Wesfalenpost vom 9.3.2019 - von Monika Willer

Stadtplaner Thomas Vielhaber nennt Gründe, warum wir uns in nachgebauten historischen Kulissen wohler fühlen als in moderner Architektur
Im Bauhaus-Stil will keiner leben. Die Bürger sehnen sich nach Wohnungen in Altbauten aus Gründerzeit oder Jugendstil. Besonders viel Atmosphäre versprechen Kopien historischer Bausubstanz. Ob Berliner Schloss oder Frankfurter Altstadt: Der Wunsch nach historisierenden Rekonstruktionen in der Architektur ist heute ebenso ausgeprägt wie beim Streit um Burg Altena im Jahr 1900 und auch die Kritik daran. Thomas Vielhaber, Planungs- und Baudezernent der Stadt Arnsberg und Experte für Stadtentwicklung, versucht die Frage zu beantworten, was besser ist: nachgebaute Vergangenheit oder kreative Moderne.

 

Reines Nachbauen ist kritisch zu sehen
Warum finden die meisten Menschen nachgebaute historische Architektur so attraktiv?
Thomas Vielhaber: Die Leute sehnen sich nach historisierender Architektur. Münster und Hannover sind zwei gegensätzliche Beispiele dafür. Beide Innenstädte wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört. In Hannover wollte man die Stadt modern wieder aufbauen und hat neue Verkehrsachsen durch die Stadt geschlagen. Münster hat sich hingegen entschieden, den damals teils als rückständig beurteilten Weg zu gehen und die historischen Fassaden am Prinzipalmarkt originalgetreu zu rekonstruieren. Daraus ergibt sich heute eine hohe Aufenthaltsqualität und Identifikation für die Bürger. Ich sehe ein reines „Nachbauen“ ohne Zeitbezug allerdings durchaus auch kritisch.

Ist es denn nicht möglich, modern zu bauen, so dass sich die Bürger darin wohlfühlen?
Wenn man schaut, warum wir uns in Münster besser fühlen als in Hannover, gibt es nachvollziehbare Argumente und ein entsprechendes stadtplanerisches Handwerkszeug. Der öffentliche Raum ist ganz wichtig, also wie wir unsere Straßen, Plätze und Wege gestalten und nutzen: Planen wir nur für den Verkehr oder brauchen wir Plätze, auf denen man sich gerne aufhält? Dann kommen die Gebäude. In unseren Orten ist es von Bedeutung, die Grundregeln zu beachten, nämlich dass man aus der Geschichte lernt, in welchen Proportionen wir bauen sollten. Die erste Regel lautet: Bauen in der Parzelle. Höhe, Dachformen, Materialien, Farben und Fensterformate spielen ebenso eine große Rolle. Und der dritte Punkt ist der Übergang vom öffentlichen zum privaten Raum einschließlich der Frage der Nutzung und Gestaltung der Erdgeschosszonen, vor denen sich die Menschen aufhalten. Lemgo und Biberach sind gute Beispiele für die sensible Ergänzung des alten Stadtkörpers mit zeitgemäßen Bauten.

Funktionale Architektur
Ist das Bewusstsein für diese Architektur-Themen durch das Bauhaus geschaffen worden?
Die Grundidee des Bauhauses war es, eine gute funktionale, einfache Architektur von hohem Gestaltwert für die breite Masse hinzubekommen. Aber man hat auch überlegt, wie innerhalb einer Wohnung die Abläufe optimal funktionieren, zum Beispiel im Küchenbereich. Es ging weniger um die städtebauliche Einfügung.

Heimatbegriff spielt mit
Die Bewegung der Burgenrestauration wurde von konservativen Kräften des wilhelminischen Reichs getragen und später von den Nationalsozialisten vereinnahmt. Kritiker der Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt sind der Meinung, dass Rekonstruktions-Architektur ein Schlüsselmedium der völkischen Geschichtsrevisionäre sei. Harte Worte oder ein Körnchen Wahrheit?
Die heutige Restaurationsbewegung ist ein Trend, mit Politik hat sie m.E. weniger zu tun. Allerdings spielt der Heimatbegriff hier mit rein. Heimat ist ein großes Thema, eine Gegenbewegung zur Globalisierung. Die Innenstädte werden durch die internationalen Ketten und den Verzicht auf regionales Bauen immer austauschbarer. Die Menschen suchen in einer sich immer schneller drehenden Welt etwas, das sie kennen, das ihnen Halt gibt und mit dem sie sich identifizieren können, gerade im baulichen Bereich. Aber dass man auch moderne Stadtviertel entwickeln kann, die belebt sind, beweist das Französische Viertel in Tübingen. Im Erdgeschoss dieses neuen Stadtquartiers befinden sich Handwerk, Kleingewerbe und Läden, und darüber wird gewohnt. So, wie es früher war. Die Autos allerdings stehen in einer Quartiersgarage am Rand, was das Miteinander der Menschen fördert, indem sie sich nun real begegnen statt nur durch die Windschutzscheibe zu sehen.

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