Die Luxuswohnungen rücken der Kirche auf die Pelle
Frankfurter Allgemeine vom 17.03.2018 - von Regina Mönch

Das sind die Folgen des Berliner Größenwahns: Die Sanierung der Friedrichswerderschen Kirche geht nur langsam voran. Einige Schäden bleiben und der Lichtzauber ist gebrochen.
Der Erzengel Michael über dem Hauptportal der Friedrichswerderschen Kirche ist endlich wieder zu sehen. Wie ein Warner vor weiterem Frevel, der seine Kirche so schwer beschädigt hat, schwebt er über den Kassettentüren mit ihren gusseisernen Engelstondi, die man nun wieder ausgiebig bewundern kann. Nur wenige Meter unter seinen Füßen, an den steinernen Stufen zur immer noch verzogenen linken Kirchentür, beginnt unübersehbar der große Riss, der die gesamte Kirche durchzieht, bis hin zu den Altarstufen aus Marmor und hoch unters Kirchendach.
Jahrelang waren der Engel und das schöne Tor hinter einem klobigen Baucontainer verborgen, der zur Baustelle Kronprinzessinnengärten gehörte, wo Wohnhäuser der Luxusklasse entstanden. Als dort die Grube für eine Tiefgarage ausgehoben wurde, mit viel Bums und ohne einen Gedanken zu verschwenden an den schütteren Berliner Untergrund, hatte es die kostbare Kirche fast zerrissen (F.A.Z. vom 26. Oktober 2015).

 

Aus der spektakulären Museumskathedrale für die Skulpturensammlung der Berliner Klassik wurde ein Notfall, woran die vielen Sensoren erinnern, die neue Erschütterungen melden sollen. Das Kirchenschiff füllt seitdem ein Gewirr aus stützenden Gerüsten, mit zahlreichen Leitern für die Restauratoren. Seit mehr als fünf Jahren versuchen sie zu heilen, was Berliner Baugrößenwahn angerichtet hat, verfüllen armlange tiefe Risse im Gewölbe, an den Wänden, um die schönen Fenster und am Altar.

Das Fundament bleibt fragil
Fast Wand an Wand stehen nun Neubau und Kirche nebeneinander, deren fragile Schönheit wie eingezwängt wirkt, denn an der Ostseite erhebt sich der zweite Neubaukoloss. Einem ästhetischen Vergleich mit Schinkels neugotischem Meisterwerk halten sie nicht stand. Die schiere Baumasse der neuen Kirchennachbarn, auf den Plänen seinerzeit durchaus erkennbar, hat viele erst alarmiert, als es zu spät war. Die Warnungen von Kirchenbauräten und Denkmalschützern waren in den Wind geschlagen worden, und das exzellente Archiv des heiklen Berliner Untergrunds hatte wohl kein Bauherr rechtzeitig besucht. Denn dort hätte man alle Gefahren, die solcherart Bauen mit sich bringen kann, rechtzeitig erkennen müssen.

Es dürfte Karl Friedrich Schinkels Ingenieurskunst zu danken sein, dass der Frevel nicht noch schlimmere Folgen hatte. Schinkel hat zum Beispiel die Lasten der Kirche durch breite, nach innen gezogene Wandpfeiler aufgenommen, die auch hielten, als vor mehr als fünf Jahren das Fundament instabil zu werden begann, die Kirche zu kippen drohte und sich immer mehr Risse am Boden und im Gewölbe zeigten. Während die zahlreichen Risse nun vorsichtig geschlossen werden, bleibt für das Fundament nur zu hoffen, dass es hält, weil alle statischen Reserven, die Schinkel natürlich eingeplant hatte, aufgebraucht sind.

Die Wucht, die vor Jahren die Kirche fast zerrissen hatte, wollten Besserwisser kleinreden und unterstellten Schinkel, er habe sich verrechnet. Doch hatte die fragile Kirche sogar heftigem Granatwerferbeschuss standgehalten, der noch kurz vor Kriegsende ein mächtiges Loch in die Südseite bombte und Teile des westlichen Turmes beschädigte – Wände und Fundament aber blieben heil.

Der Zauber ist verflogen
Zu den bleibenden Verlusten der Jetztzeit, die kein Restaurator heilen könnte, gehören die nun viel schlechteren Lichtverhältnisse im Kirchenschiff. Schinkel, der auch Maler und Bühnenbildner war, hat mit seinen farbigen Kirchenfenstern einzigartige Lichtspiele inszeniert. Man kann es noch auf alten Fotografien sehen, wie das Licht das Kircheninnere durchflutete und man von außen hindurchschauen konnte, von Ost nach West. Damit ist es vorbei, zu dicht sind diesem Kronjuwel neugotischer Baukunst die neuen Nachbarn auf die Pelle gerückt, wie der Berliner sagen würde.

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die zu ihrem Wort steht, hier wieder ein Museum einzurichten, ist noch nicht sicher, ob die Marmorskulpturen auch allein unter Kunstlicht ihre Schönheit entfalten können, weil Nachbars Schatten das Licht der Chorfenster auf immer trübt. Noch ist nicht abzusehen, wann die Restauratoren ihre Rettungsarbeit vollendet haben werden. Aber unübersehbar ist die Wirkung der Museumskirche, ihre Wahrnehmbarkeit im städtischen Raum beeinträchtigt. Hatte Schinkel sie noch hineinkomponiert in ein dicht bebautes, quirliges Viertel, dessen strahlender Fixpunkt sie war, ist schon jetzt klar, wer protzig auftrumpft. Die Behauptung, die Häuser hätten auch früher so nah an der Kirche gestanden, ist eben nicht wahr. Denn ganz dicht heran reichten nur die Hinterhäuser, die niedriger waren und die Chorfenster nicht verschatteten.

Aber das ist Vergangenheit, die offenbar niemanden interessierte, der in dieser Stadt fürs Bauen und für den Schutz kostbarer Baudenkmale verantwortlich war und ist und die skandalösen Baugenehmigungen erteilte. Stattdessen wurde kräftig mit Schinkel geworben, dessen große Kunst hier sozusagen vom Wohnzimmersofa aus genossen werden könne. Dass für diesen Investorengag ein Gesamtkunstwerk schweren Schaden nahm, kann nun jeder, der will, am Schinkelplatz in Berlins Mitte besichtigen.