Franfurter Allgemeine vom 26.06.2019 - von Andreas Kilb

Seit zwölf Jahren wird das Humboldt-Forum geplant, im Dezember sollte es eröffnet werden, jetzt wird der Termin um ein Jahr verschoben. Und die Vision, die das Projekt beflügelt hat, verblasst zur Fata Morgana.
Vor vier Jahren wurden mit großem Tamtam, als wären sie die Propheten einer neuen globalen Kulturgeschichte, die drei Gründungsintendanten des Humboldt-Forums vorgestellt. Inzwischen ist die Gründungsintendanz – der Brite Neil MacGregor und seine deutschen Kollegen Horst Bredekamp und Hermann Parzinger – bereits wieder Geschichte, aber das Humboldt-Forum ist immer noch nicht gegründet, sprich: eröffnet. Auch so kann man die Havarie eines Prestigeprojekts bilanzieren. Aber von Prestige spricht beim Humboldt-Forum schon längst niemand mehr, es geht ausschließlich um Termine, Haustechnik, Kälteanlagen – und bei den Objekten, die gezeigt werden sollen, um Provenienzen und Rückgabeforderungen. Das Havarieren ist auf dem Berliner Schlossplatz zur Betriebsroutine geworden.

 

Am heutigen Mittwoch will der Nachfolger der drei Gründungsintendanten, der Kunsthistoriker Hartmut Dorgerloh, den neuen Zeitplan zur Eröffnung des Forums vorstellen. Der alte Plan sah eine Einweihungsfeier im Dezember und eine Eröffnung in zwei Stufen im nächsten Jahr vor. Nun wird die Feier, wie es aussieht, auf Herbst 2020 und die vollständige Inbetriebnahme auf Ende 2021 verschoben werden. Dabei ist es nicht die vertrackte Konzeption des Hauses, das Gemisch aus Museum, Event-Maschine, Schlüter-Café und wissenschaftlicher Bildungsanstalt, das die Termine gekippt hat, sondern, ausgerechnet, die Bauausführung.
Bürokratismus und Konfusion

Bis vor wenigen Wochen war die schlüsselfertige Übergabe des Gebäudes im September das Mantra aller Verantwortlichen, der Trägerstiftung, der Kulturstaatsministerin und des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung (BBR), das die Bauabwicklung innehat. Dann wurde bekannt, dass die Klima- und Brandschutztechnik im Haus nicht funktioniert, und vor zwei Wochen musste das BBR eingestehen, dass es mit der Fertigstellung in diesem Jahr nicht klappt. Als Dorgerloh auf der entsprechenden Pressekonferenz erklärte, für ihn sei diese Nachricht „sehr neu“, wurde auch klar, wie einsam sich das Bundesamt seinem baulichen Offenbarungseid entgegengewurstelt hat. Hinter den rekonstruierten Barockfassaden des Schlosses herrschen Bürokratismus und Konfusion.

Jetzt stehen zwei Szenarien zur Auswahl. Das BBR möchte am liebsten erst den gesamten Bau fertigstellen, bevor seine Nutzer mit ihren Ausstellungen einziehen können. Dorgerloh und sein Team dagegen wollen so viele Objekte, Vitrinen und Installationen wie möglich ins Haus bringen, ohne die laufenden Arbeiten zu unterbrechen. Die erste Variante würde zu einer Verschiebung der Eröffnung bis ins übernächste Jahr führen. Das kann sich die Kulturstaatsministerin, die schon die Verschiebebahnhöfe des Pergamonmuseums und des Museums der Moderne verwaltet, politisch nicht leisten.
Statt achthundert Arbeitern nur 380

Um die zweite Variante durchzusetzen, muss Grütters mit einem Kabinettskollegen verhandeln, der bislang nicht durch besonderes Interesse für die Brüder Humboldt und die preußische Aufklärung aufgefallen ist. Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung nämlich untersteht dem CSU-Innenminister Horst Seehofer. Vor zwölf Jahren hat die überraschende Allianz zwischen dem damaligen Bauminister Tiefensee und dem Regierenden Bürgermeister Wowereit das Projekt überhaupt erst in Gang gebracht. Jetzt müssen Grütters und Seehofer das Bündnis erneuern, um die Sache endlich zum Abschluss zu bringen.

Die Mängelwirtschaft beim BBR ist von anderen Kulturbaustellen wie dem der Staatsbibliothek Unter den Linden bekannt. Am Humboldt-Forum sind statt der nötigen achthundert Arbeiter derzeit nur 380 zugange, der Gesamtprojektleiter wurde vergangenes Jahr ohne Begründung abgezogen. Seitdem verlangsamt sich der Baufortschritt. In die Klimaanlage wurde das falsche Kühlmittel eingefüllt. Vor der Übergabe seien noch knapp 140 „Wirkprinzipprüfungen“ an vierhundert technischen Anlagen nötig, heißt es. Bei einer Behörde wie dem Bundesnachrichtendienst, der für seinen Umzug von Pullach nach Berlin viel Zeit hatte, wäre dieser Schlendrian kein Problem. Aber das Humboldt-Forum hat keine Zeit.

Denn je länger sich seine Eröffnung hinzieht, desto mehr verblasst die Vision, die es einmal beflügelt hat, zur Fata Morgana. Vom „Haus der Weltkulturen“ ist nur noch selten die Rede. Jetzt sollen Wechselausstellungen zwischen den Museumsblöcken in den oberen Etagen die Debatten der Gegenwart ins Humboldt-Forum holen. Das klingt gut, aber man glaubt es wie immer erst, wenn man es sieht.

Die anderen ethnologischen Museen in Deutschland sind dabei, ihre Hausaufgaben zu machen, sie fahren längst auf der Spur, auf die das Großprojekt der Bundeskulturpolitik gerade erst eingeschwenkt ist. Das Humboldt-Forum muss sich beeilen, damit es nicht schon von gestern ist, ehe es übermorgen aufmacht.

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