Neue Quartiere sollen nur noch 10 bis 30 Parkplätze je 100 Wohnungen bekommen – auch wenn Bus, und Tram fehlen
Berliner Morgenpost vom 04.03.2021 - von Isabell Jürgens, Christian Latz und Thomas Schubert

Die 14 großen Entwicklungsgebiete Berlins sollen nach dem Willen des Senats Heimat für 100.000 Berlinerinnen und Berliner sein. Die meisten von ihnen liegen außerhalb des S-Bahnrings und verfügen häufig noch über keine beziehungsweise mangelhafte Anbindung an den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Dennoch hat der Senat mit dem Stadtentwicklungsplan Mobilität und Verkehr (StepMoVe) jetzt beschlossen, dass es in den neuen Quartieren nur noch zehn bis 30 Parkplätze pro hundert Wohnungen geben soll. Ein Ziel, das bei den Beteiligten und Fachleuten Kopfschütteln auslöst.

„Wer wissen will, wie es aussieht, wenn Wohnquartiere ohne ausreichenden ÖPNV-Anschluss aussehen, kann sich gern die Pepitahöfe im Ortsteil Hakenfelde anschauen“, sagt etwa Spandaus Baustadtrat Frank Bewig (CDU). In dem Quartier, Teil des Entwicklungsgebietes Wasserstadt Oberhavel, parkten die Bewohner der rund 1000 Wohnungen „kreuz und quer und auf den Grünflächen“. Dabei wolle er nicht der autogerechten Stadt das Wort reden, versichert Bewig. „Aber natürlich muss es genau andersherum sein: Wir brauchen Parkplätze, gern auch in Quartiersgaragen, bis ein leistungsfähiger ÖPNV-Anschluss vorhanden ist“, fordert der Stadtrat.

Öffentliche Mittel für Parkfläche wurden abgelehnt
Leider sei aber sein Antrag, eine nahe gelegene Fläche, die übergangsweise als Parkplatz hätte dienen können, aus Mitteln des Sondervermögens wachsende Stadt (Siwana) abgelehnt worden. „Und in unserem nächsten großen Entwicklungsgebiet, der Insel Gartenfeld, sehe ich, dass die Verkehrsprobleme wieder nicht gelöst werden“, so Bewig weiter. Hier fehle bislang jegliche Festlegung zur Anbindung mit dem ÖPNV. Dabei ist der Baubeginn für das Quartier mit 3700 Wohnungen bereits 2022 terminiert.

Ähnlich wie der Baustadtrat in Spandau sieht es Eva Weiß, Geschäftsführerin der Buwog Bauträger GmbH. Berlins größter privater Wohnimmobilienentwickler baut unter anderem mit auf der Insel Gartenfeld, dazu noch das „Quartier 52° Nord“ in Grünau und das „Speicherballett“ an der Parkstraße in Spandau. „Für eine so maßgebliche Reduzierung der Stellplatzanzahl an Wohnstandorten in Randgebieten ist eine gute ÖPNV-Anbindung zwingend erforderlich“, sagt Weiß.
Hierbei gebe es auch keine Differenzierung zwischen Miete und Eigentum. Den Menschen müsse eine geeignete Infrastruktur geboten werden, um sich zu ihrer Arbeitsstelle, zu Freizeitaktivitäten oder Einkaufsmöglichkeiten bewegen zu können. „Wir würden uns wünschen, dass so wichtige, übergeordnete Themen von Anfang an sowohl auf Bezirks- als auch auf Senatsebene mitgedacht und konstruktiv gemeinsam mit dem jeweiligen Entwickler geplant werden“, sagt Weiß weiter.
Auch in anderen Großquartieren sind die Verkehrsfragen noch längst nicht geklärt. In Pankow, wo sich vier der großen Entwicklungsgebiete Berlins befinden, sind die Schwierigkeiten bei der Verkehrsanbindung neuer Quartiere schon seit Jahren ein Reizthema. Es besteht nach anhaltenden Bürgerprotesten über alle Parteigrenzen Konsens, dass kein neues Quartier genehmigt wird, bevor die Mobilitätsprobleme gelöst sind. Doch befriedet sind die Konflikte durch die Absicht des Bezirksamts, einen Kollaps auf Fahrbahnen und Schienen zu vermeiden, keineswegs.
An der Michelangelostraße, wo rund 1200 Wohnungen durch Nachverdichtung einer Großsiedlung entstehen sollen, protestieren Anwohner gegen die „autoarme“ Konzeption, die einen Verlust von bis zu 2000 Parkplätzen bedeuten soll. Alle verbleibenden Pkw sollen in zwei Quartiersgaragen verschwinden – was die Bewohner aber zu Fußmärschen von teils 1,5 Kilometern zwingen wird. Angesichts dieser Aussichten spricht Oliver Friederici, Verkehrspolitiker der CDU-Fraktion, von einem „ Verkehrsverhinderungsplan “, der nicht metropolentauglich sei: „Der rot-rot-grüne Senat will den Berlinern mit seinem Step MoVe vorschreiben, wie sie sich durch ihre Stadt zu bewegen haben. Mit Bevormundung und Rücksichtslosigkeit verspielt die Koalition die Akzeptanz, den Stadtverkehr besser zu organisieren.“

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