Die Enteignungsdebatte sorgt für Frust unter Berliner Unternehmern. Markus Voigt, Chef des Wirtschaftsclubs VBKI, will Alternativen.
Berliner Morgenpost vom 25.05.2019- Von Joachim Fahrun

Seine Branche kann sich vor Aufträgen kaum retten. „Voigt Ingenieure“ gehört mit 120 Mitarbeitern zu den größten Planungsbüros der Region und hat gut zu tun. Für den Unternehmer Markus Voigt läuft es also. Aber als Präsident des 1879 gegründeten Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI), dem wichtigsten unabhängigen Wirtschaftsclub der Stadt, macht er sich große Sorgen um die Zukunft Berlins. Joachim Fahrun traf Voigt in seinem Büro am Kurfürstendamm.

Berliner Morgenpost: Herr Voigt, wie würden sie die wirtschaftliche Lage Berlins einschätzen?
Markus Voigt: Die ist immer noch gut. Solange wir es schaffen, dass die Stadt weiter wächst, wird das auch so bleiben. Die politischen Rahmenbedingungen verschlechtern sich aber zunehmend.

 

Welchen Anteil hat der Senat an der guten Entwicklung?
Keinen. Die Stadt funktioniert trotz der Politik.

Was werfen sie dem Senat vor?
Dass wir eine Stadtentwicklungssenatorin haben, die aus parteitaktischen Gründen nicht bauen will und auch nicht genug baut. Damit verschärft sie die Immobilienkrise. Wir haben eine Verkehrssenatorin, die einseitig den Verkehrsträger Fahrrad privilegiert. Wir haben aber auch für Bildung und Innere Sicherheit keinerlei Masterplan, wie die Stadt aussehen soll, wenn sie mal vier oder fünf Millionen Einwohner hat.

Haben Sie denn Verständnis für die Menschen, die sich Sorgen machen wegen steigender Mieten und Verdrängung?
Sehr großes Verständnis sogar. Dafür muss man Lösungen anbieten. Ein Ansatz ist, mehr zu bauen. Da muss man dann auch über Flächen wie das Tempelhofer Feld und die Elisabeth-Aue reden Wir kümmern uns derzeit richtigerweise sehr viel um Leute, die mit Hartz IV am Rand der Gesellschaft stehen. Aber jetzt sind auch die Leute bedroht, die sich acht, neun Euro Miete nicht mehr leisten können. Wir brauchen Konzepte, wie wir die unterstützen, bis wir mehr Wohnraum haben. Für die muss es eine Förderung geben. Aber man muss den Leuten auch die Wahrheit sagen. Es wird nicht so bleiben, dass man in Berlin für fünf Euro wohnen kann. Und man wird auch länger als 20 oder 30 Minuten zur Arbeit fahren müssen. Dafür muss aber die Politik die Rahmenbedingungen setzen. Das kann ich aber leider nicht erkennen. Wir brauchen eine Objektförderung für Gebäude und eine Subjektförderung für hoch belastete Mieter. Und man muss Anreize setzen, um den Leuten zu Eigentum zu verhelfen, auch wenn das in Berlin traditionell nicht das Mittel der Wahl ist.

Enteignungen von großen Wohnungsunternehmen sind das große Thema. Die Linken haben sich dafür ausgesprochen, auch die Grünen. Die Wirtschaftssenatorin unterstützt das Anliegen. Wie ändert das ihr Verhältnis zu Senatorin Ramona Pop?
Das versteht man als Unternehmer nicht. Der Schutz des Eigentums gehört zum Wesenskern unseres Gemeinwesens. Man weiß nicht, wohin solche Diskussionen führen. Die Linkspartei hat aus meiner Sicht als einzige eine klare Strategie. Berlin soll nicht weiter wachsen. Damit ließe sich die Mietenkrise bekämpfen. Ich wundere mich, wie wenig Strategie SPD und Grüne haben und wie sie der Linken hinterher laufen. Dass die Grünen und eine grüne Wirtschaftssenatorin das unterstützt, entsetzt uns. Da gibt es einen klaren Interessenkonflikt zu dem, was eine Wirtschaftssenatorin eigentlich zu tun hat.

Wie verbreitet ist dieses Entsetzen?
In der Stadt gibt es eine breite Frustration darüber, dass es der Politik nur noch um individuelle Machtsicherung und Karriere geht. Frau Pop versucht, sich mit einem solchen Beschluss eine gute Ausgangsposition als Spitzenkandidatin verschaffen. Michael Müller kann als Regierender Bürgermeister nicht auf den Tisch hauen und der Stadtentwicklungssenatorin das Bauen verordnen, weil dann womöglich die Koalition platzt und er nicht wieder gewählt wird. Kai Wegner wird CDU-Landesvorsitzender, um sich einen vorderen Listenplatz für die Bundestagswahl zu sichern. Die Leute sind über die Parteigrenzen hinweg frustriert darüber, dass es niemandem mehr um die Sache und die Zukunft der Stadt geht.

Die Opposition scheint ihnen ja auch keine Alternative zu sein. Man hörte, in ihrem Umfeld gab es Überlegungen, selbst eine Partei zu gründen und in die Politik einzusteigen. Kommt das aus dieser Frustration heraus?
Ich kenne keine Überlegungen, eine neue Partei zu gründen. Ich werde auch nicht in die Politik einsteigen. Aber man kann die Enteignungsdebatte nicht einfach so laufen lassen, ohne zu zeigen, dass es auch andere Meinungen gibt in Berlin. Daraus entstand der Gedanke, sich zu engagieren, über Parteigrenzen hinweg, für die Sache. In absehbarer Zeit wird es eine Initiative geben, die andere Maßnahmen als Enteignungen gegen die Immobilienkrise richtig finden. Das soll den Parteien zeigen, dass es mit Blick auf die nächsten Wahlen gefährlich sein kann, so stark auf das eine Pferd zu setzen.

Was wird diese Initiative tun?
Sie wird zeigen, dass es eine breite Stimmung gibt für andere Maßnahmen gegen die Sorgen und Nöte der Bevölkerung, als sie die aktuelle Regierung mit Enteignungen und Mietendeckel anbietet.

Das Enteignungsthema ist an der Deutschen Wohnen aufgehängt, die einen schlechten Ruf hat. Jetzt gehen sie wieder gegen den Mietspiegel vor. Muss man sich nicht als Wirtschaft positionieren gegen ein solches Unternehmen, das die ganze Branche in Verruf bringt?
Ich kann nicht im Detail beurteilen, ob die Deutsche Wohnen ein so schwarzes Schaf ist. Oder ob dort vor allem in der Kommunikation Fehler passieren. Kleinere Vermieter halten sich auch nicht immer an die Miet-Regeln. Aber die Enteignungs-Debatte ist ernst zu nehmen. Es ist für Linkspartei schon ein großer politischer Erfolg, dass sie überhaupt geführt wird. Ich glaube aber, dass es rechtlich nicht umsetzbar sein wird. Klar ist, dass die Verbände sich stärker distanzieren müssen von schwarzen Schafen. Und die gibt es, ganz sicher.

Wo würden sie denn eingreifen im Immobilienmarkt?
Ich finde unsäglich, wie mit unbebauten Grundstücken umgegangen und gehandelt wird. Wir wollen Wohnraum schaffen. Da kann es nicht sein, dass jemand Millionen verdient, indem er ein Gelände ob mit oder ohne Baugenehmigung einfach weiter schiebt. Das könnte man über eine deutlich erhöhte Grundsteuer beim zweiten Verkauf eindämmen. Warum fangen wir nicht einmal an mit ein paar konkreten Maßnahmen? Es passiert seit Jahren nichts. Die erste Mietpreisbremse hat nicht gewirkt.

Die SPD sagt, der Mietendeckel sei schnell umsetzbar. Dann darf niemand mehr einfach so die Mieten erhöhen bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete. Was spricht dagegen?<

Natürlich können wir nicht so weitermachen, dass jemand beliebig modernisiert und dann die Preisen um 30 Prozent oder mehr ansteigen. Aber wir müssen den Bestandshaltern auch die Möglichkeit geben, die Immobilien in vernünftigem Zustand zu halten. Und vor allem müssen wir das Angebot an Wohnungen erhöhen.

Aber es gibt doch gar keine Firmen, die bauen könnten.
Wir müssen uns viel stärker um die Bauwirtschaft kümmern. Firmen und Dienstleister in die Stadt locken. Wir kriegen auf Ausschreibungen oft gar keine Angebote mehr. All das führt zu Preissteigerungen, die sich dann auf die Miete niederschlagen. Wir müssen günstiger bauen, auch in serieller Bauweise. Und wir brauchen einen größeren Wettbewerb. Der ist nämlich nicht mehr vorhanden in Berlin. Viele Ingenieurunternehmen aus Hoch- und Tiefbau nehmen gar nicht mehr alle Aufträge an. Dann selektieren sie. Und schwierigere öffentliche Auftraggeber – wie der Senat – kriegen dann eben nicht mehr die besten Unternehmen.

Brauchen wir regionale Regeln für die Bau- und Mietenpolitik, weil die Lage in Berlin eben ganz anders ist als im Westerwald?
Regionale Regelungen würden Sinn machen. Das verlangt aber auch ein gemeinsames Vorgehen von Berlin und Brandenburg. Ich finde es schlimm, dass beide Länder nach wie vor kaum zusammenarbeiten. Ich muss als Unternehmer immer noch zwei Unternehmen unterhalten, weil kommunale Aufträge nicht über Landesgrenzen hinweg vergeben werden. Dabei würde es Sinn machen, Wohnungen entlang der Stadtbahntrassen zu bauen, wo die Leute auch nur 30, 40 Minuten in die Stadt brauchen. Was ich bisher gehört habe zur gemeinsamen Planung, sind nur Lippenbekenntnisse.

Wenn jetzt die Baukosten so steigen: Wer bekommt denn das Geld eigentlich?
Die Baubranche ist ein Auftragnehmermarkt geworden, das stimmt. Aber es ist auch ein Arbeitnehmermarkt geworden. Qualifizierte Leute sind extrem teuer geworden. Wir hatten im Mittel fünf bis zehn Prozent mehr für Planer und für Bauleute. Vor zehn Jahren war es völlig unvorstellbar, dass ein Ingenieur 100.000 Euro im Jahr verdient. Aber die zusätzlichen Baukosten verteilen sich natürlich. Die Materialien sind teurer geworden und auch die Margen sind gestiegen. Da muss man schon fragen, was noch vernünftig ist und was nicht.

Das gesellschaftliche Problem ist doch, dass der jahrelange Boom in Deutschland und in Berlin längst nicht bei allen ankommt. Was kann man den Leuten sagen, die für 1600 oder 2000 Euro brutto schuften. Irgendwann werden schon genügend Wohnungen gebaut sein für euch?
Das Problem gibt es natürlich. Wir brauchen deshalb deutlich mehr geförderte Wohnungen. Es gibt außerdem die Verantwortung, auch das Gehaltsniveau an die Entwicklung einer Stadt anzupassen. In den privaten Dienstleistungsbranchen sehen wir das schon.

Sehen Sie ein Risiko, dass die Berliner Konjunktur abbricht?
Wir sind ein Teil der Gesamtkonjunktur in Deutschland und Europa. Ich sehe die Gesamtentwicklung skeptisch und fürchte, es wird den Menschen in Deutschland in zwei Generationen nicht mehr so gut gehen wie heute. Trotzdem glaube ich, dass es in Berlin länger gut laufen wird, als anderswo in Deutschland. Wir haben einen irrsinnig großen Bedarf an Investitionen. Das wird die Wirtschaft weiter antreiben. Solange es die Politik nicht schafft, Berlin die Attraktivität als Ort zum Leben und Arbeiten zu nehmen, so lange wird es Berlin besser gehen als dem Bund. Aber wir fangen an, die ersten Investoren zu verschrecken mit der Enteignungsdebatte. Ich kenne Unternehmen, die Berlin inzwischen scheuen, weil sie nicht mehr darauf setzen können, dass ihr Eigentum sicher ist.

Aber viele Unternehmen sind doch auch Opfer der Immobilienentwicklung. Wenn man 30 Euro zahlt für einen Quadratmeter Loft in Kreuzberg ist das für viele Firmen auch nicht förderlich.
Das stimmt. Die billigen Mieten waren ein großer Standortfaktor. Aber ich sehe nicht, wie man diese Entwicklung bremsen soll. Im internationalen Vergleich sind die Gewerbemieten noch einigermaßen moderat. Zunächst mal sollten wir uns um die Mieten- und Immobilienkrise im Bereich des Wohnens kümmern.

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