44 – 39 – 34? Wie viele Meter breit wird die neue Mühlendammbrücke, und wie wird sie aussehen? Ein Realisierungswettbewerb bietet Chancen für Änderungen.
Berliner Zeitung vom 29.6.2020 von Maritta Tkalec

Eine große Brücke in der Innenstadt baut man nicht alle paar Jahre. Die Mühlendammbrücke entstand 1968 als Spannbetonbau für den Autoverkehr: 45,2 Meter breit, achtspurig, ohne den kleinsten Hinweis darauf, dass an dieser Stelle bereits um 1220, also vor 800 Jahren, die Erbauer der Städte Berlin und Cölln einen Damm errichteten, der beide Siedlungen verband, und Wassermühlen anlegten. Das Kraftwerk gehörte zu den entscheidenden Faktoren, die die Neugründung über die Jahrhunderte florieren ließ.

Ein Neubau bietet die Chance, die auf massenhafte Fahrzeugdurchleitung angelegte Situation zu verändern, die historische Stadtteile voneinander trennt und die Innenstadtzone zu einem unwirtlichen und gefährlichen Ort macht. Eine Chance, wie sie für Jahrzehnte nicht wiederkommt.

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Bauen bereitet im Auftrag der Senatsverwaltung für Verkehr einen Realisierungswettbewerb vor, der nach der Sommerpause beginnen soll. Die bisherigen Vorgaben sehen eine Gesamtbreite von 42 bis 44 Metern vor, also etwa das Maß der alten Brücke. Immerhin wird in der Mitte eine zweigleisige Straßenbahntrasse freigehalten. Laut Jan Thomsen, Sprecher der Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne), werden die drei Fahrspuren für den motorisierten Individualverkehr (auf der vierten rollt der Bus) dauerhaft auf zwei Kfz-Spuren verringert. Ferner werde bis zur Inbetriebnahme der Tram jeweils rechts in beiden Richtungen eine kombinierte Bus- und Radspur eingerichtet. Rolle die Straßenbahn, entfalle die Busspur; es bleibe ein breiter Radweg.

Dennoch widerspricht das bisherige Brückenkonzept Äußerungen der Verkehrssenatorin, die Autos aus der Innenstadt verdrängen will. Der Berliner Zeitung sagte sie im März 2019: „Die Verkehrswende muss eine Wende weg vom individuellen Autoverkehr sein, sonst ist sie keine.“ Auch das dieser Tage vorgestellte Grundsatzprogramm der Grünen fordert autofreie Innenstädte: „Der Raum in den Städten wird Stück für Stück neu aufgeteilt“, steht da geschrieben.
Die Aussicht auf eine neue Mühlendammbrücke, die der alten im Wesentlichen gleicht, veranlasste Ephraim Gothe, SPD, Baustadtrat von Mitte, die Senatsverwaltung Verkehr am 20. Februar 2020 in einem Brief an die langfristigen Ziele der rot-rot-grünen Koalition zu erinnern: Wolle man die Stadt auf den Klimawandel vorbereiten und CO2-neutral machen, müsse der innerstädtische Verkehr radikal umgestaltet werden, heißt es da – verbunden mit der dringlichen Bitte, zu dem Projekt „einen öffentlichen Diskurs und eine Abstimmung mit dem Bezirksamt und seiner BVV (Bezirksverordnetenversammlung) nachzuholen.“ Es folgten „intensive Telefonate“ mit der Verkehrsverwaltung. Ergebnisse sieht der Stadtrat nicht.

Die derzeit die achtspurige Mühlendammbrücke führt in der Nachbarschaft des Nikolaiviertels über die Spree. Die einzig auf Autoverkehr ausgerichetete Spannbetonkonstruktion zerschneidet historische Teile der Innenstadt. 
Gothe erinnert in seinem Brief daran, dass die Mühlendammbrücke von 1894 mit ihrem Brückengebäude für die Stadtsparkasse nicht nur „in pittoresker Weise das Stadtbild bereicherte“, sondern sich mit ihrem Querschnitt von 15 Metern Fahrbahn inklusive zweigleisiger Tram und zwei 5,75 Metern breiten Bürgersteigen als sehr verkehrstauglich erwiesen hatte. „Hätte diese 26,50 Meter breite Brücke den Zweiten Weltkrieg und die Planungen für eine autogerechte Stadt in den 1960er-Jahren überlebt, würde heute niemand die Idee aussprechen, sie durch eine 44 Meter breite Brücke zu ersetzten.“
Er will keine Neuauflage einer Autobahnbrücke in der Innenstadt und schlägt eine Gesamtbreite von 34 Metern mit folgender Verteilung vor: neun Meter für die Straßenbahn, je eine vier Meter breite Autospur, eine 2,50 Meter breite Radspur und einen sechs Meter breiten Bürgersteig. Als gestalterischen Akzent regt er an, ein am Brückenkopf auf der Fischerinsel platziertes Brückenhaus mit Aussichtscafé vorzugeben. Vorschläge von Stadtplanern und Architekten gehen da viel weiter, wie sich an dem vom Architekturhistoriker Helmut Maier erarbeiteten Entwurf erkennen lässt (siehe Abbildung).

Baustadtrat Gothe räumt ein, dass seine Einwände und Anregungen zu einer Verzögerung des Wettbewerbs führen würden, doch sei „angesichts der Bedeutung des Ortes, der Auswirkungen auf den Verkehr in der Innenstadt und des Willens zur Bürgerbeteiligung“ eine sorgfältige Vorbereitung unerlässlich.
Der Berliner Fahrgastverband Igeb, Mitglied im Bündnis „Pro Straßenbahn“, forderte dann im Mai in einem offenen Brief an Bausenatorin Katrin Lompscher, maximal zwei Fahrstreifen je Fahrtrichtung vorzusehen. Sechs Kfz-Fahrspuren zeugten von einer „veralteten Planung der autogerechten Stadt“.

Wie hält man es mit der Bürgerbeteiligung?
Auf die Frage der Berliner Zeitung nach Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung teilte Petra Rohland, Sprecherin von Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) mit, für einen Realisierungswettbewerb wie diesen sei „formal keine Bürgerbeteiligung vorgesehen“, allerdings sei die Mühlendammbrücke „ein für die Stadt wichtiges Bauwerk und eine Erneuerung sollte nicht ohne Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger erfolgen“. Die Abstimmungen der beiden beteiligten Verwaltungen seien nicht abgeschlossen, daher könnten derzeit keine weiteren Informationen gegeben werden geben.

Jan Thomsen verweist darauf, dass die neue Brücke „den aktuellen Anforderungen aller Verkehrsarten auf und auch unter der Brücke“ gerecht werden muss. Gleichwohl könnte sie, „abhängig vom Ergebnis des Realisierungswettbewerbs, auf eine Minimalbreite von 39,60 Meter reduziert werden“. Beteiligungs- und Informationsformate seien vorgesehen, ob als Präsenzveranstaltung oder pandemiebedingt in einem digitalen Format stehe noch nicht fest.
Die interessierten Bürger und Vereine lassen derweil nicht locker: Der Architekten- und Ingenieursverein AIV betonte in einer Pressemitteilung von 20. Juni 2020: „Gute Stadtplanung fängt bei den Brücken an – zumal in einer Stadt mit vielen Wasserwegen.“ Berlins aktuelle Planung halten die Experten für „uninspiriert, autobahnartig und eines Stadtzentrums unwürdig“. Die Mühlendammbrücke und die 1978 erbaute, ebenfalls marode Gertraudenbrücke seien „zu Symbolen eines verfehlten Städtebaus geworden“: Stadthistoriker und AIV-Vorstandsmitglied Benedikt Goebel fordert: „Genau 100 Jahre nach der Gründung von Groß-Berlin hat die Stadt die einmalige Chance, nicht wieder in die 1970-er Jahre zu verfallen, sondern im Zentrum eine menschenfreundliche Metropole zu gestalten.“

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