Berliner Zeitung vom 18.07.2018 - von Ulrich Paul

In bester Lage in Mitte, schräg gegenüber dem Pergamonmuseum, wollte der Weltkonzern Siemens bauen. Im Garten des denkmalgeschützten Magnus-Hauses sollte die Hauptstadtrepräsentanz entstehen. Doch daraus wird wohl nichts. Denn der Bezirk hat den positiven Bauvorbescheid aus dem Jahr 2015 nicht mehr verlängert. Das teilten Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) und Kultursenator Klaus Lederer (Linke) am Mittwoch in einer gemeinsamen Presseerklärung mit. Damit sei der vor drei Jahren auf politische Weisung erteilte Vorbescheid für den Weltkonzern vom Tisch, erklärten Lederer und Gothe.

 

Siemens hatte vor drei Jahren den Bauvorbescheid für seine Hauptstadtrepräsentanz auf Drängen des damals noch rot-schwarzen Senats erhalten. Nach dem Bescheid hätte der Konzern einen bis zu viergeschossigen Neubau im Garten des denkmalgeschützten Magnus-Hauses errichten dürfen.

Die Art und Weise, wie Siemens zu dem Vorbescheid kam, brachte den Senat damals in Erklärungsnot. Denkmalschützer lehnten eine Zustimmung zu dem Projekt ab, und das Stadtplanungsamt Mitte stufte die Pläne sogar als nicht genehmigungsfähig ein. Auf Weisung von Senatsbaudirektorin Regula Lüscher und von Mittes damaligem Baustadtrat Carsten Spallek (CDU) wurde das Vorhaben aber dennoch genehmigt. Der frühere Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hatte zuvor in einem Schreiben an den damaligen Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) darum gebeten, das Vorhaben zu unterstützen. Die Stadtentwicklungsverwaltung begründete ihr Votum für die Siemenspläne mit dem Argument, es sei „um die Stärkung des Wirtschaftsstandortes Berlin“ gegangen.

Das letzte barocke Stadtpalais in Alt-Berlin
Denkmalschützer protestierten. „Das Magnus-Haus mit seinem Umfeld, seinem Garten und Grünraum ist das letzte verbliebene Zeugnis der Bebauung von Berlin-Mitte aus dem 18. und dem frühen 19. Jahrhundert“, sagte der Schweizer Denkmalschützer Bernhard Furrer. „Eine Bebauung des Freiraums wäre ein gravierender kulturpolitischer Sündenfall.“ Das Magnus-Haus war um 1760 errichtet worden und gilt als Wiege der Physik. Der Berliner Physiker Heinrich Gustav Magnus gründete in dem Haus im 19. Jahrhundert das erste physikalische Institut. Weil sich im Magnus-Haus einst Werner Siemens und Johann Georg Halske begegnet sein sollen, die 1847 das Unternehmen Siemens & Halske gründeten, wollte Siemens seine Repräsentanz an dem Ort errichten. Siemens hatte in den 90er Jahren Geld für die Sanierung des Magnus-Hauses gespendet und das Haus im Jahr 2001 erworben. Heute dient das Gebäude unter anderem als Hauptstadtrepräsentanz der Deutschen Physikalischen Gesellschaft.

Das Magnus-Haus hat nicht nur für Siemens, sondern zugleich für Berlin eine enorme Bedeutung. „Das Magnus-Haus stellt mit seinem Garten das letzte barocke Stadtpalais in Alt-Berlin dar“, sagte Mittes Baustadtrat Gothe. „Es grenzt unmittelbar an die Museumsinsel und befindet sich damit in der Pufferzone einer Weltkulturerbestätte.“ Es sei die Pflicht, äußerst behutsam mit dem denkmalrelevanten Bestand umzugehen. „Wir haben uns schon immer für den uneingeschränkten Erhalt dieses baulichen Juwels und dessen Garten eingesetzt“, erklärten Kultursenator Lederer und Baustadtrat Gothe am Mittwoch. „Deshalb sind wir höchst erfreut, dass das Zuwarten von Siemens jetzt eine Neubeurteilung des Vorhabens ermöglichte.“

Lederer sagte: „Das Land Berlin wird der Firma Siemens weiter mit Rat und Tat bei der Suche nach einer geeigneten Firmenrepräsentanz behilflich sein.“ Siemens erklärte am Mittwoch, dass der Konzern die verkündete Entscheidung „zur Kenntnis genommen“ habe. „Wir haben aber kein Interesse, das Stadtpalais Magnus-Haus aufzugeben“, betonte ein Sprecher. Darüber hinaus wolle Siemens das Thema nicht weiter kommentieren.

Der Appell gegen das Unternehmen
Siemens hat rechtlich die Möglichkeit, Widerspruch gegen die Entscheidung des Bezirks Mitte einzulegen. Zuständig für die Bearbeitung ist die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Dass sich die Behörde wie vor drei Jahren doch noch zugunsten des Weltkonzerns aussprechen könnte, gilt als unwahrscheinlich. Wird die Stadtentwicklungsverwaltung mittlerweile doch von der Linken-Senatoren Katrin Lompscher geführt, die wie Kultursenator Lederer den Bauplänen des Konzerns eher kritisch gegenüber steht.

Kaum ein Vorhaben hatte vor drei Jahren so viel Widerspruch ausgelöst, wie die Idee zur Bebauung des Gartens des Magnus-Hauses. Außer den Denkmalschützern protestierten Nachbarn und Architekten. In einer wohl einmaligen Aktion appellierten im November 2015 die wichtigsten Verbände der Architekten und Landschaftsplaner an ihre Kollegen, sich am geplanten Wettbewerb für den Bau der Konzernrepräsentanz nicht zu beteiligen. Die Unterzeichner des Appells erklärten, dass sie die gestellte Aufgabe für kaum lösbar halten. Am Ende des Briefs formulierten die Verfasser die Hoffnung, dass Siemens „durch eine gemeinsam vertretene, klare Haltung“ möglicherweise „zu einem Umdenken bewegt werden“ könne.

Im Zuge des Streits um die Bebauung kam auch Kritik am günstigen Kaufpreis auf, den Siemens für das Magnus-Haus gezahlt hat. Der Kaufpreis von 2,86 Millionen Euro habe zum Zeitpunkt der Transaktion im Jahr 2001 unter dem Verkehrswert von 9,8 Millionen Euro gelegen, bemängelten Kritiker. Der Preis sei damals damit begründet worden, dass Siemens das Anwesen aufgrund der Belegung durch die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) nicht als Konzernrepräsentanz nutzen könne. Interessant: Erst nach Ablauf einer Frist, in der Siemens für ein zusätzliches Baurecht auf dem Grundstück eine Nachzahlung hätte leisten müssen, wurden die Pläne für die Bebauung bekannt.

Die Berliner Zeitung im Internet: www.berliner-zeitung.de