Die Senatsverkehrsverwaltung plant einen Radschnellweg, der durchs Brandenburger Tor führen soll. Der Fußgängerverband ist entsetzt.
Berliner Morgenpost vom 10.12.2019 - Von Thomas Fülling

Touristen, aber auch Berliner zieht es bei jedem Wetter zu Tausenden auf dem Pariser Platz in Mitte. Die einen machen Selfies vor Berlins bekanntestem Wahrzeichen, dem Brandenburger Tor, die anderen genießen einfach das Flair des geschichtsträchtigen Stadtplatzes. Doch mit der Foto-Idylle könnte es dort bald vorbei sein. Der Berliner Senat plant, mitten über den Platz einen Radweg zu bauen. Nicht irgendeinen Weg, sondern eine breite und kreuzungsfreie Trasse, die es Radfahrern erlaubt, in großer Zahl und mit hoher Geschwindigkeit über den Platz und durchs Tor zu rasen.

 

Entsprechende Pläne haben Verkehrsstaatssekretär Ingmar Streese und die senatseigene Planungsgesellschaft Infravelo am Montagabend in der „Stadtwerkstatt“ erstmals öffentlich vorgestellt.

Kritik: „Technokratie ohne Sinn für Stadtqualität“
Vorgesehen ist demnach ein Radschnellweg, der in Ost-West-Richtung von der Landsberger Allee in Marzahn bis zum Bahnhof Tiergarten in Mitte führen soll. Im östlichen Stadtzentrum – so sieht es die derzeit als „fachlich am besten bewertete Route“ vor – soll der Radschnellweg dann über die Straße Unter den Linden und die Straße des 17. Juni führen. Genau in der Mitte der Verbindung führt die Trasse dann direkt über den Pariser Platz und mitten durch das Brandenburger Tor.

Radschnellweg durchs Brandenburger Tor: Fußgängerverband entsetzt
20191211 Radschnellverbindungen in Berlin

Foto: BM Infografik

Der Fußgängerverband Fuss e. V. ist entsetzt über die Pläne. „Radverkehr im Sekundentakt würde Berlins symbolisch wichtigsten Stadtraum zerschneiden“, kritisierte Vereinsvorstand Roland Stimpel am Dienstag die Senatspläne. Als Ort für entspanntes Flanieren und Genießen, zum Treffen und Feiern wäre der Platz dann tot, befürchtet er. Er wirft den Planern vor: „Das ist Schnellweg-Technokratie ohne Sinn für Stadtqualität. Für Durchgangsverkehr zentrale Stadträume zu killen – das ist der alte Ungeist der autogerechten Stadt. Vom Autoverkehr wurde das Tor erst 2002 befreit. Jetzt muss es auch frei von schnellem, starkem Radverkehr bleiben.“

Als Teil seiner neuen Mobilitätsstrategie plant der rot-rot-grüne Senat seit 2016, in der Stadt sogenannte Radschnellverbindungen (RSV) anzulegen. Baulich unterscheiden sie sich von herkömmlichen Radwegen: Sie sollen mindestens drei Meter breit und kreuzungsfrei sein. Wird die Verbindung in beiden Richtungen genutzt, ist eine Mindestbreite von vier Metern vorgesehen.

Mit dieser baulichen Gestaltung sollen sie es Fahrradfahrern ermöglichen, besonders schnell und in großer Zahl durch die Stadt zu kommen. Vor allem Berufspendler sollen mit einem solchen Angebot überzeugt werden, für die Fahrt zur Arbeit oder nach Hause auf das Auto zu verzichten und aufs Rad umzusteigen.

Geplanter Baubeginn der Trasse ist 2024
Inzwischen hat die Senatsverkehrsverwaltung auf dem Stadtplan von Berlin 30 Korridore eingezeichnet, in denen Radschnellwege angelegt werden könnten. Elf werden als „prioritär“, also als dringlich bezeichnet. Konkrete Pläne gibt es bereits für eine Route entlang des Teltowkanals, die sogenannte Y-Trasse, die durch Neukölln, Kreuzberg und Mitte verläuft, sowie den Königsweg-Kron­prinzes­sinnen­weg, der vom Wannsee aus quer durch den Grunewald bis zur Messe Berlin und dem westlichen Ende des Kurfürstendamms führen soll.

Die jetzt vorgestellten Pläne beziehen sich auf die „Ost-Route“, die die äußeren Bezirke Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg mit Mitte verbinden soll. Einer der untersuchten Trassenkorridore verläuft ab Marzahn über die Landsberger Allee, Karl-Marx-Allee, Alexanderplatz, Unter den Linden bis zum S-Bahnhof Tiergarten. Diese 19,5 Kilometer lange „Ost-Route“ ist die Verlängerung der „West-Route“, die von Spandau bis nach Charlottenburg-Wilmersdorf führt. Die Gesamtstrecke der Ost- und West-Route umfasst knapp 35 Kilometer. Gebaut werden soll der Radschnellweg laut Internetseite der Senatsverkehrsverwaltung „voraussichtlich ab 2024“.

Planungsexperten erwarten Konflikte mit Fußgängern
In Mitte haben die Planer für die „Ost-Route“ bis zu sechs parallele Trassen vorgeschlagen – die nördlichste am Hauptbahnhof, die südlichste am Potsdamer Platz. Die Trasse über die Straße des 17. Juni, durchs Brandenburger Tor und über die Straße Unter den Linden wurde am Montag als „fachlich am besten bewertete Route“ vorgestellt.

Auch die von der Senatsverkehrsverwaltung beauftragten Planer gehen davon aus, dass es am Brandenburger Tor zu Konflikten mit Fußgängern kommen könnte. Sie verweisen aber darauf, dass das Denkmal bereits jetzt innerhalb von 24 Stunden von 10.800 Radfahrern durchfahren wird.

Auf Alternativrouten nördlich und südlich vom Tor seien dagegen nur zwischen 1400 und 3000 Fahrradfahrer unterwegs. Allerdings wurden an diesem Tag auch 47.500 Passanten auf dem Pariser Platz gezählt, das ist mehr als Hälfte aller 75.000 Fußgänger im Bereich zwischen Spreebogen und südlichem Tiergarten.

Tiergarten-Spaziergänger für einen Schnellverkehr zu vertreiben, das habe es zuletzt beim Bau der Entlastungsstraße im Jahr 1961 gegeben, heißt es in der Stellungnahme von Fuss e. V. „Es ist schwer zu fassen, dass die Enkel der damaligen Planer das jetzt überhaupt nur erwägen“, so Fuss-Vorstand Stimpel.

Ein Sprecher der Verkehrsverwaltung betonte am Dienstag, dass sich die Pläne noch im Anfangsstadium befänden. Kritik von Bürgern und Verbänden wie Fuss e.V. würden in die weitere Planung mit einbezogen.

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