Berliner Zeitung vom 1.1.2019 - Von Maritta Adam-Tkalec

Vorher-Nachher-Vergleich Berlins Plätze und die Unmöglichkeit, die Stadt zu erkennen

Wenn Stadtplaner ihre Entwürfe vom künftigen Gesicht der Stadt entwickeln, gehen sie meistens von Karten aus: verschiedene Maßstäbe, verschiedene Ausschnitte, immer mit Draufblick von oben. Die Perspektive des Fußgängers spielt keine Rolle, auch Schönheit nicht.

Diese Mängel sind in der Berliner Mitte schmerzhaft spürbar. Hier fehlen wichtige Elemente, die eine Menschenansammlung zur Stadt machen, also die Verdichtung einer Siedlung zum Kulturraum bewirken. Die Wechsel von engen und weiten Räumen, Plätzen und Gassen, von belebten Straßen und stillen Winkeln gehörten ebenso dazu, auch Orte für Bildung, geistiges Leben, Produktion, Muße und Genuss.Wesentliche Teile der Berliner Mitte bestehen aus Verkehrstrassen, ungemütlich für all jene, die gerade nicht motorisiert unterwegs sind.

 

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Köllnischer Fischmarkt um 1928: Kaufhaus Hertzog (Mitte), dahinter die Petrikirche.
Foto: Berlin-Mitte-Archiv | Köllnischer Fischmarkt heute. Heute: Schnellstraßen-Atmosphäre mit Hotel statt Köllnischer Fischmarkt.
Foto:Berlin-Mitte-Archiv/Mauersberger

Solche Gedanken haben die Macher der Ausstellung „Unbekannte Mitte“ bewegt. Sie haben Fotos von traditionsreichen Berliner Plätzen ausgewählt, zeigen sie in dem Zustand, bevor der Furor der beiden deutschen Diktaturen zu deren Vernichtung führte. Und sie haben neue Bilder angefertigt, die den heutigen Zustand zeigen, vom gleichen Standort ausgesehen.

Sehen wir auf dem historischen Bild eine urbane Geschäftsstraße wie die am Köllnischen Fischmarkt oder am Spittelmarkt, erblicken wir auf der aktuellen Aufnahme „wabernde Freiräume“, wie es Lutz Mauersberger, Architekt, Inhaber des Berlin-Mitte-Archivs und Fotograf der hier gezeigten aktuellen Aufnahmen, formuliert.

Der Vorher-Nachher-Vergleich ist höchst lehrreich. Ach, das gab es hier einmal?!, denkt man mit Staunen, gefolgt von Erschütterung. Man erkennt die eigene Stadt nicht. Was man da heute sieht, kann sonst wo sein. Nichts, was einem deutlich sagt: Hier ist Berlin, die Stadt, in der man lebt. Auch die Maßstäblichkeit des einst gewachsenen urbanen Gebildes ist aufgelöst.
Spittelmarkt um 1930: lebendige Bebauung mit Wohn- und Geschäftshäusern.

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Spittelmarkt um 1930: lebendige Bebauung mit Wohn- und Geschäftshäusern. Foto: Berlin-Mitte-Archiv | Spittelmarkt heute
Spittelmarkt heute: Vom einstigen Raumgefüge ist nichts zu erkennen. Foto: Berlin-Mitte-Archiv/Mauersberger

Die Ausstellung im Palais Podewil hilft der Vorstellungskraft auf. Die Plätze der Gründungsstädte Berlin und Cölln erstehen vor dem Auge, die alten, versunkenen Namen erhalten wieder einen Sinn: Molkenmarkt, Köllnischer Fischmarkt, Neuer Markt, Spittelmarkt.
Gedacht ist die Ausstellung als Beitrag zur Diskussion um die Alte Mitte. Denn noch besteht die Möglichkeit, bei der Neugestaltung des Berliner Stadtkerns wenigsten Teile des Ursprünglichen wiederzugewinnen. Wer da plant, Entscheidungen trifft, sollte zumindest eine Vorstellung von dem haben, was da mal war. Und die Berliner Bürger werden ermuntert, mitzureden .
Wäre es nicht schön, träumt Lutz Mauersberger, wenn die Mühlendammbrücke Hinweise auf den Gründungsort Berlins aufnähme? Oder darauf, dass hier die Energiequelle der erblühenden Stadt lag? Ein kleines Wasserkraftwerk etwa? Oder das Schleusenwärterhaus?

Die Ausstellung „Unbekannte Mitte“ des Bürgerforums Berlin e.V. in Kooperation mit Kulturprojekte Berlin und Berlin-Mitte-Archiv, Palais Podewil, Klosterstraße, ist bis 25. Januar , Mo-Fr 9-17, Di bis 19 Uhr, zu sehen.

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