Nach dem Entscheid des Bundesverfassungsgerichts drohen Mietern Nachzahlungen. Große Immobilienkonzerne signalisieren Verzicht.
Berliner Morgenpost vom 15.04.2021 von Isabell Jürgens

Das Bundesverfassungsgericht hat den umstrittenen Berliner Mietendeckel gekippt. Mit dem bundesweit einmaligen Mietendeckel wollte der rot-rot-grüne Senat den Anstieg der Mieten in Berlin bremsen. Nach der Karlsruher Entscheidung müssen Mieter wieder die eigentliche, höhere Miete zahlen. Das Mietendeckel-Gesetz hatte neun von zehn Mietwohnungen in Berlin betroffen. Mieter müssen jetzt mit Nachzahlungen rechnen.

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe, den umstrittenen Berliner Mietspiegel für nichtig zu erklären, stellen sich viele Fragen. Was der Beschluss von Deutschlands höchstem Richtergremium bedeutet und was die Konsequenzen daraus für Mieter und Vermieter in Berlin sind, darüber sprach die Berliner Morgenpost unter anderem mit Vertretern des Berliner Mietervereins, des Berliner Anwaltsvereins sowie der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen. Wir dokumentieren die Antworten auf die wichtigsten Fragen:

Droht die Kündigung, weil ich mich auf den Mietendeckel verlassen habe?
Nein, beruhigt der Berliner Mieterverein (BMV). Eine sofortige Kündigungsmöglichkeit bestehe nicht, weil Mieterinnen und Mieter sich an geltendes Gesetz gehalten haben. „Die Mieter hatten von einem eingeräumten Recht Gebrauch gemacht, was ihnen nicht vorzuwerfen ist“, sagt auch Johannes Hofele, Sprecher des Arbeitskreises Mietrecht und WEG im Berliner Anwaltsverein.

Seit dem 23. Februar 2020 wurden in Berlin die Mieten für 1,5 Millionen Wohnungen auf dem Stand vom Juni 2019 eingefroren. Wurde eine Wohnung neu vermietet, musste sich der Vermieter an staatlich festgelegte Obergrenzen halten, abhängig vom Alter der Wohnung, der Heizungsart und etwa der Frage, ob die Wohnung ein eigenes Bad besitzt. Zuletzt war am 23. November 2020 die zweite Stufe des Mietendeckels in Kraft getreten: Mieten, die mehr als 20 Prozent über den festgeschriebenen Obergrenzen liegen, mussten vom Vermieter abgesenkt werden. Betroffen waren rund 340.000 Berliner Mieterhaushalte.

Müssen Mieter in jedem Fall die Mietdifferenz begleichen?
Der Berliner Mieterverein verweist darauf, dass eine Rückzahlungspflicht für Differenzbeträge besteht. Das bedeutet, dass die einbehaltenen Mieten aufgrund des Mietendeckels zurückzuzahlen sind. Die Rückzahlung wird mit Kenntnis des heutigen Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts fällig. „Eine Zahlungsaufforderung des Vermieters ist zwar wünschenswert, aber unter Umständen nicht erforderlich“, warnt der Mieterverein.

Müssen Mieter bei der Rückzahlung bestimmte Fristen einhalten?

Im Zweifel sollten die Mieterinnen und Mieter zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten mit der Nachzahlung von Differenzbeträgen nicht die Aufforderung der Vermieterinnen und Vermieter abwarten, sondern die offenen Beträge – gegebenenfalls unter Vorbehalt einer zivilrechtlichen Überprüfung – unverzüglich überweisen, teilt die Senatsverwaltung für Wohnen auf Nachfrage mit. Dies gelte zum einen für die künftigen Mietzahlungen ab Mai 2021. Daueraufträge müssen also umgehend geändert werden. Zum anderen seien je nach Fallgestaltung aber auch etwaige Mietrückstände aus vorangegangenen Zeiträumen (also vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des Mietendeckels am 23.02.2020 bis April 2021) von den Mieterinnen und Mietern nachzuzahlen. Der Berliner Mieterverein empfiehlt in diesem Fall konkret, innerhalb von 14 Tagen die aufgelaufene Mietdifferenz zu begleichen. „Dann sind Sie in jedem Fall auf der sicheren Seite“, rät Wiebke Werner vom Berliner Mieterverein.

Was tun, wenn Mieter den fälligen Betrag nicht zahlen können?
Wer die offenstehenden Beträge nicht unmittelbar leisten kann, sollte mit dem Vermieter in Kontakt treten, rät der Berliner Mieterverein. „Wir appellieren an die Vermieter, sich fair gegenüber den Mieterinnen und Mietern zu verhalten und sich einvernehmlichen Lösungen nicht zu verschließen“, so Reiner Wild, Geschäftsführer des BMV. Die Rückforderungsansprüche der Vermieter dürften sofort fällig sein, ergänzt der Berliner Anwaltsverein.

In Fällen, in denen die Mieter die Nachzahlungsbeträge nicht sofort leisten könnten, weil sie die Mietdifferenzen nicht zur Seite gelegt hätten, könnten zwar Kündigungen wegen Zahlungsrückstandes drohen. Mieter sollten aber gegebenenfalls von sich aus auf ihre Vermieter zugehen, und Vermieter sollten im Sinne eines gedeihlichen Miteinanders mit Augenmaß vorgehen.

Müssen Vermieter ebenfalls Fristen beachten?
Nein. Vermieter haben Anspruch auf Nachzahlung der Mietdifferenzen, die sie nach dem Mietenwohngesetz nicht fordern durften. Doch Eile sei bei der Geltendmachung ihrer Ansprüche nicht geboten, denn diese verjähren nicht, betont der Berliner Anwaltsverein.

Was ist, wenn der Vermieter einen Härtefallantrag gestellt hat?
Sollten Vermieter Härteanträge bei der landeseigenen Investitionsbank IBB gestellt haben, dürften sich diese erledigt haben, so der Berliner Anwaltsverein. Erhaltene Zahlungen werden deshalb zurückgezahlt werden müssen.

Was wird aus den sogenannten Schattenmieten?
Nach Inkrafttreten des Mietendeckels waren Vermieter beim Abschluss eines neuen Mietvertrages vermehrt dazu übergegangen, im Kleingedruckten des Mietvertrags eine sogenannte Schattenmiete auszuweisen. Diese weist in der Regel die höhere Marktmiete der Wohnung aus und verpflichtet den Mieter, diese Marktmiete zu zahlen, wenn der Mietendeckel durch das Verfassungsgericht gekippt wird. Bei Schattenmietvereinbarungen nach Wiedervermietung rät der Mieterverein dringend, sich beraten zu lassen.

„Die Frage, ob diese Vereinbarungen wirksam sind, ist noch umstritten“, so Wiebke Werner. Auch wegen einer möglichen Nichtbeachtung der bundesweiten Mietpreisbremse lohne sich eine Überprüfung. Diese regelt, dass bei der Wiedervermietung von Bestandswohnungen in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt die Miete höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf. Zudem komme es auch auf den genauen Wortlaut an, ob die Schattenmiete greife. „Wir raten deshalb, die Mietdifferenz unter Vorbehalt zu zahlen und parallel zu prüfen, ob die Miete wirksam vereinbart wurde“, so die BMV-Vize-Chefin. Ähnlich sieht es die Senatsverwaltung: Wegen der sehr unterschiedlichen Ausgestaltung solcher Vereinbarungen könne es sinnvoll sein, die im Vertrag verwendete Klausel auf ihre zivilrechtliche Wirksamkeit prüfen zu lassen.

Wem hilft der Notfallhilfefonds des Senats?
„Wir werden die Mieterinnen und Mieter nicht allein lassen. Deshalb werden wir uns dafür einsetzen, dass das Land Berlin besonders bedürftige Mieterinnen und Mieter mit einem Nothilfefonds bei der Nachzahlung unterstützt“, kündigte Klaus Lederer, Bürgermeister und Senator für Kultur und Europa (Linke) am Donnerstag an. Wer dort Hilfe beantragen kann und ob das Land die aufgelaufene Summe komplett übernimmt oder lediglich ein Darlehen gibt, blieb am Donnerstag offen. Dazu werde sich der Senat am Dienstag beraten, teilte die Verwaltung von Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) mit.

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