Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21.08.2020 - Die Fragen stellte Michael Psotta

VIER FRAGEN AN: Martin Czaja, Beos AG
Über gemischte Nutzungen in einem Gebiet und den Widerstand der Kommunen.

Seit 2017 dürfen Kommunen „Urbane Quartiere" einrichten, um Wohnen,' Gewerbe, Kultur und soziale Einrichtungen nebeneinander zu ermöglichen. War das aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Auf jeden Fall!
Meiner Meinung nach war dies einer der wichtigsten städtebaulichen Richtungweiser der vergangenen Jahre. Aktuell werden vor allem zwei Arten von Quartieren entwickelt: Auf der einen Seite klassische Stadtquartiere mit Fokus auf Wohnen und zusätzlichen Büro- beziehungsweise Handelsflächen - und auf der anderen Seite urbane Gewerbequartiere mit leichter Produktion und City-Logistik, aber meist ohne signifikanten Wohnanteil. Die Baurechtskategorie „Urbanes Gebiet" ermöglicht erstmals eine Mischform aus diesen beiden Ansätzen - zumindest in der Theorie. Tatsächlich wird diese Form des Quartiers jedoch bislang kaum umgesetzt.

Warum wird das Instrument des urbanen Quartiers bisher so wenig eingesetzt?
Die wenigsten Areale, die das Zeug zum gemischten Quartier hätten, sind auch als „urbanes Gebiet" ausgewiesen. Aber selbst innerhalb dieser Gebiete ist die Entwicklung von Wohn- und Gewerbemischnutzungen kompliziert, und es bestehen sowohl bei den Nutzern wie bei Investoren Vorbehalte gegen zu enge Nutzungsüberlagerungen, beispielsweise zwischen Wohnen und City-Logistik. Dabei kann
Mobilität heute leise und umweltverträglieh organisiert werden. Auch moderne urbane Produktion ist inzwischen in der Regel sauber und emissionsarm. Auf der anderen Seite benötigen wir möglicherweise eine höhere Toleranzschwelle im Bereich des städtischen Wohnens. Neue Nutzungsmischungen erfordern deshalb vor allem Mut: bei den Kommunen, den Investoren und den Nutzern selbst. Was fehlt, sind Best-Practice-Beispiele. In den Niederlanden beispielsweise ist die Experimentierfreudigkeit traditionell stark ausgeprägt. Hier finden sich radikalere Nutzungsmischungen, an denen es in Deutschland aktuell noch mangelt. Dabei wird oft verkannt, dass eine höhere Nutzungsdichte und Nutzungsvielfalt auch unter ökologischen Gesichtspunkten vorteilhaft sein kann.

Für welche Nutzer sind derartige Mischquartiere besonders sinnvoll?
Grundsätzlich sind Mischquartiere für Unternehmen alle Art attraktiv, weil sie sich mit den Kultur-, Gastronomie- und Einzelhandelsangeboten in der direkten Umgebung als interessanterer Arbeitgeber positionieren können. Das gilt für das Startup oder die Kreativagentur genauso wie für ein Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe. Besonders aber eignen sich Quartiere für Akteure, die ausreichend große zusammenhängende Flächen in Kundennähe suchen: Produzenten, City-Logistiker oder auch die Innovationsabteilung eines Konzerns, die ausrei
chend Raum zum Testen braucht. Die Anwohner wiederum profitieren von einem vielseitigen' Jobangebot direkt vor der Haustür sowie von einem lebendigen Quartier mit zahlreichen Möglichkeiten zur sozialen Interaktion.

Ist dies vorrangig ein Instrument für überlastete Großstädte?
Nicht nur. Nur lässt es sich dort meist besser umsetzen. Denken Sie einmal an eine beliebige deutsche Klein- oder Mittelstadt. Je durchmischter die verschiedenen Nutzungsarten in diesen Städten sind, desto positiver und erfolgreicher nehmen wir sie in der Regel wahr. Nicht umsonst wird das Fachmarktzentrum auf der grünen Wiese häufig für den Tod der Innenstädte verantwortlich gemacht. Als erfolgreich hingegen gilt die erhaltene Altstadt mit gewachsenen Strukturen und großer Durchmischung. Mit anderen Worten: natürlich gewachsene Stadtquartiere. Um einmal gemachte Fehler in Sachen Mononutzungen wieder auszubügeln, ist allerdings viel Arbeit und Kapital nötig. Letzteres findet sich vor allem in den Metropolen, wo das Investoreninteresse am größten ist. Aber eine schnell wachsende Stadt bedeutet auch größeren Transformationsdruck, weil immer mehr Menschen auf engem Raum zusammenleben müssen. Hier ist also die Bereitschaft, einen einmal eingeschlagenen Irrweg aufzugeben, ungleich größer.

Die FAZ im Internet: www.faz.net