Welt plus vom 17.04.2021 von Rainer Haubrich

Christoph Mäckler gilt als einflussreichster traditionsorientierter Architekt des Landes. Ein Gespräch zu seinem 70. Geburtstag über Rekonstruktionen, Gründerzeitviertel und einen alten Meister, der wiederentdeckt werden sollte.

Sein erstes bedeutendes Projekt wurde ein Opfer der Wiedervereinigung, heute stehen die Bauten von Christoph Mäckler an vielen prominenten Standorten in Deutschland. In seiner Heimatstadt Frankfurt am Main entwarf er den Opernturm und rekonstruierte das Literaturhaus, in Berlin baute er den Lindencorso und den Waldorf-Astoria-Turm am Zoo, in Leipzig die Marktgalerie. 2008 gründete er das Deutsche Institut für Stadtbaukunst. Am 17. April wird er 70 Jahre alt.

WELT: Herr Mäckler, vor zwölf Jahren bekamen Sie im Architektenwettbewerb zum Wiederaufbau des Berliner Schlosses einen 3. Preis. Wenn Sie heute das fertige Bauwerk betrachten: Wie ist es geworden?
Christoph Mäckler: Bis auf die moderne Spreefront sind die Fassaden beeindruckend.

WELT: Gegenüber, auf der anderen Seite der Spree, soll Schinkels Bauakademie wiederaufgebaut werden. Der Streit verläuft wie beim Schloss: Originalgetreu oder zeitgenössisch?
Mäckler: Original, aber bitte auch innen!

WELT: Sie haben Frankfurts Literaturhaus rekonstruiert und maßgeblich zum Wiederaufbau der dortigen Altstadt beigetragen. Warum musste es jeweils die alte Gestalt sein?
Mäckler: Der Wiederaufbau der Altstadt ist ja eine Mischung aus Rekonstruktionen und Neuinterpretationen. Wir wollten nachweisen, dass zeitgenössische Architektur der Rekonstruktion ebenbürtig sein kann. Dies ist an einigen Stellen auch hervorragend gelungen. Leider konnten sich vor zehn Jahren zu wenige Kollegen vorstellen, nach den Vorgaben ein Giebelhaus mit Schieferdach zu entwerfen. Das hat sich heute immerhin schon etwas geändert. Betrachtet man in der Altstadt die Neubauten der jungen Kollegen, merkt man, dass die alten Ideologien der Moderne , nach denen das Dach nur Flachdach sein kann oder Fassaden prinzipiell ohne Schmuck daherkommen müssen, in der jungen Generation endlich abgelegt werden.

WELT: Ihr erstes bedeutendes Projekt wurde ein Opfer der Wiedervereinigung: Die Residenz des ständigen Vertreters der BRD in Ost- Berlin war im Rohbau fertig, als die Mauer fiel. Alles wurde abgerissen. Wie gingen Sie als junger Architekt damit um?
Mäckler: Sowohl die Schweiz als auch ein südamerikanisches Land hatten damals Interesse, die Residenz zu kaufen. Die damalige Bundesbauministerin verkaufte das Haus aber an den Höchstbietenden. Das hat mich damals sehr ernüchtert. Der Investor lud zum Abriss auf eine Party und schickte allen Gästen geschmackloserweise einen Hammer, um ein "Hammerfest" zu feiern.

WELT: Die Residenz war ein avantgardistischer, skulpturaler Entwurf. Keine zehn Jahre später haben Sie Unter den Linden/Ecke Friedrichstraße den neuen Lindencorso mit einer Muschelkalkfassade gebaut, den böse Zungen als Zwilling der NS-Reichsbank in Berlin bezeichneten. Warum hat sich Ihre Architekturauffassung damals so verändert?
Mäckler: Ich habe mich nie für Ideologien interessiert und halte diese in der Architekturdebatte für schlimm, weil sie unseren Berufsstand schwächen. Übrigens ist die Reichsbank ein gutes Gebäude.

WELT: Das heute vom Auswärtigen Amt genutzt wird. Was gefällt Ihnen an dem Bau aus den Dreißigerjahren?
Mäckler: Es ist ein Bauwerk mit schönen Innenhöfen, einer großzügigen Eingangshalle, und es ist im Detail gut gearbeitet. Die großstädtische Steinfassade würde man heute etwas einfacher machen, aber sie wird in ihrem Erscheinungsbild einem öffentlichen Gebäude durchaus gerecht.

WELT: Aber die Residenz und der Lindencorso könnten unterschiedlicher kaum sein.
Mäckler: Die Residenz war ein Solitär im Park, der Lindencorso ist ein städtisches Bauwerk am Boulevard Unter den Linden. Deshalb war mir die Ausführung der Natursteinfassade wichtig. Dort wurde zum ersten Mal nach dem Fall der Mauer eine steinmetz-technische Bearbeitung von Fassadenplatten ausgeführt. Bis dahin mussten Fassadenplatten poliert sein, möglichst ohne jede Maserung und in Kreuzfuge gesetzt. Diese Tristesse war kaum zu überbieten. Ich war begeistert von den alten Natursteinfassaden, die ich im Ostteil Berlins vorfand. Den Elmkalkstein des Lindencorso habe ich bei den Bauten von Peter Behrens am Alexanderplatz aus den Zwanzigerjahren gefunden.

WELT: 2006 haben Sie auf der Maininsel in Frankfurt die Kunsthalle Portikus gebaut. Dass Sie ihr ein hohes Satteldach verpassten, wurde damals von manchen als rückwärtsgewandt kritisiert. Sind die Debatten inzwischen entspannter geworden - oder heftiger?
Mäckler: Die Kunsthalle Portikus ist zu einer Ikone der Frankfurter Architektur geworden. Rückwärtsgewandt sind diejenigen, die glauben, dass das 100 Jahre alte Bauhaus unverändert zeitgemäß ist. Als sich Bruno Taut im Berliner Dächerstreit der Zwanzigerjahre für das Flachdach einsetzte, argumentierte er für eine Sozialreform und nicht für einen Stil. Architektur war für ihn Ausdruck einer neuen Zeit. Er wollte dem Kaiserreich mit seiner Architektur des einfachen Kubus etwas entgegensetzen. Aber braucht es das heute noch? Nach 100 Jahren? Die Debatten sind deshalb entspannter geworden, weil sie sich überlebt haben.

WELT: Sie beklagen in öffentlichen Debatten immer wieder unsere Unfähigkeit, schöne Städte zu bauen . Warum ist Schönheit so wichtig, und warum reichen unsere Neubauquartiere nicht an die historischen Vorbilder heran?
Mäckler: Der öffentliche Raum ist der soziale Begegnungsraum unserer demokratischen Gesellschaft. Der städtische Platz ist der Wohnraum der Stadtgesellschaft. Als Wohnraum sollten wir ihn mit der gleichen Sorgfalt gestalten, wie wir dies mit den Räumen in unseren Wohnungen tun. Das tun wir aber nicht. Unsere Baugesetze sind aus einer Zeit, in der die sogenannte aufgelockerte und durchgrünte Stadt Grundlage des Denkens über Städtebau war. Da unsere Gesellschaft heute lieber in 150 Jahre alten Stadtquartieren lebt und nicht etwa in unseren Neubauvierteln, sollte sich der Gesetzgeber einmal darüber Gedanken machen, warum dies so ist. Schlimm ist auch, dass wir an einigen Universitäten noch heute junge Leute als Stadt- oder Raumplaner ausbilden, ohne dass sie dabei mit den Grundlagen der Architektur konfrontiert werden.

WELT: In welcher deutschen Stadt wird die beste Stadtentwicklungspolitik gemacht?
Mäckler: Das mögen andere entscheiden. Als hervorragend kann Bochum bezeichnet werden. Hier versuchen die Verantwortlichen im Stadtplanungsamt, völlig neue Wege zu gehen. Das Thema Stadtraumqualität findet in Bochum wieder große Beachtung.

WELT: Welcher Neubau in Deutschland hat Sie zuletzt entsetzt?
Mäckler: Das geknautschte Spiegelglashaus am Hauptbahnhof in Berlin mit seiner menschenverachtend abweisenden und energievernichtenden Fassade. Das ist Architektur von vorgestern.

WELT: Wieso ist das "menschenverachtend"?
Mäckler: Weil das Haus keine Einblicke gewährt, das Erdgeschoss wie überhaupt die gesamte Fassade sich dem städtischen Raum verschließen und die Eingänge an der Straße kaum auffindbar sind.

WELT: Was halten Sie von begrünten Fassaden und Dächern?
Mäckler: Für wesentlich wichtiger halte ich unversiegelte Böden, in denen Bäume wachsen können - und ein Verbot von Wärmedämmverbundsystemen.

WELT: Die Neue Nationalgalerie in Berlin ist fertig renoviert. Was bedeutet Ihnen Ludwig Mies van der Rohe?
Mäckler: Er ist der große deutsche Architekt, dessen Präzision und Materialverständnis jedem Architekten ein Vorbild sein müssen. So auch mir.

WELT: Welcher Baumeister der Geschichte sollte neu entdeckt werden?
Mäckler: Josef Stübben!

WELT: Das müssen Sie erklären.
Mäckler: Er hat als Architekt und Städtebauer am Ende des 19. Jahrhunderts den fantastischen Kölner Ring nach der Niederlegung der Stadtmauer entworfen und realisiert. Dabei hat er alte Stadttore und das vorhandene Straßennetz der Altstadt Kölns in seine Planung so integriert, dass sich die neuen städtischen Räume noch heute wie selbstverständlich ins Stadtbild einfügen. Sein Buch " Der Städtebau " galt über Jahrzehnte als Standardwerk. Uns fehlen heute derartige Anleitungen. Stübben hat in vielen anderen Städten Plätze und Straßen entworfen, deren Qualität bis heute unübertroffen ist. Wenn wir über die Schönheit der europäischen Stadt reden, müssen wir uns mit Josef Stübben auseinandersetzen.

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