Mit Spiegelvisier: Die neuen Planungen zum Berliner Museum des 20 . Jahrhunderts
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.03.2021 von Andreas Kilb

Etwas fehlt in den neuen Animationen zum Museum des 20 . Jahrhunderts am Kulturforum in Berlin , die der Basler Architekt Jacques Herzog am Montag vorgestellt hat. Es ist der Blick aufs Dach. Von allen Seiten, vom Matthäikirchplatz, der Potsdamer Straße, der Neuen Nationalgalerie und vom Vorplatz gegenüber von Scharouns Philharmonie wird der Bau gezeigt, nur die Ansicht von oben fehlt. Das nährt den Verdacht, dass die Dachplanung für das Gebäude entweder immer noch nicht abgeschlossen oder so unattraktiv ausgefallen ist, dass man sie der Öffentlichkeit einstweilen vorenthalten will. Eines wäre so ernüchternd wie das andere.

Denn die Dachkonstruktion war ein Hauptargument für den Siegerentwurf des Architektenbüros Herzog & de Meuron, als er vor fünf Jahren präsentiert wurde; vielleicht sogar das einzige. Das Dach der "Scheune", wie sie schon bald hieß, sollte aus durchbrochenem Backsteinwerk bestehen, mit einem kreuzförmigen Lichtgitter aus transluzenten, also glasartigen Ziegeln in der Mitte. Auf diese Weise hätte der breite, bullige, raumverzehrende Bau in der Nacht gestrahlt und bei Tag Helligkeit von oben empfangen. Die Wucht seines Auftritts zwischen den Ikonen der Architekturmoderne am Kulturforum wäre durch einen Hauch von Flüchtigkeit gemildert worden. Aber schon in Pressegesprächen zur Nachbereitung des Wettbewerbs wurde das leuchtende Dach zum "Platzhalter" und Denkspiel heruntergeredet. In dem nachgebesserten Entwurf, dessen Kostenplan der Haushaltsausschuss des Bundestages 2019 verabschiedet hat, war das Lichtkreuz noch enthalten. Inzwischen, so muss man befürchten, ist es im Papierkorb der Planungsgeschichte gelandet.

Für den Ausschuss wurden die Kosten der "Scheune" auf 364 Millionen berechnet. Inzwischen ist von 353 Millionen die Rede. Diese Summe hat der Bundesrechnungshof Anfang März gerügt. Die "Boulevards", die Durchgangszonen im Inneren des Museums , verschlängen viel Energie, da das Haus als Ganzes klimatisiert werden müsse. Photovoltaik auf dem Dach sei nicht vorgesehen, entgegen den Bestimmungen des neuen Klimaschutzgesetzes. Nun muss man Solarzellen und transluzente Ziegel nicht unbedingt zusammendenken. Aber man kann es versuchen. Das haben die Basler Architekten nicht getan.

Stattdessen pries Jacques Herzog am Montag noch einmal die Feinheiten des Innenausbaus, die "fast textile Weichheit" der gebrochenen Backsteine, die "Patios" zwischen den Ausstellungsbereichen und natürlich die "Boulevards" als Flaniermeilen durch die Mall der Moderne. So entsteht der Eindruck eines Gebäudes, das sich nach innen der Kunst auf jede Weise anbequemt und zugleich nach außen herrisch seinen Anspruch als Gesamtkunstwerk anmeldet. Das wäre kein Schaden, besäße der Trumm auch nur einen Bruchteil der Eleganz, die Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie an seiner Südflanke vorführt. In deren Richtung hat sich die "Scheune" jetzt eine Art Riesen-Visier aus Spiegelglas aufgesteckt. Schau mich nicht an, betrachte lieber dich selbst, könnte das heißen: Denn du bist viel schöner als ich.

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