Interview mit Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe: Ein Gespräch über die Neugestaltung der alten Mitte Berlins
Berliner Zeitung vom 19.10.2017 - von Maritta Adam-Tkalec

Über die Neugestaltung der alten Mitte Berlins denken Stadtentwickler, Politiker und Bürger seit Jahren nach. Im Juni ermöglichte Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) die Ausweitung des zu betrachtenden, historisch wertvollen Terrains über das Rathausforum hinaus auf nahezu alle Gebiete des alten Stadtkerns.

Seither ergeben sich neue Perspektiven, auch für die Annäherung an viele, seit langem offene Fragen. Ephraim Gothe, sozialdemokratischer Stadtrat für Stadtentwicklung in Mitte, ein Bauingenieur, der auch Kunstgeschichte und Architektur studiert hat, gibt Auskunft über neue Entwicklungen, anstehende Großentscheidungen und stockende Verfahren.

 

Zur Person Ephraim Gothe
Herkunft: 1964 in Lörrach/ Baden-Württemberg geboren, Abitur in Lübeck. Studium in München. Seit 1991 in Berlin.
Tätigkeiten: Referent des Senatsbaudirektors Hans Stimmann (2000-2006). Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung Mitte (2006-2011), Staatssekretär für Bauen und Wohnen in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (2012-2014). Referatsleiter der Gemeinsamen Landesplanung Berlin-Brandenburg (2014-2016). Jetzt im Amt wieder als Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Gesundheit und Soziales Mitte.

Neuausrichtung der Stadtdebatte Berliner Mitte – diesen interessanten Titel trägt der Lompscher-Plan. Wie füllt er sich inhaltlich?
Frau Lompscher hat ganz recht, wenn sie sagt, dass man nicht nur im Rahmen dieses engen Raumes denken darf. Ich hoffe, dass dann darüber auch wirklich eine Debatte stattfindet. Blickt man in die bisherige Vorlage hinein, entdeckt man ein Schaubild, das lauter sogenannte Lenkungs- und Begleitkreise vorsieht – da setzt man einen mächtigen Tanker in Bewegung. Will sagen: Die Umsetzung ist nicht von heute auf morgen zu realisieren. Aber sicherlich hat man sich da etwas Gutes und Sinnvolles ausgedacht.

Sehen sie auch sachliche Ansätze?
Aus meiner Sicht ist die Frage nach dem Grün in diesem Bereich von zentraler Bedeutung. Ich halte es für richtig, im Wesentlichen an eine Freiraumstruktur zu denken. Das hängt auch mit der zu erwartenden Verdichtung am Molkenmarkt und am Alexanderplatz mit seinen Hochhäusern zusammen. Die Klimaanpassungsdebatte zeigt zudem, dass stärkere und häufigere Hitzeereignisse zu erwarten sind, mit tropischen Nachttemperaturen. Das wirkt auf die angrenzenden Quartiere.

Also keine Bibliothek…
…keine Bibliothek und schon gar nicht eine rekonstruierte Altstadt. Ich bin gar kein Altstadtgegner – ich weiß ja als Lübecker, was eine historische Altstadt bedeutet, aber es stellt sich eben auch die Frage, welche Bedeutung ein solcher Ort für die Gesamtstadt hat. Nehmen wir das Beispiel Potsdam: Dort hat man auch ein Schloss wiedererbaut, und man folgt dem Konzept der Leitbauten – also prägnante alte Gebäude – um damit das frühere Stadtbild wieder erstehen zu lassen. Für Potsdam ist das genau der richtige Weg, und ich kann mir vorstellen, dass man in einigen Jahrzehnten sagen wird: Das war die richtige Entscheidung. Aber für Berlin wäre es nicht der richtige Umgang mit dem Ort, weil wir es nicht mit dem Mittelpunkt einer Altstadt, sondern dem einer Vier-Millionen-Metropole zu tun haben. Diese hat ihr Rathaus hier und sollte eine wesentlich größere Freiraumstruktur haben.

Im bisherigen Ausmaß?
Ja. Wobei man nicht ausschließen sollte, dass man an den Rändern der jetzigen Grünfläche des Marx-Engels-Forums sinnvoll öffentliche Gebäude platziert.

Aber ein verwahrlostes Karnickelland kann zwischen Rathaus, Fernsehturm, Marienkirche und Spree doch nicht bleiben.
Nein, natürlich nicht. Man muss ja nur auf den Lustgarten schauen mit seiner hohen Aufenthaltsqualität. Dort lagern die Leute gerne, trotz der großen Baustelle gegenüber. Man kann zum Beispiel darüber nachdenken, ob man das Marx-Engels-Denkmal dort lässt, wo es jetzt steht.

Nach meinem Eindruck von den Bürgerdebatten traf zu, was Kritiker bemängeln, dass nämlich vor allem Anwohner ihre Sonderinteressen durchsetzten. Kann das entscheidend für diesen Ort sein, der allen Berlinern gehört?
Das Verfahren hat die Grenzen der Partizipation gezeigt, tatsächlich gab es eine gewisse Dominanz von Anwohnerinteressen. Andererseits hat man nichts unversucht gelassen, um durch spannende Formate und thematische Zuspitzungen möglichst viele Bürger anzusprechen. Das ganze Arsenal der Partizipationswissenschaften ist ausprobiert worden, und es hat ja auch eine Stange Geld gekostet.

Aber gebaut wurde auch schon...
Seit 2013 der Bebauungsplan für den Molkenmarkt und das Klosterviertel entstand, ist das Wohn- und Geschäftshaus gegenüber vom Cubix-Kino errichtet worden, das Motel One hinter dem Kino steht vor der Fertigstellung. Das Humboldt-Forum ist im Bau. Die Breite Straße wird ein neues Gesicht bekommen. Das Haus am Köllnischen Fischmarkt ist fertig geworden.

Sie meinen das Capri-Monster?
Ja, das ist ziemlich groß geworden, aber kein schlechtes Haus. Zudem wird am Petri-Platz das Archäologische Zentrum entstehen, und es gibt den Plan, ein House of One, also ein gemeinsames Haus von Christentum, Islam und Judentum zu errichten.

Was verzögert den Fortgang am Rathausforum?
Große Infrastrukturentscheidungen stehen aus, so dass momentan ein inhaltlicher Diskurs nicht möglich ist; auch ein Wettbewerbsverfahren kann derzeit nicht ausgelöst werden.

Woran liegt das?
An der Straßenbahn. Deren Linienführung soll in die Planfeststellung gehen – und bisher war beabsichtigt, die vom Leipziger Platz her kommende Bahn vor dem Roten Rathaus links in die Spandauer Straße und dann gleich rechts in die Rathausstraße einbiegen zu lassen. Dann würde sie entlang der Rathauspassagen zum Alexanderplatz fahren. Jetzt wird überlegt, ob man die Strecke weiter über die Spandauer und dann entlang der Karl-Liebknecht-Straße führt.

Zudem ist ja wohl seit fünf Jahren die von der EU zugesagte Finanzierung für eine Gleisverlegung im Grünbett entlang der Gertraudenstraße ausgelaufen, was die stadtzerschneidende Verkehrsschneise noch stärker verbreitern würde als im Fall einer Gleisverlegung in Asphalt ...
Das wird im Planfeststellungsverfahren zu klären sein. Allerdings gibt es für die dortige Gleisführung ein weitgehend abgestimmtes Konzept vor allem im Bereich Molkenmarkt. Noch unter Rot-Schwarz ist festgelegt worden, wie viele Rechts- und Linksabbieger es dort geben wird. Das Abgeordnetenhaus hat den entsprechenden Bebauungsplan beschlossen. Was nicht heißt, dass es dann genauso kommt.

Gibt es weitere ungeklärte Punkte?
Ja, die beiden Flussquerungen Mühlendamm und Gertraudenbrücke. Die sind so marode, dass man Ersatzbauten erwägen muss – ganz unabhängig von der Straßenbahn, über die im Fall eines Brückenneubaus auch neu nachzudenken wäre. Man müsste dann die Straße schmaler anlegen. Auch die Frage der Radwege kommt jetzt hinzu.

Das heißt: Alles ist im Fluss, und nichts steht wirklich fest?
Genau. Senatsbaudirektorin Regula Lüscher sagt, dass man jetzt kein Planungsverfahren ausloben kann, weil erst die grundlegenden Infrastrukturentscheidungen zu treffen sind. Da brauchen wir also noch eine Weile.

Wie lang ist diese Weile? Jahrzehnte?
Das wäre fatal. Noch komplexer wird die Lage, wenn man bedenkt, dass die Entscheidung über die künftige Gestaltung der Straße Unter den Linden – Stichwort Verkehrsberuhigung – aussteht. Auch das wird sich auf die Leipziger Straße auswirken. Die spannende Frage heißt also: Wie viel Zeit darf man den Verkehrsplanungen geben, bis man sich über die Gestaltung des jeweils konkreten Ortes verständigen kann.

Was hat man an der Breiten Straße und dem Molkenmarkt zu erwarten?
Hier haben wir es überwiegend mit Grundstücken in öffentlichem Besitz zu tun. Zum Teil gehören sie dem Bund, also der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), zum Teil dem Land Berlin. Im Falle Molkenmarkt war der ursprüngliche Gedanke, die Grundstücke zu parzellieren und kleinteilig an private Bauinteressierte zu verkaufen, die dann dort ihre Häuser bauen. Mit den zu erwartenden erheblichen Erlösen sollte der Umbau der Infrastruktur – Straßenbahn und so weiter – finanziert werden. Der Gedanke war aus der Not geboren in einer Zeit, in der Berlin kein Geld hatte. Das stellt sich heute anders dar: Es gibt nicht mehr den Zwang, solche Grundstücke zu veräußern. Im Gegenteil. Die Liegenschaftspolitik zielt heute darauf, die Flächen zu behalten.

Wie soll es nun gehen?
Die Frage ist, wie es gelingt, mit städtischen Wohnungsbaugesellschaften und der öffentlichen Hand am Molkenmarkt ein interessantes, kleinteiliges Quartier zu gestalten. Der innere, geschützte Bereich der Baukomplexe ist ganz überwiegend für Wohnungen vorgesehen, bis auf das Erdgeschoss. Wenn das alles von der Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM) gebaut wird, glaubt man dann wirklich, dass es so interessant und vielfältig ausfiele wie es vermutlich würde, wenn viele Bauherren mit eigenen Vorstellungen, Architekten, Wohnideen zu Werke gingen? In dem Fall wiederum geriete es, siehe Friedrichswerder, womöglich tendenziell zu bunt und man bräuchte eine Gestaltungssatzung, die ein paar Regeln setzt.

Sie zweifeln, dass die öffentliche Hand ein interessantes Quartier errichten könnte?
Ich will das nicht ausschließen, aber den Beweis hat Berlin bisher noch nicht erbracht – beziehungsweise man muss weit zurückgucken, etwa auf die Internationale Bauausstellung (IBA) in den 1980ern.

An der Breiten Straße ist es auffällig still – welche Probleme gibt es dort?
Es war immer der Wunsch Berlins, diese Flächen gemeinsam mit dem Bund zu entwickeln und zu vermarkten. Berlin gehören die Streifen entlang der Straße, dem Bund die Streifen dahinter. Die Zusammenarbeit klappt derzeit aber nicht, weil die BImA zum Höchstbieterpreis verkaufen will – und nach uns die Sintflut. Wir wollen preiswerten Wohnungsbau mit hohem architektonischem Anspruch. Berlin könnte nun seinen Teil einfach bauen und schauen, was sich hinten tut. Aber das wollen wir nicht, sondern mit der BImA verhandeln mit dem Ziel, die Grundstücke zu kaufen. Mindestens ein Drittel Sozialwohnungen streben wir dort an. Wir wollen ein architektonisch reizvolles, vielfältig genutztes, lebendiges Quartier.

Ein Stück weiter liegt der Kölnische Fischmarkt. Ist der Hochhausbauplan dort tatsächlich Geschichte?
Der Eigentümer, die städtische WBM, hatte sich gesträubt, von dem Hochhaus an der Ecke Abstand zu nehmen, weil für dieses Vorlauf- und Planungskosten von etwa einer Million Euro verauslagt wurden. Nun steht die Frage, wie umgehen mit dieser, in den Büchern stehenden

Minus-Million?
Ich gehe davon aus, dass auch hier zur Hälfte geförderte Wohnungen mit einer Anfangsnettokaltmiete von 6,50 und zur anderen Hälfte Wohnungen mit einer Miete von im Schnitt ‎10 Euro netto kalt entstehen.

Dort, auf der sogenannten Fischerinsel, dehnt sich eine unwirtliche Ödnis zwischen den Punkthochhäusern an einer hochattraktiven Stelle mitten in der Stadt. Gibt es Chancen, diese schöner zu gestalten? Der Berliner sitzt doch so gern am Wasser …
… und es gibt dort so herrliche Brücken …

Ja eben!
Und wenn man dann noch weiß, dass es dort nur zwei öffentliche Eigentümer gibt. Die haben es in der Hand, das Umfeld dort schöner zu gestalten.

Und?
Es gibt zwei dafür günstige Prozesse. Zum einen das Flussbad inklusive der Reinigungspflanzen, die man dort ins Wasser bringen will. In diesem Zusammenhang gibt es Überlegungen, den angrenzenden Raum attraktiver zu gestalten. Zudem ergeben sich aus dem Projekt Axel Springer Campus Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen in Höhe von zwei Millionen Euro, die wir dort auf der Fischerinsel einsetzen können.

Wie geht Ihrer Einschätzung nach der Konflikt zwischen Autoverkehr und menschlicher Stadt in Berlin aus?
Dazu eine Anekdote von Senatsbaudirektor Hans Stimmann aus der Zeit Anfang der 1990er-Jahre, als das Planwerk Innenstadt noch nicht als ausformulierter Plan in seinem Kopf war – wohl aber die Idee, die alten Stadträume wieder erlebbar zu machen. Das war noch vor dem Hauptstadt-Umzug, und er musste immer zum Bonn-Berlin-Ausschuss fahren. Da saßen die Ministerialen und fragten: Bitte Herr Stimmann, wie ist denn Ihr Verkehrskonzept? Wenn Sie die Straßen enger machen, ersticken wir doch im Autoverkehr. Er antwortete: 1930 lebten in Berlin 4,3 Millionen Einwohner; es gab eine Stadt mit engen Räumen; der Verkehr hat funktioniert. Berlin war berühmt für seine Verkehrsabwicklung. Deshalb gehe er davon aus, dass Berlin für seine Zukunft die richtigen Lösungen finden wird. So kann man eben auch herangehen: Wir denken uns gute städtische Räume, planen sie, bauen sie, und dann muss sich der Verkehr sich dem unterordnen und die vorhandenen Räume nutzen. Man muss da vielleicht mutiger sein.

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