Der Senat will auf der Ost-West-Magistrale Gleise verlegen. Aus der unwirtlichen Straßenschlucht soll ein angenehmer Ort werden. Für Autos wäre weniger Platz.
Berliner Zeitung vom 26.2.2020 - von Peter Neumann

Die Kritiker nahmen kein Blatt vor den Mund. „Die Leipziger Straße darf kein Nadelöhr werden. Chaos ist programmiert“, so Oliver Friederici (CDU). „Wenn sie einspurig wird, würde das zum Dauerstau führen“, warnte der FDP-Abgeordnete Henner Schmidt. „Wir befürchten extreme Rückstaus bis weit über den genannten Abschnitt hinaus“, sagte Sandra Hass vom ADAC. Die Pläne für die Straßenbahn in der Leipziger Straße in Mitte stoßen auf Kritik. Es gibt aber auch Befürworter.

Holger Kölling-Orb ist da angekommen, wo er immer hinwollte. Zwei Jahrzehnte sind vergangen, seitdem er und sein Mitautor Tilo Schütz vorgeschlagen haben, in der Leipziger Straße in Mitte Gleise zu verlegen. „Straßenbahn für ganz Berlin“ hieß das viel beachtete Buch, in dem die damaligen Studenten anregten, das Tram-Netz in der Hauptstadt von fast 188 auf 517 Kilometer zu erweitern. Inzwischen hat Kölling-Orb seinen Traumjob bekommen: Als Mitarbeiter des Senatsverkehrsverwaltung plant er nun den Ausbau des Straßenbahnnetzes, und eines seiner aktuellen Projekte ist die Trasse in der Leipziger Straße. Die vorgesehene Strecke wird die heute noch unwirtliche Magistrale verändern – zu Lasten des Autoverkehrs, der nur noch einen Fahrstreifen pro Richtung behalten soll.

Auf der Leipziger Straße stockt mal wieder der Feierabendverkehr. Nicht weit entfernt, in der Alten Münze, präsentierten Kölling-Orb und seine Mitstreiter am Dienstagabend die aktuellen Pläne für die Straßenbahn, die ab 2025 zwischen dem Alexanderplatz, dem Potsdamer Platz und dem Kulturforum gebaut werden soll. Wenn dort frühestens 2027 der Betrieb beginnt, werde die Belastung der Ost-West-Straße zurückgehen, sagt er. „Wir erwarten eine deutliche Reduzierung der Verkehrsmenge – um 50 Prozent.“ Wer bislang mit dem Auto unterwegs ist, werde auf die Straßenbahn umsteigen oder die neuen breiten Radfahrstreifen nutzen, die ebenfalls in der Leipziger Straße entstehen werden. Das ist zumindest die Hoffnung.

Doch bei der Versammlung gab es Kritik. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich der Verkehr halbiert“, rief ein Autofahrer aus Kreuzberg. „Das ist völlig unrealistisch. Viele Menschen brauchen ihr Auto.“

Nisthilfen für Bienen auf dem Mittelstreifen
Bei dem bislang auf 65 Millionen Euro geschätzten Verkehrsprojekt geht es nicht nur um 4,1 Kilometer Doppelgleis und bis zu neun Tramhaltestellen. Das machten die Senatsleute den in der Alten Münze versammelten 150 Bürgern klar. „Es geht auch um vernünftige Geh- und Radwege, um eine vernünftige Aufenthaltsqualität“, so Kölling-Orb. Anders formuliert: Es geht darum, die Leipziger Straße im östlichen Stadtzentrum zu einem angenehmen Ort zu machen.
Heute besteht sie zwischen Charlottenstraße und Spittelmarkt aus zwei mehr als 14 Meter breiten Fahrbahnen, meist mit jeweils zwei Fahrstreifen und einer Busspur. Einen Mittelstreifen wird es auf dem Teilstück, das die Straßenbahnplaner Planungsabschnitt 3 nennen, auch künftig geben. Doch er wird mit mehr als fünf Meter rund zwei Meter breiter ausfallen als der heutige, und er wird mit "bestäubungsfreundlichen Pflanzen" begrünt, die Insekten anlocken, sagte Kölling-Orb. Nisthilfen für Bienen soll es dort ebenfalls geben.

Später auch nach Kreuzberg und Steglitz
Für diesen Teil der geplanten Straßenbahn wurden am Dienstagabend zwei Varianten vorgestellt. „Das ist wichtig, um zu einem ordentlichen Abwägungsprozess zu kommen. Man muss erklären können, warum man sich für etwas entscheidet“, sagte Hartmut Reupke, Leiter der Verkehrsabteilung in der Senatsverwaltung. Klar ist auf jeden Fall, dass der Platz für Autos, Lastwagen, Busse und Motorräder deutlich verkleinert wird. Eine Variante für das breite Teilstück der Leipziger Straße sieht vor, pro Richtung zwei Fahrstreifen für den Autoverkehr zu belassen und zwei Meter breite Radfahrstreifen zu bauen. Die Sympathien der Planer scheinen aber der anderen Variante zu gehören, die pro Richtung nur einen Fahrstreifen vorsieht, aber dafür drei Meter breite Fahrradtrassen.

Der Fußgängertunnel im Berreich der Jerusalemer Straße wird geschlossen, dafür entstehen drei Überwege für Fußgänger. Und: Westlich vom Spittelmarkt wird in der Mitte ein drittes Gleis verlegt, damit Bahnen dort aussetzen und umkehren können. „Jede zweite Zug wird dort enden“, sagte Reupke. Auf der Neubaustrecke in Richtung Westen soll übrigens die M4 verkehren, die in Hohenschönhausen beginnt. Sie wird sich die Gleise vom Alex bis zum Spittelmarkt in ferner Zukunft mit einer weiteren Linie teilen, denn dort soll dann später eine abzweigen.
Die Strecke zum Kulturforum soll nicht für immer in diesem Bereich enden. Sie ist gedacht als "Sprungbrett" für eine Verlängerung in den Westen Berlins, wo es bis heute kaum Tramtrassen gibt, betonten die Planer. "Die Fortführung in Richtung Rathaus Steglitz ist weiterhin aktuell", bekräftigte Hartmut Reupke. "Es ist nur so, dass es sehr viel länger dauert." Er hoffe aber, dass die ersten Planungen noch im kommenden Jahr beginnen können.

Beim Hoffest fahren die Bahnen einen Umweg
Holger Kölling-Orb ging auch auf den Planungsabschnitt 1 rund um das Rote Rathaus ein. Normalerweise werden die Bahnen in die Rathausstraße abbiegen. Doch wenn der Regierende Bürgermeister zum Hoffest lädt oder die Vorfahrt für Staatsgäste gebraucht wird (was im vergangenen Jahr zehn Mal und 2018 15 Mal vorkam), fahren die Züge einen Umweg über die Karl-Liebknecht-Straße.
Inzwischen haben die Planer des Senats und des Büros Obermeyer ihr Konzept für den Planungsabschnitt 4 rund um die Kreuzung mit der Friedrichstraße überarbeitet. In der nur 22 Meter schmalen Schlucht werden sich Kraftfahrzeuge und Bahnen zum Teil sogar den Straßenraum teilen müssen, daran hat sich im Grundsatz nichts geändert. Vor diesen Bereichen werden Ampeln den Zufluss der Autos dosieren, die Züge führen dann den Pulk an. Allerdings wurde dieser Abschnitt nun verkürzt – und der geplante separate Gleiskörper, der durch Markierungen oder acht Zentimeter hohe Bordsteine entsteht, entsprechend verlängert. Der abgetrennte Gleisbereich wird von je einem Autofahrstreifen und einem mindestens zwei Meter breiten Radfahrstreifen eingerahmt. Baken oder Schwellen schützen die Trasse für die Radler.

„Mehr Grün ist gut“, lobte Tilmann Heuser vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Berlin. Die Planung biete die „Chance, die überdimensionierte Verkehrsachse für die Menschen zurückzugewinnnen“. Es gehe um mehr Aufenthalts- und Lebensqualität. Tim Lehmann von Changing Cities wunderte sich dagegen, dass ein Teil der Planungen noch ziemlich autofreundlich seien. So sei auf den Simulationen für die Gestaltung des Molkenmarkts noch sehr viel Platz für Kraftfahrzeuge zu erkennen. "Da ist noch viel Luft für eine menschengerechte Stadt", sagte er.

Tram ja - aber über die Französische Straße
Die Autolobby bekräftigte ihre grundsätzliche Kritik an der geplanten Verschmälerung der Leipziger Straße, die übrigens Teil der quer durch Deutschland führenden Bundesstraße B1 ist. "Wenn der Bau der Tramstrecke wie vorgestellt umgesetzt wird, wird das den Autoverkehr auf der wichtigen Ost-West-Verbindung massiv einschränken", sagte ADAC-Sprecherin Sandra Hass. "Wir sorgen uns insbesondere auf die Auswirkungen in der Verkehrsschlucht zwischen Charlottenstraße und Potsdamer Platz. Hier sind täglich mehr als 50000 Fahrzeuge unterwegs. Schon jetzt stockt es regelmäßig, insbesondere im Berufsverkehr. Kaum vorstellbar, wie es hier aussieht, wenn Autos nur noch auf einer Spur je Richtung unterwegs sein können und dann noch im Pulk hinter der Straßenbahn."

Der ADAC sei nicht gegen den Ausbau des Straßenbahnnetzes, betonte Hass. "Vor diesem Hintergrund fordern wir den Senat erneut auf, eine alternative Trassenführung über die parallel laufende Französische Straße zu prüfen, auf der deutlich weniger Einschränkungen für den Autoverkehr zu erwarten wären." Solche Ideen hatte es Anfang der Nullerjahre auch beim BUND gegeben.

Die Idee, dass sich Autos und Straßenbahnen auf dem schmalen Abschnitt der Leipziger Straße Fahrstreifen teilen, sei "absurd", sagte FDP-Verkehrspolitiker Henner Schmidt. "Damit würde auch die Straßenbahn dauernd im Stau stehen. Die Leipziger Straße ist deshalb für eine Straßenbahntrasse nicht geeignet, eine alternative Trassenführung wäre sinnvoll. Noch sinnvoller wäre es, die seit Jahrzehnten bestehende Planung der Verbindung als U-Bahn umzusetzen." Für den Fahrradverkehr sollte eine der parallelen Nebenstraßen in eine Fahrradstraße umgewandelt werden, damit Fahrradfahrer von Lärm und Abgasen nicht belastet werden, so Schmidt. "Der motorisierte Durchgangsverkehr könnte abgeleitet werden, wenn endlich die Autobahn A100 weitergebaut würde."

Bis zum 11. März haben Bürger die Möglichkeit, Ideen und Anregungen zur Planung auf mein.berlin.de abzugeben. Es wird eine lebhafte Diskussion werden.

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