Klosterviertel - Quartier südlich vom Alexanderplatz
Ein Jahrzehnt lang plante der Senat herum an Molkenmarkt und Klosterviertel. Jetzt dürfen die Bürger urteilen über den größten Eingriff in Berlins Mitte.
Der Tagesspiegel vom 31.10.2015 - von Ralf Schönball

Autofahrer werden den Tag noch verfluchen, an dem der Senat ihre liebste Schnellstraße quer durch Berlins Mitte zuerst mit Baustellen verstellt und dann endgültig verlegt – aber sie können ja umsteigen, in die geplante Straßenbahn. Nach zwei Jahrzehnten Planung wagt sich die Bauverwaltung ran an den Straßenraub in Mitte zugunsten von Wohn- und anderen Bauten. Molkenmarkt und Klosterviertel gegenüber vom Roten Rathaus werden umgebaut, die Grunerstraße verschlankt und verschwenkt, damit Platz ist für Neubauten mit rund 150000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche.

Die „Bauleitplanung“ für die Umgestaltung des historischen Quartiers südlich vom Alexanderplatz ist fertig, und die Bauverwaltung startet am Montag deren öffentliche Auslegung. Jetzt sind die Berliner aufgerufen, ihre Meinung zu äußern. Die letzten Änderungen an den Plänen hält die Verwaltung noch geheim, aber hier die wichtigsten Fakten und Gerüchte.

Bau von Studentenwohnungen
Grob gesagt stellt die Verwaltung die Stadt ungefähr so wieder her, wie sie bis zum Zweiten Weltkrieg mal aussah, wenn auch nicht ganz so kleinteilig, wie die mittelalterlichen Gassen des historischen Berlins mal waren. Aber die Parade- und autogerechte Grunerstraße mit dem breiten Mittelstreifen gab es eben auch noch nicht, stattdessen verlief eine schmalere Straße dicht neben dem Roten Rathaus. Diese Trasse wird künftig wiederhergestellt und dazu verschwinden der Parkplatz am Sitz des Regierenden Bürgermeisters und ebenso die Stellflächen vor dem gegenüberliegenden Neuen Rathaus – vier Baufelder legt die neue Verkehrsführung frei.

Die Krux ist nur, dass es an der verschlankten Grunerstraße auch in Zukunft viel Lärm und Abgase von Fahrzeugen geben wird – Wohnungen dürfen deshalb nur im Inneren der neu entstehenden Blöcke und auf den Dachgeschossen entstehen. An der Straße selbst sind nur Gewerbebauten zulässig. Eigentlich. Dem Vernehmen nach soll die Verwaltung nun den Bau von Studentenwohnungen planen.

70 000 Fahrzeuge rauschen dort täglich
Diese gelten, wie Hotelzimmer, nicht als „dauerhaftes Wohnen“ und wären deshalb zulässig. Hotelkettenbetreiber sollen auch Interesse an den Bauflächen haben, der Berlin-Tourismus boomt. Das große Wohnungsbauprogramm für Berlin ist nicht zu erwarten, aber mehrere hundert Wohnungen im Inneren der Blöcke werden es schon sein, je nach Zuschnitt und Größe. Und weil die Neubauten auf öffentlichem Straßenland entstehen, könnten diese zur politisch erwünschten Erweiterung des landeseigenen Wohnungsbestands beitragen.

Etwa 70 000 Fahrzeuge rauschen heute täglich über die wohl wichtigste Straßenverbindung zwischen dem Osten und Westen Berlins. Nach dem gewaltigen Eingriff soll es ein knappes Viertel weniger sein. Geringfügiger ist die Verkehrsentlastung an der anschließenden Stralauer Straße (minus 15 Prozent), und an der weiter südlich verlaufenden Spandauer Straße bleibt er sogar gleich.

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen
Stoff für eine eigene Geschichte liefert diese Bauleitplanung: Vor mehr als einem Jahrzehnt begann sie mit einem Workshopverfahren. Die letzte öffentliche Auslegung für das Areal sollte am 14. September vor sechs Jahren beginnen. „Wir haben schon häufiger kritisiert, dass der Senat zu langsam bei der Erarbeitung von Bebauungsplänen ist, und der Molkenmarkt ist der Rekordhalter unter den immer noch unerledigten Projekten“, sagt der Sprecher für Stadtentwicklung der CDU, Stefan Evers. Seine Fraktion habe das Verfahren jedenfalls nicht gebremst. Evers begrüßt, „dass dieses Stück Stadtreparatur sich an der historischen Parzellierung orientiert“.

Der Stadthistoriker Benedikt Goebel, der die Pläne wegen ihrer freien Auslegung historischer Straßenverläufe kritisiert, sagt voraus, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Der Molkenmarkt sei etwa so alt wie der Petriplatz. Und sobald die Archäologen dort mit ihren Grabungen begännen, würden sie auf historische Preziosen stoßen, deren Bewahrung zu einer Neuauflage der Pläne zwängen, wie am Petriplatz.

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