Kann die Einheitswippe hier überhaupt wackeln?
Berliner Zeitung vom 16.09.2019 - von Maritta Tkalec

Berlin hat schon manches in den Sumpf gesetzt, zum Beispiel den Münzturm, den König Friedrich I. am Schloss haben wollte. Das Bauwerk stand mit 60 Metern Höhe halb fertig da, als ein Notabriss 1706 den Einsturz abwendete. Baumeister Andreas Schlüter hatte den wabbeligen Untergrund am Spreeufer zu wenig beachtet – „bodenlos und uncorrigible“ sei der, urteilte ein Zeitgenosse.

Ein paar Schritte von diesem Ort entfernt soll im Herbst Baubeginn sein für das Einheits- und Freiheitsdenkmal, gedacht zum Ruhme jener DDR-Bürger, die 1989 anderswo Revolution gemacht hatten. Die Schöpfer vom Büro Milla & Partner planen, eine schwankende Schale auf dem instabilen Grund zu platzieren. Johannes Milla ist optimistisch: „Alle Planungen, Vorbereitungen unsererseits sind gut vorangeschritten“, teilt er mit. „Alles bedacht, berechnet, TÜV-zertifiziert“, sagte er schon 2018 im Interview.

 

Bewegungen und Sackungen
Als 1895/96 die Fundamentierung des Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals ins Werk gesetzt wurde, blieb man vorsichtig: „Die Gründung des Denkmals an dieser Stelle und unter den obwaltenden Verhältnissen erwies sich als eine so vorwiegend wasserbau-technische Aufgabe, dass die Reichsregierung Entwurf und Ausführung des ganzen Unterbaues der preußischen Wasserbau Verwaltung übertrug“, berichtete zur Halbzeit der Arbeiten der Geheime Regierungs- und Baurat Georg Eger im Zentralblatt für die Bauverwaltung. Fester Baugrund fand sich demnach zwölf Meter unter der Erdoberfläche und sechs Meter unter Niedrigwasser.

1500 Grundpfähle wurden eingerammt. Ursprünglich hatte man beabsichtigt, „in voller Ausdehnung des Bauwerkes eine Betonplatte auf Grundpfähle zu legen und den ganzen Raum darüber bis zur Plattformhöhe theils mit Mauerwerk theils mit Sparbeton zu füllen“. Hiervon habe man Abstand genommen, schrieb Eger, stattdessen Pfeiler und Wölbungen errichtet – wegen der Kosten, doch vor allem zur „Verminderung der Mauermassen“, also wegen des auf dem schwierigen Grund lastenden Gewichts.

Der ganze Fußboden wurde auf Wölbungen gelegt, deren Einzelpfeiler großenteils auf einer gemeinschaftlichen, durchschnittlich zwei Meter starken, auf Grundpfeilern ruhenden Betonplatte stehen. Man behielt aus alter Erfahrung das Wichtigste im Blick: „Das Bauwerk sicher gründen, und auch die unbelasteten Theile der Plattform gegen Bewegungen und Sackungen unbedingt zu sichern.“ Die Fundamentgewölbe maßen etwa 76 mal 38 Meter.

Bis zu 25.000 Kilo ruhen auf einem Pfahl
Die Pfähle wurden „meist senkrecht fünf bis sieben Meter tief unter Betonunterkante in den Grund gerammt, führte Eger aus, und reichen oben 60 bis 80 Zentimeter in den Beton hinein; den auftretenden Belastungen entsprechend kommt auf jeden Pfahl eine größte Beanspruchung von rund 25.000 Kilogramm. Zur Aufnahme schräg gerichteter Gewölbedrucke sind nach Erfordernis geneigt stehende Pfahlreihen angeordnet.“ Beim Einrammen der Pfähle hielten Trichter oder Spundwände das Wasser zurück.

Der Sockel ragt mehrere Meter in den Spreekanal hinein. Wie beim Bau des Bode-Museums wurde die Fläche der Spreeinsel künstlich erweitert. Durch den überwölbten Unterbau fließen Reste des ehemaligen Mühlengrabens bis zur Mündung in den Spreekanal unter dem Denkmal.
Diesen komplizierten Umständen entsprechend sind „dem Verlauf der Druckkräfte entsprechend Bögen und Gewölbe so gestaltet, dass eine Druckbeanspruchung von 15 Kilogramm im Ziegelmauerwerk und von 4,4 Kilogramm im Beton nirgends überschritten ist“, schrieb Eger im Fachblatt. Die Räume unter den Wölbungen seien über dem Betonbett bis zur Hochwasserlinie mit Sand ausgeschüttet und durch einen verschließbaren Schacht von oben aus zugänglich.

Die Spree hatte 1895 ungewöhnliches Hochwasser geführt – zusätzliche Schwierigkeit für die Fundamentarbeiten im tiefmorastigen Ufergelände. Obendrein bekam man es zu tun mit „alten Bauresten in Gestalt von Mauerwerk, Pfählen, Rosten, u. dgl., die von Ufer- und Grundbauten aller Art sich seit Jahrhunderten angehäuft“ hatten.

Bundesamt lässt Bohrungen durchführen
Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung teilte auf Anfrage mit, dass für die Vorbereitung zum Bau des Freiheits- und Einheitsdenkmals Bohrungen durchgeführt wurden, die unter einer Auffüllung aus Bauschutt und Sand etwa vier Meter unter der Betonplatte der Bestandsgründung in zwei verschiedenen Tiefen tragfähige Sandschichten fanden.

Geologie: Laut Bundesamt für Bauwesen liegt etwa vier Meter unter der Betonplatte der Bestandsgründung eine tragfähige mitteldichte Sandschicht, darunter 14 und 24 Meter Geschiebemergel, darunter eine tragfähige Schicht aus Feinsand.
Fauna: Geschützte Wasserfledermäuse nutzen die Fundamentgewölbe als Sommerquartier. Bei der Bauplanung hieß es 2012: Da die Fundamentgewölbe erhalten werden, entstehen keine artenschutzrechtlichen Konflikte. Das traf dann nicht zu.

Bauplanung 2012: Die Vorlage für das Abgeordnetenhaus besagt, „Boden- und Baudenkmale werden erhalten, gesichert und /oder integriert“. Eine Wohnbebauung der Schlossfreiheit werde wegen des Einheitsdenkmals nicht weiter verfolgt.

Doch anders als der von Kolonnaden umgebene, reglos auf hohem Ross hockende Hohenzoller übt die von Bürgern bewegbare, gewaltige 150 Tonnen schwere Schale aus Stahlbauteilen wechselnden Druck aus, den ein Feder- und Dämpfungssystem mildern soll. 50 Meter lang und 18 Meter breit, misst die Schale an ihrer stärksten Stelle 2,50 Meter.

Um das enorme Gewicht auf festen Grund abzuführen, werden zusätzlich sieben Betonpfeiler, jeder 1,50 Meter dick, durch die sorgsam austarierten Gewölbemauern getrieben. Dazu schreibt das Bundesamt: „Durch eine vom vorhandenen Sockelbauwerk unabhängige Gründung soll gewährleistet werden, dass keine Krafteinleitungen in die vorhandene intakte Gründung des Sockelbauwerks erfolgen.“

Dieses steht allerdings unter Denkmalschutz, wurde mit fünf Millionen Euro öffentlicher Mittel saniert. Das Landesdenkmalamt trug vor einem Jahr „erhebliche grundsätzliche Bedenken“ aus „fachlicher Sicht der Denkmalpflege“ gegen die Einheitswippen vor. Das Vorgehen sei „umso unverständlicher“, als der Sockel des alten Denkmals neben den Resten des Schlosskellers das einzige in seiner originalen Substanz erhaltene Gebäudefragment des ehemaligen Schlosskomplexes ist. Zwei Bedingungen stellten die Denkmalschützer: Das ebenfalls unter Schutz stehende und zwischenzeitlich entfernte Mosaik des Kaiserdenkmals müsse an den ursprünglichen Standort zurückkehren. Die Pfahlgründung sei zu überarbeiten.

Wurscht, urteilte die Oberste Bauaufsicht Berlins 2018 und verlängerte die Baugenehmigung – bis zum 9. Oktober 2019. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) trat mit dem Ruf „Jetzt aber!“ auf. Im August hieß es aus dem Hause Grütters: Diesen Herbst geht es los. Das müsste also in den nächsten Tagen sein. Dann wäre man – vielleicht, vielleicht auch nicht – zum Tag der Deutschen Einheit 2020 fertig. Ungefähr zu jener Zeit will auch das Humboldt Forum nach einem Jahr Verzögerung öffnen. Das wäre ein kontrastreiches Doppel: drinnen Weltsicht, draußen deutsche Nabelschau.

Ach ja, die Unwägbarkeiten
Die Erklärungen aus dem Hause Grütters wirken nicht beruhigend: Trotz sorgfältiger Planung könnten „Probleme auftreten, die sich erst bei der praktischen Umsetzung zeigen“, teilte Sprecherin Beate Frosch mit, denn „beim Freiheits- und Einheitsdenkmal handelt es sich um ein einmaliges Bauprojekt, das in dieser Form noch nie realisiert wurde“. Für nähere Erklärungen wurde auf Büro Milla verwiesen. Dort – siehe oben – „geht es voran“.

Auch „dritte Stellen“, so Beate Frosch, hätten Mitwirkungsrechte, konkret gehe es um die „dauerhafte Sicherstellung eines geeigneten Lebensraums für gefährdete Fledermausarten“. Das entsprechende Verfahren werde parallel zur Bauvorbereitung vorangetrieben. Für die Mosaike gilt, so Beate Frosch, die 2015 mit der Berliner Senatsbaudirektorin Regula Lüscher getroffene Vereinbarung, wonach das Land „im Gegenzug zu einer Kostenübernahme des Bundes für die denkmalgerechte Sockelsanierung die vollständige, auch finanzielle Verantwortung für die Mosaike“ übernimmt.

Das Bundesamt für Bauwesen sieht jedenfalls klare Zuständigkeiten: Verantwortlich „für die Planung und die bauliche Realisierung des Freiheits- und Einheitsdenkmals – auch der Tragwerksplanung – ist das Büro Milla & Partner. Spezielle technische Fragestellungen sind vom beauftragten Planer zu lösen.

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