Wie beim Großflughafen und beim Tempelhofer Feld: Berlin baut überall auf Sand, auch im Zentrum. Jetzt ruiniert die Stadt im Übereifer ihren schönsten Sakralbau, die Friedrichswerdersche Kirche.
Die Welt vom 12.02.2016 - von Dankwart Guratzsch

Wie weit reicht die Gewährleistungspflicht eines Bauherrn? Die Frage könnte schon bald die Stadt Berlin in eine peinliche Lage bringen. Die einzige komplett erhaltene Kirche Schinkels in der Altstadt Berlins, die Friedrichswerdersche Kirche direkt gegenüber dem Außenministerium, ist womöglich vom Einsturz bedroht – durch behördlich genehmigte Baumaßnahmen auf Nachbargrundstücken. Zwar haben sich die Bauherren der gewaltigen, bis ans Dach der Kirche hinaufreichenden Wohnblöcke verpflichtet, für Schäden aufzukommen. Aber wer wollte entscheiden, wie hoch ihr jeweiliger Anteil an einem möglichen Einsturz des Gebäudes tatsächlich ist? Und ist der Verlust eines Originalbauwerks überhaupt bezifferbar? Einen vergleichbaren Fall hat es noch nicht gegeben.

Wie weit reicht die Gewährleistungspflicht eines Bauherrn? Die Frage könnte schon bald die Stadt Berlin in eine peinliche Lage bringen. Die einzige komplett erhaltene Kirche Schinkels in der Altstadt Berlins, die Friedrichswerdersche Kirche direkt gegenüber dem Außenministerium, ist womöglich vom Einsturz bedroht – durch behördlich genehmigte Baumaßnahmen auf Nachbargrundstücken. Zwar haben sich die Bauherren der gewaltigen, bis ans Dach der Kirche hinaufreichenden Wohnblöcke verpflichtet, für Schäden aufzukommen. Aber wer wollte entscheiden, wie hoch ihr jeweiliger Anteil an einem möglichen Einsturz des Gebäudes tatsächlich ist? Und ist der Verlust eines Originalbauwerks überhaupt bezifferbar? Einen vergleichbaren Fall hat es noch nicht gegeben.

Zur ganz besonderen Entstehungsgeschichte dieser ganz besonderen Kirche, die bis zu ihrer Schließung als Skulpturenmuseum der Nationalgalerie genutzt wird, gehören Risiken, derer sich schon Schinkel bewusst war. Schon er hatte vor "der beständigen Erschütterung, der unsere Gebäude durch den Straßenverkehr ausgesetzt sind", gerade an diesem Ort gewarnt – zu einer Zeit, zu der noch Pferdekutschen verkehrten. Anders als die Bauverantwortlichen von heute war sich der Architekt des 19. Jahrhunderts des unsicheren Untergrundes aus alten Schwemmsanden der Spree durchaus bewusst.

Hat keiner was gelernt aus dem Palast der Republik?
Nicht nur er. Diese örtliche Gegebenheit hat weit über Berlin hinaus auch bei der Abtragung des Palasts der Republik Schlagzeilen gemacht. Sie musste spätestens seitdem jedem Baubeamten der Stadt bewusst sein. Jahrhunderte früher war sie Anlass für einen Kriminalfall der Baugeschichte gewesen, als nämlich kein Geringerer als der große Barockbaumeister Andreas Schlüter an ihr gescheitert war. Der von ihm am Schloss errichtete Münzturm drohte trotz mehrerer Umplanungen zu kippen und musste unter hohen Kosten abgetragen werden. Schlüter war den Auftrag für das prachtvolle Schloss, dessen ganzer Entwurf von ihm stammte, los.

Die Verlegenheit, in die Berlins Bauverwaltung jetzt gerät, ist also hausgemacht, und niemand kann ausschließen, dass die Hauptverantwortung für Beschädigungen an der Kirche zuletzt an ihr hängen bleibt. Hätte sie die Bauprojekte, die das Volumen der Vorkriegsbebauung an dieser Stelle um das Zweieinhalbfache übersteigen, ohne gründlichste Voruntersuchungen überhaupt genehmigen dürfen? Tatsache ist, dass die Kirche schon jetzt Risse aufweist, ein Pfeiler geborsten ist, die Skulpturen eilends geborgen werden mussten und das Betreten verboten ist – zu einem Zeitpunkt, wo der zweite benachbarte Baukomplex gerade erst entsteht.

Der Bausenator verschanzt sich hinter dem Baurecht
Die Empörung über den schlampigen Umgang der Stadt mit dem einzigartigen Erbe zieht deshalb immer weitere Kreise. Der Kunsthistoriker und Schinkelspezialist Helmut Börsch-Supan sieht im Verhalten des Senats "die zurzeit so gern beschworene europäische Wertegemeinschaft beschädigt", der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, nennt es "rücksichtslos" und "skandalös".

Über den beispiellosen Fall bekommt die Öffentlichkeit kein einziges Gutachten zu Gesicht, weil die Sache schon jetzt juristisch relevant ist. Der Bausenator verschanzt sich hinter der Formel: Kein Baurecht lasse es zu, "ein Projekt prophylaktisch zu stoppen, weil man mögliche Risse erwartet". Mit anderen Worten: Politik fängt erst an, wenn nichts mehr zu retten ist. Das allerdings ist eine Maxime, mit der sich Deutschlands Hauptstadt schon beim Großflughafen Schönefeld und in Tempelhof vor aller Welt blamiert hat. Die besondere Qualität von Berlins Großer Koalition scheint es zu sein, dass sie Steigerungen selbst in dieser Disziplin immer noch für möglich hält.

Die Welt im Internet: www.welt.de