch Antje Kapek, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Grünen, Reformbedarf. In Berlin habe sich unter Wirkung der "Gestaltungskontrolleure" in den vergangenen Jahren immer mehr Einheitsarchitektur breit macht. Das werde dem Anspruch einer "Stadt der Vielfalt" nicht gerecht. Städtebauliche Innovationen fehlten zudem gänzlich. "Hier entscheiden Architekten , die dazu überhaupt nicht demokratisch legitimiert sind, über die Gestaltung Berlins in einem Gremium, das für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist", kritisiert Kapek weiter. Die Abgeordneten dürften zwar an den Sitzungen des Gremiums teilnehmen, hätten aber kein Rederecht.

"Dass Architekten, Städte- und Landschaftsplaner in dem Gremium sitzen, finde ich grundsätzlich richtig, denn es soll ja die Senatsbaudirektorin in ihrer Urteilsfindung stützen", sagt dazu Eike Becker. Und das Baukollegium verfolge ja grundsätzlich ein "ehrenwertes Ziel – gute Architektur". Der Berliner Architekt war zuletzt mit dem Umbau-Projekt des Postscheckamtes am Halleschen Ufer in Kreuzberg vor dem Baukollegium – mit dem Ergebnis, dass nicht sein Entwurf realisiert, sondern ein Wettbewerb ausgelobt wird. "Den halte ich an dieser Stelle auch für richtig", sagt Becker. Städtebau, zumal wenn wie in diesem Fall 600 Wohnungen entstehen sollen, sei eben ein berechtigtes Anliegen vieler. "Da ist es gerechtfertigt, wenn aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Lösungsvorschlägen der beste ausgesucht wird", sagt Becker. Zusammensetzung und Legitimation des Gremiums seien jedoch in der Tat fragwürdig. Dass das Urteil hinter verschlossenen Türen fällt, sei zudem "freudalistisch und passt nicht mehr in die heutige Zeit".

Die Berliner Morgenpost im Internet: www.morgenpost.de