Tagesspiegel vom 08.08.2020 - von Lorenz Maroldt

Das ist ein Wetter zum ins Wasser springen – und was wäre schöner, das mitten in der Stadt zu tun, zwischen Humboldt-Forum und Bode-Museum? Die Spree als Flussbad – an diesem Traum arbeiten seit Jahren Stadtplaner, Architekten, Ingenieure und ein Verein, gefördert mit Bundes- und Landesmitteln von vier Millionen Euro, weitere 6,4 Millionen sind bereits bewilligt. Kurz vor Weihnachten 2019 beschloss der Senat: Das Projekt wird vollendet – für insgesamt 77 Millionen Euro. Im Beschluss, der am 27. Dezember dem Parlament zuging, wird diese Summe als „die prognostizierten Kosten“ dargestellt. Doch interne Protokolle und Mails, die dem Checkpoint vorliegen, deuten darauf hin, dass die tatsächlich zu erwartenden Ausgaben bewusst verschleiert wurden. So heißt es in einer Notiz der Stadtentwicklungsverwaltung zur Ausarbeitung der Senatsvorlage, dass „keine komplette Kostenprognose“ vorgelegt werden soll.

Das Vorgehen hat offenbar Methode. Erst auf massives Drängen von Umweltsenatorin Regine Günther übermittelte die Behörde von Katrin Lompscher (inzwischen Ex) zuvor überhaupt erst intern eine Kostenschätzung. In einem Brief an die „liebe Katrin“ hatte Günther Anfang vergangenen Jahres beklagt, dass ihr Haus eine Machbarkeitsstudie mit den Zahlen „in den vergangenen zwei Jahren mehrfach angefordert“ habe, „ohne dass sie oder Teile davon übermittelt wurden“. Sie halte es für geboten, schrieb Günther, „dass eine solche Entscheidung im Lichte aller zu berücksichtigen Aspekte getroffen wird.“

Doch die Antwort blieb vage – offenbar absichtlich. Denn bereits am 10.1.2019 wurde in einem Protokoll der Stadtentwicklungsverwaltung mit Blick auf die von Günther erwähnten früheren Anforderungen festgehalten, dass gut geprüft werden soll, „welche Informationen der Kostenschätzung SenUVK erhalten soll.“ Und welche nicht.
In einem weiteren Schreiben vom Mai 2019 äußert eine Abteilungsleiterin der Umweltverwaltung dann auch massive Zweifel an der inzwischen übermittelten Kostenschätzung – es bestehe „erhebliches Potenzial“, dass sich die Annahmen „wesentlich verändern“. In der Prognose, so schreibt sie weiter, „werden weder Unsicherheiten und Risiken noch die Unvollständigkeit der Informationen und des Planungsstandes benannt“. Unberücksichtigt blieben demnach u.a. die Sanierungskosten an den Ufermauern und Brücken sowie der erforderliche Grunderwerb. „Mit großem Erstaunen“ habe sie dies zur Kenntnis genommen, notiert die Abteilungsleiterin, „da ich erwartet hätte, dass diese Kosten bereits Bestandteil der Kostenprognose sind“. Was ebenfalls fehlt: die anschließenden laufenden Kosten, die sich u.a. aus der Verkehrssicherungs- und Unterhaltungspflicht ergeben. Die entsprechende Liste umfasst 14 Punkte, in einem weiteren Schreiben beziffert die Umweltverwaltung die Ausgaben allein dafür auf „grob geschätzt 100 Millionen Euro“ - und fügt hinzu: „Personelle Mehrbedarfe sind davon nicht erfasst.“

Ein Fluss ohne Boden tut sich da auf – und wer Berliner Bauvorhaben kennt, zumal jene auf dem morastigen Zentrumsgrund, weiß, was das bedeutet. Die bisher nicht kalkulierten Folgen der immer noch ausstehenden Baugrund- und Kampfmitteluntersuchung gehören für die Umweltverwaltung deshalb zu den größten Risiken. Für die bisher nicht berücksichtigte Ufermauersanierung hält sie zusätzliche Kosten in Höhe von 90 Millionen Euro für realistisch. Die vorgeschriebenen, aber ebenfalls übergangenen archäologischen Grabungen wären mit drei Millionen dagegen eher günstig. Mindestens 20 Millionen kommen aber über die Bauzeit von 15 Jahren als „übliche“ Baukostensteigerung ohnehin drauf – im Glücksfall. Und die Sicherung der Kreuzungsanlagen, die ebenso wie der notwendige Grundstückserwerb in der teuersten Ecke Berlins noch nicht kalkuliert ist, muss auch noch rein in die Rechnung.

Doch alles das wurde Teilen des Senats, dem Parlament und der Öffentlichkeit bis heute verschwiegen. Im Beschluss und in der Vorlage fürs Abgeordnetenhaus blieb es bei der falschen Angabe von 77 Millionen Euro (davon 69 Mio Ordnungs- und Baumaßnahmen) – bei einem „Umsetzungszeitraum“ von 15 Jahren. Das Motto: Nach mir die Sintflut. Wie es aussieht, wird für das Projekt Flussbad dringend eine Kläranlage gebraucht – und zwar für die trüben politischen Hintergründe.

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